Breite Sandstrände, raue Karstlandschaft und antike Sehenswürdigkeiten – das und vieles mehr bietet die griechische Halbinsel Peloponnes. In einem Haus nahe dem Dorf Douneika unterhielt der Sozialpädagoge Ralf A. aus dem Raum Stockach ein Haus. Dort betreute er straffällig gewordene Jugendliche, um sie zu resozialisieren.
Doch am 10. Februar 2004 erschießt ihn der 14-jährige Andreas, den er dort betreute – mit einem Bolzenschussgerät, „wie man es zum Schlachten von Schweinen benutzt“, so die damalige SÜDKURIER-Berichterstattung. Danach wurde die gängige Praxis, Jugendliche im Ausland zu resozialisieren, auf den Prüfstand gestellt.
Rolf A. wird hinterrücks erschossen
Wie bei der damaligen Berichterstattung vom 17. Februar 2004 vermerkt ist, wurde der Betreuer hinterrücks erschossen. Demnach habe der Täter keinen leichten Zugang zur Waffe gehabt. Diese sei in einer Garage, in einem verschlossenen Schrank, aufbewahrt gewesen. Bei einer gemeinsamen Reparatur an einem Auto sei Andreas an den Schlüssel gekommen. Doch um die Waffe auch nutzen zu können, habe er diese vor der Tat erst zusammenbauen müssen.
Während Rolf A. dann den Reifen eines Wagens wechselte, drückte Andreas ab. Laut damaligen Polizeimitteilungen bemerkte eine Nachbarin die Tat und alarmierte die Polizei. Der 14-Jährige habe beim Eintreffen der Beamten eine Tränengasgranate geschleudert. Danach habe er gedroht, sich mit einer Luftpistole das Leben zu nehmen. Das berichtete die griechische Presse.
Zwei Tage nach der Tat wurde der Jugendliche von der Polizei in das Jugendgefängnis der Stadt Awlona nahe Athen gebracht, wie die Deutsche Presse Agentur (dpa) berichtete.
Von Geburt an psychische Erkrankungen
Die Lebensgeschichte des Jugendlichen war schon zuvor steinig: Als Kind einer Alkoholikerin kam Andreas in München 1989 zur Welt. Aufgrund vorgeburtlicher Schädigungen war er psychisch krank. Schon als Säugling kam er in ein Heim in Behla bei Hüfingen, seit seinem vierten Lebensjahr lebte er in einem Kinderheim in einer angeschlossenen Familiengruppe. Sein gestörtes Selbstwertgefühl führte zu aggressivem Verhalten. 2002 trat er daher eine 15-monatige Einzelmaßnahme in Griechenland an.
Obwohl diese positiv verlief, klappte eine Integration nach seiner Rückkehr nicht. Vier Tage vor der Tat äußerte Andreas den Wunsch, erneut nach Griechenland zu dürfen. Dieses Mal zu einem mehrjährigen Aufenthalt.
Rolf A. soll ihn wie Laufburschen behandelt haben
Nach der Tat vernahmen griechische Ermittler den 14-Jährigen. Dieser habe angegeben, Rolf A. habe ihn „wie einen Laufburschen“ behandelt. Ähnliches habe man damals auch in Stockach gehört. Der Sozialarbeiter soll sich gebrüstet haben, die Jungen seiner Betreuungseinrichtung hart arbeiten zu lassen. So schilderte es der SÜDKURIER damals.
Doch bei einem Pressegespräch widersprach eine Angehörige des Getöteten den Vorwürfen. „Sie sollten selbst lernen, Sachen auf die Reihe zu bekommen und eingebunden zu sein ins normale Leben, wie jeder Jugendliche bei uns zu Hause auch“, umschrieb die Verwandte im Februar 2004 den pädagogischen Ansatz des Sozialarbeiters. Zu dem Gespräch hatte das Kinderheim in Behla eingeladen, bei dem Rolf A. angestellt war.
Den Angaben der griechischen Polizei zufolge habe es vor der Tat einen heftigen Streit zwischen Andreas und Rolf A. gegeben. Andere Zeitungen berichteten, es sei um den Wunsch des Jungen gegangen, einen Freund aus Deutschland nach Griechenland einzuladen. Das soll Rolf A. abgelehnt haben.
Verurteilung des Jugendlichen
Beim Behlaer Pressegespräch wurde angesprochen, dass dem Jungen zunächst 18 Monate Untersuchungshaft in Griechenland drohten, bis zu es zum möglichen Prozess kam. Ob und wann dieser stattgefunden hat, ist allerdings unklar und fehlt in der damaligen Berichterstattung. Klar ist: Andreas war in einer Psychiatrie untergebracht.
Denn im August 2006 versuchten drei Männer, aus dem Zentrum für Psychiatrie Reichenau auszubrechen. Unter ihnen auch der damals 19-jährige Andreas. Die Idee auszubrechen hatten offenbar jedoch die 27 und 29 Jahre alten Mitangeklagten. Während der 29-Jährige Schmiere stand, habe sein 27-jähriger Kollege versucht, den Stationspfleger zu überwältigen, um ihm den Schlüsselbund abzunehmen. Dabei soll er den Mann gewürgt und ihm den Hals verrenkt haben.
Der 19-Jährige hätte dem hilflosen Pfleger Handschellen anlegen sollen, hat diese aber nicht gefunden. Einen zweiten Pfleger hätten die drei in einer Isolierzelle einsperren wollen, um mit dessen Fahrzeug zu fliehen. Doch der Ausbruchsversuch scheiterte.
Umstrittene Resozialisierung
Schon direkt nach der Tat plante die Bundesregierung, die Resozialisierung kriminell gewordener Jugendlicher im Ausland schärfer zu kontrollieren. Das ging aus einer Mitteilung der dpa hervor. Christa Stewens, Bayerns damalige Sozialministerin (CSU), zeigte sich „zutiefst erschüttert und schockiert“, wie die dpa berichtete. „Auslandsprojekte werden zum Teil als ‚schnelle Lösung‘ für extreme Problemfälle genutzt, in der Erwartung, dass die betreffenden jungen Menschen ‚geläutert‘ zurückkommen“, so Stewens damals. München und Bayern waren zuständig, weil Andreas dort geboren worden war.