Die Schweiz ist eine Hochpreisinsel. Bei Shampoo, Duschgel oder Toilettenpapier weiß man es, teils kosten Hygieneartikel dort ein Vielfaches. Es ist ein Grund für die Fülle an Drogeriemärkten im deutschen Grenzgebiet. Aber auch bei Lebensmitteln lohnt sich für Schweizer häufig die Fahrt ins Nachbarland. Warum ist das ausgerechnet auch bei Artikeln so, die dort hergestellt werden, bei denen die Marken inbrünstig für die Heimat wirbt?

„Wer hat‘s erfunden?“ Ende der 90er-Jahre ließ ein Bonbon-Hersteller in Werbespots darauf antworten: die Schweizer. Und genauer: Ricola. Man sei stolz auf die Wurzeln, teilt ein Firmensprecher mit. „Alle Schritte der Herstellung finden in der Schweiz statt, vom Kräuteranbau bis zum fertigen Bonbon.“ Neun von zehn Produkten gingen heute aus Laufen (Kanton Basel-Land) ins Ausland – und kosten in Deutschland nur die Hälfte, wie eine Stichprobe in Geschäften beidseits der Grenze zeigt.

Kartoffelchips: Wenige Kilometer fahren, ein Drittel weniger bezahlen

In deutschen Supermärkten ebenfalls prominent im Regal: Kartoffelchips von Zweifel. Auch das Zürcher Unternehmen bekenne sich zur Heimat, sagt Sprecherin Christina Schaffhauser. „Wir beziehen unsere Rohstoffe wenn immer möglich aus der Schweiz, wodurch zudem die Schweizer Bauern berücksichtigt werden.“

Kartoffelchips von Zweifel sind in Kreuzlingen – hier am 10. August – 35 Prozent teurer als in Konstanz.
Kartoffelchips von Zweifel sind in Kreuzlingen – hier am 10. August – 35 Prozent teurer als in Konstanz. | Bild: Brumm, Benjamin

Tiefer als für deutsche Konkurrenten muss man auch hierzulande für die Snacks in die Tasche greifen. Im Heimatland reicht der Griff aber noch tiefer. 3,95 Franken (3,65 Euro) kostet die 175-Gramm Packung zum Beispiel im Kreuzlinger Migros-Markt, um die 35 Prozent mehr als bei der Konkurrenz in Konstanz.

Schweizer Supermärkte schieben Verantwortung Richtung Hersteller

Der Migros-Konzern schiebt die Verantwortung Richtung Lebensmittelindustrie. Wie Mitbewerber zu ihren Preisen kommen, könne man nicht sagen. Die Preise für fremde Produkte – Migros hat auch Eigenmarken im Sortiment – seien „Ergebnis handelsüblicher Verhandlungen mit unseren Lieferanten“, sagt Mediensprecher Patrick Stöpper. Dabei setze man sich „immer für attraktive und faire Preise ein“. Eine Sprecherin von Migros-Konkurrent Coop äußert sich gleichlautend.

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Die Lebensmittelunternehmen spielen den Ball zurück zum Einzelhandel: Man mache den Geschäften keine Vorgaben bei den Preisen und habe auf sie keinen Einfluss. Die höheren Produktpreise in der Schweiz begründen die Hersteller mit dem starken Franken oder höheren Kosten im Inland, etwa bei Löhnen, für Rohstoffe und Verpackungen oder Werbung.

Ein Sprecher des Schokoladenfabrikanten Lindt & Sprüngli erklärt die Preisunterschiede dann auch damit, dass viele ihrer in Deutschland erhältlichen Waren auch in dortigen Werken „zu den entsprechend landesüblichen Rahmenbedingungen und Kosten produziert werden“. Auch hier bezahlt in Schweizer Supermärkten je nach Sorte schnell 20 Prozent mehr als bei der deutschen Konkurrenz.

Je nach Sorte werden für Schokolade von Lindt in der Schweiz mindestens 20 Prozent mehr fällig. Hier ein Bild aus der Kreuzlinger ...
Je nach Sorte werden für Schokolade von Lindt in der Schweiz mindestens 20 Prozent mehr fällig. Hier ein Bild aus der Kreuzlinger Migros-Filiale vom 10. August 2021. | Bild: Brumm, Benjamin

Verbraucherschützer: „Schlicht und einfach Abzocke“

Christina Schaffhauser, Sprecherin des Kartoffelchip-Herstellers Zweifel, nennt die Preisgestaltung „umsichtig“, Auswirkungen auf den Ruf der Marke im heimischen Markt seien „unbedenklich“. Seitens Ricola werden die länderabhängigen Preisdifferenzen als „unvermeidlich“ bezeichnet.

Das sieht Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Schweizer Stiftung für Konsumentenschutz, anders. Ein Aufschlag von zehn Prozent wären aus Sicht der Verbraucherschützer nachvollziehbar. „Sofern die Produkte in der Schweiz und nicht in Niedriglohnländern produziert werden“, sagt Stalder, „aber Differenzen von 30 Prozent und mehr sind schlicht und einfach Abzocke.“

Sara Stalder ist Geschäftsleiterin der Schweizer Stiftung für Konsumentenschutz.
Sara Stalder ist Geschäftsleiterin der Schweizer Stiftung für Konsumentenschutz. | Bild: Stiftung für Konsumentenschutz

Die Verbraucherschützerin hält einen anderen Grund für wahrscheinlicher als die von den Unternehmen ins Feld geführten höheren Kosten in der Schweiz: Sie reagieren auf die günstigere deutsche Konkurrenz. Das hieße im Umkehrschluss: Mit den höheren Preisen in einheimischen Geschäften finanzieren sich Schweizer Lebensmittelproduzenten die Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland quer. Sara Stalder bezeichnet das „als nicht fair“.

Warum sich ein Schweizer Nationalgetränk aus Deutschland zurückzieht

Ein Schweizer Nationalgetränk hat sich dagegen aus deutschen Supermarktregalen verabschiedet. 2019 habe sich Rivella entschieden, seine Milchserum-Limo nicht mehr in Deutschland zu verkaufen. Hier gibt man immerhin zu: „Die Nachfrage nach Rivella war zu gering, nicht zuletzt bedingt durch das hohe Preisniveau unserer Produkte“, sagt Unternehmenssprecherin Monika Christener.

Zu niedrige Nachfrage wegen des hohen Preises: Rivella verkauft seine Milchserum-Limonade seit 2019 nicht mehr nach Deutschland.
Zu niedrige Nachfrage wegen des hohen Preises: Rivella verkauft seine Milchserum-Limonade seit 2019 nicht mehr nach Deutschland. | Bild: Brumm, Benjamin

Sollten deutsche Händler diese dennoch anbieten, könne dies daran liegen, dass diese sie von einem Schweizer Großhändler über die Grenze gebracht haben. „Von uns haben diese Anbieter die Produkte nicht“, versichert die Sprecherin.

Sara Stalder von der Stiftung Konsumentenschutz hofft derweil auf einen Effekt durch das in diesem Jahr angepasste Kartellgesetz der Schweiz. Zwar ziele das nicht auf heimische Produkte, sondern auf teils drastische Aufschläge beim Import, etwa für Kleidung oder Hygieneartikel. „Aber wir gehen davon aus, dass es hierdurch zu einer generellen Abwärtsspirale der Preise in der Schweiz kommen wird, der auch Süßigkeiten, Snacks und Süßgetränke erfassen wird“, sagt Stalder.

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