Klebrige Hände vom Eincremen, Reste der Sonnenmilch an den Klamotten und am Ende holt man sich in den Kniekehlen doch noch einen Sonnenbrand: Schrecklich unkomfortabel und unausgereift fand Valentin Langen das Auftragen herkömmlicher Sonnencremes. Und wollte sich mit dem „Beschichtungsproblem“, wie er das fehlerhafte Eincremen nennt, nicht länger herumärgern.
Denn wie man richtig beschichtet, weiß einer, der bei Wagner in Markdorf arbeitet, einer Firma für Oberflächenbeschichtungen.
Statt Alufelgen wird jetzt Haut besprüht
Nur dass mit den Geräten des Mittelständlers bislang Autofelgen besprüht wurden, Regale, Wände und Handys. Und das ziemlich erfolgreich. Mit 1600 Mitarbeitern und einem Umsatz von 410 Millionen Euro ist das Unternehmen Weltmarktführer in seinem Bereich. Auf solchen Erfolgen könnte man sich jetzt einfach ausruhen.

„Wenn man nur ein Standbein hat, kann einem das aber auch ganz schnell mal wegbrechen“, sagt Bruno Niemeyer, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Wagner. Noch wandern vier von fünf weltweit produzierten Automobil-Leichtmetallfelgen in der Erstaustattung durch eine Wagner-Beschichtungsanlage.
Doch die aktuellen Umbrüche in der Autoindustrie und die Diskussionen rund um den Klimawandel zeigen, wie schnell das Auto in den nächsten Jahren an Bedeutung verlieren könnte. Deshalb hat die Geschäftsführung bei Wagner auch nicht lange gezögert und sich an das Projekt „Beschichtung von Menschen“ gewagt.
Das war vor sieben Jahren. Heute ist Valentin Langen 42 Jahre alt und Geschäftsführer von Ioniq, einem Start-up, das mit einer Art Sprühpistole für Sonnencreme und andere Kosmetika den globalen Kosmetikmarkt aufmischen will.
Das Großraumbüro der Gründer liegt mitten im Wagner-Firmensitz in Markdorf. 13 Mitarbeiter arbeiten ausschließlich für Ioniq. Auf das Fachwissen der übrigen Wagner-Mitarbeiter etwa aus den Bereichen Recht, Buchhaltung oder Management kann die Tochterfirma jederzeit zugreifen.
Ioniq-Start-up in alte Firmenstrukturen integriert
Die Ioniq-Mitarbeiter senken den Altersdurchschnitt erheblich, tragen auffallend häufig Kapuzenpullis, arbeiten gern bis spät in die Nacht und gönnen sich dafür auch schon mal ein Mittagsschläfchen im Büro. „Natürlich sorgt diese ganz andere Unternehmenskultur für Spannungen zwischen den neuen und alten Mitarbeitern. Aber wir finden das positiv“, sagt Wagner-Geschäftsführer Bruno Niemeyer.

Denn schließlich habe man dem Start-up absichtlich in Markdorf eine Heimat gegeben „und nicht irgendwo in Berlin“, wie Niemeyer betont. Die Wagner-Mitarbeiter sollen täglich sehen, welchen Stellenwert Innovationen im Unternehmen haben. Sie sollen selbst über neue Zielgruppen und Geschäftsfelder nachdenken und sich dafür auch mal an neue Arbeitsweisen heranwagen. So wie bei Ioniq durch die Corona-Krise sofort das Thema Hautdesinfektion als neuer Anwendungsbereich für ihre Sprühpistole aufkam. Denn ähnlich wie bei Sonnencreme ist auch hier das gleichmäßige Auftragen ein Problem.
Wagner nimmt den Weltmarkt für seine Creme-Zerstäuber in den Blick
Die Ioniq-Mitarbeiter umgekehrt lernen, sich auch mal in Geduld zu üben, wenn ein Wagner-Entwicklungsingenieur nicht von Sonntagabend auf Montagmorgen eine Lösung für ein Problem liefern kann. Unterstützung aus Personalabteilung und Buchhaltung sorgt dafür, dass die Gründer einige Anfängerfehler gar nicht erst machten. „Dafür sind wir aber vermutlich das einzige Start-up weltweit, welches die Software SAP nutzen muss“, sagt der promovierte Betriebswirt Valentin Langen.
Ab Mai 2021 sollen die Ioniq-Sprühpistolen in den Geschäften stehen. Die schlaue Creme wird dabei so fein auf die Haut gesprüht und von dieser magnetisch angezogen, dass sie sich auch an schwer erreichbaren Stellen anlagert – ohne dass man von Hand nachcremen muss. Neben Sonnencreme werden auch eine Bodylotion sowie eine Selbstbräunungscreme entwickelt. Bis in zehn Jahren soll der handliche Zerstäuber, der etwa 150 Euro kosten soll, in jedem Industrieland am Markt sein und dort in jedem Badezimmer stehen. Das bedeutet rund eine Milliarde Creme-Sprüher.
Wagner hat in das Projekt bislang weit mehr als zwei Millionen Euro investiert und hofft nun natürlich auf Erfolg. Und wenn dieser ausbleibt? „Dann wollen wir trotzdem die innovativste Firma in unserer Branche werden. Und wir haben dafür auch noch andere Ideen auf Lager“, sagt Wagner-Chef Niemeyer.