Vergangenen Juni – mitten in der Corona-Krise – kehrte für einen kurzen Moment ein Hauch Zuversicht nach Baden-Württemberg zurück. Gerade hatte der Sportwagenbauer Porsche angekündigt, seine neue Fabrik für Hochleistungs-Batterien in Tübingen am Neckar zu bauen.

Alles schien geregelt. Die Landespolitik stand voll hinter dem Vorstoß. Die Wirtschaftsverbände jubelten.

Dann kam Tübingens OB Boris Palmer. Es gebe da leider noch ein „kleines juristisches Problem“, sagte der umtriebige Grüne ziemlich zerknirscht. Das hoffe man jedoch, zügig zu lösen.

Ein Problemchen wird zu einem Problem

Das Problem bestand darin, dass Tübingen Porsche für seine High-Tech-Fabrik nur ein Gewerbegebiet, nicht aber ein Industriegebiet anbieten konnte. Was anderswo wahrscheinlich niemandem aufgefallen wäre, taugte im bürokratisch hoch verregelten Deutschland dazu, dem Projekt den Stecker zu ziehen.

Winfried Kretschmann (links, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Oliver Blume (Mitte), Vorstandsvorsitzender der Porsche AG und ...
Winfried Kretschmann (links, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Oliver Blume (Mitte), Vorstandsvorsitzender der Porsche AG und Boris Palmer (rechts) im Juni vergangene Jahres bei der Ankündigung zum Bau eine Akku-Fabrik in Baden-Württemberg. | Bild: Bernd Weissbrod

Die Episode steht stellvertretend für einen Trend, der im ganzen Land Einzug gehalten hat. Viele Unternehmen investieren mittlerweile nicht mehr im Ländle, sondern anderswo. Dabei muss es nicht immer Asien oder Osteuropa sein, wohin im vergangenen Jahrzehnt Milliarden Euro aus der Wirtschaft geflossen sind. Vielmehr scheint über dem Osten der Republik die Sonne neu aufzugehen.

Erst vor wenigen Tagen kündigte der Chef des Rietheimer Automobilzulieferers Marquardt an, sich mit dem Gedanken zu tragen, neben eine neue Komponentenfabrik für E-Autos im thüringischen Erfurt, gleich noch eine Zweite zu stellen.

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Tatsächlich zeichnet sich in Ostdeutschland eine Entwicklung ab, die schon nicht mehr für möglich gehalten wurde: Die Rückkehr der Industrie nach Jahren der Abwanderung. Leuchtendes Beispiel dafür ist Teslas E-Auto-Werk nebst angeschlossener Batteriefertigung im brandenburgischen Grünheide. Ohne Rücksicht auf Verluste hat Tesla-Chef Elon Musk das Projekt in wenigen Monaten durchgepeitscht.

Tesla-Speed geht nicht überall

Tesla-Speed – Tesla-Geschwindigkeit – nennt man das. Weiter südlich kündigt sich Ähnliches an. In Magdeburg will der US-Riese Intel für 17 Milliarden Euro mehrere Halbleiterfabriken bauen. Es wäre die größte Investition in der Geschichte Sachsen-Anhalts. In Dresden und Erfurt wiederum sitzt die High-Tech-Branche mit Infineon, Bosch und CATL schon seit längerem.

Intel-Chip auf einem Rechner: Der Konzern investiert Milliarden in Deutschland. Wo? Natürlich im Osten.
Intel-Chip auf einem Rechner: Der Konzern investiert Milliarden in Deutschland. Wo? Natürlich im Osten. | Bild: Florian Schuh, dpa

Standort-Faktoren, die Investitionen früher nach Süddeutschland gelenkt haben, scheinen derzeit Ostdeutschland in die Karten zu spielen. Gerade in Baden-Württemberg ist der Siedlungsdruck mittlerweile enorm. Fast nirgends finden sich mehr freie Flächen für große Industrieansiedlungen. Die Verkehrsinfrastruktur ist chronisch überlastet. Das Lohnniveau sucht seinesgleichen.

Dabei fällt ein Punkt immer stärker ins Gewicht. Sowohl Tesla als auch Intel haben ihre Investitionen damit begründet, vor Ort grüne Energie in rauen Mengen zu haben. Was die ostdeutsche Landes- und Kommunalpolitik längst verstanden hat, muss offenbar ins Denken so manches Schultes in Süddeutschland noch einsickern.

Dass Ökostrom ein Standortfaktor ist, wird im „Ländle“ oft nicht begriffen

Nahezu alle ernstzunehmenden Firmen haben sich mittlerweile CO2-Reduktionspfade auferlegt, die spätestens 2045 die Klimaneutralität vorsehen. Ökostrom vor Ort wird so zum entscheidenden Standortkriterium. Baden-Württemberg und Bayern haben hier fast nichts zu bieten. So mancher Landrat und Bürgermeister, dessen Blick nur vom Kirchturm zur Stadtmauer reicht, sollte seinen Horizont daher dringend um Windräder und Solarfelder dahinter erweitern.

Der Südwesten hat noch Trümpfe in der Hand

Verloren ist indes noch nichts. So verfügt Baden-Württemberg etwa über ein fast einzigartiges Kooperationsnetzwerk zwischen Firmen, Universitäten und industrienahen Forschungseinrichtungen. So gut wie nirgends anders entstehen hier Ideen. Das war übrigens auch der Grund, wieso Porsche am Ende doch im Land geblieben ist. Die Batteriefabrik wird jetzt in Reutlingen gebaut.