Noch vor wenigen Wochen machte sich wohl kaum ein deutscher Verbraucher Gedanken darüber, welche Waren und Rohstoffe eigentlich aus der Ukraine kommen. Mit dem russischen Angriffskrieg hat sich das geändert. Einige Kunden kaufen nun wieder die Regale leer, aus Angst vor Versorgungsengpässen. Doch wie berechtigt ist diese Sorge?

Speiseöl knapp und teurer

Verschiedene Öle, etwa Sonnenblumenöl, sind nicht mehr in gewohnten Mengen verfügbar. SÜDKURIER-Leser und -Redakteure berichten, dass einige Händler, etwa Aldi Süd, ihre Kunden per Hinweisschild bitten, nur noch maximal 2 Liter einzukaufen. In Radolfzell am Bodensee etwa sind manche Regale gähnend leer.

Der Grund: Die Ukraine und Russland sind die weltweit wichtigsten Exportländer für Sonnenblumenöl. Allein aus der Ukraine kommen 51 Prozent der Mengen. Deutschland ist dabei zu 94 Prozent von Importen abhängig.

Im Radolfzeller Aldi Supermarkt weisen Mitte März 2022 Schilder darauf hin, dass Öl nur in begrenzter Menge gekauft werden darf. ...
Im Radolfzeller Aldi Supermarkt weisen Mitte März 2022 Schilder darauf hin, dass Öl nur in begrenzter Menge gekauft werden darf. Allerdings ist das Regal ohnehin leer. | Bild: Moll, Mirjam

„Die Vorräte reichen voraussichtlich noch für wenige Wochen“, sagte der Geschäftsführer des Verbands der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland (Ovid), Gerhard Brankatschk jüngst. Offenbar hat sich die Lage aber zumindest regional zugespitzt. Auch Preissteigerungen gibt es. Diese hängen aber nicht nur mit dem Ukraine-Krieg zusammen. Zuvor war es wegen der Coronakrise zu Störungen der Lieferketten gekommen. Auch eine Missernte in Kanada hatte die Lage bereits angespannt.

Brot und Brötchen teurer?

Ein Bäcker formt am Morgen in der Backstube auf einer mit Mehl bestäubten Arbeitsplatte den Teig für Kürbiskernbrötchen. Brot und ...
Ein Bäcker formt am Morgen in der Backstube auf einer mit Mehl bestäubten Arbeitsplatte den Teig für Kürbiskernbrötchen. Brot und Brötchen könnten teurer werden. | Bild: Soeren Stache

Der Exportstopp habe zunächst keine direkten Auswirkungen auf den Brotpreis, „weil wir in Deutschland und der EU einen Selbstversorgungsgrad bei Getreide von teilweise über 100 Prozent haben“, erklärt der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks. Hinzu kämen lang laufende Lieferkontrakte, die die Preise weiter stabilisierten. Doch das muss nicht überall so sein.

Denn die Verwerfungen auf dem Getreidemarkt lassen zumindest regional auch die Mehlpreise kräftig steigen. Wie der SÜDKURIER aus baden-württembergischen Branchenkreisen erfuhr, könnten die Preise in den kommenden Tagen um 10 bis 20 Prozent hoch gehen, wie ein Branchenkenner sagte: „Folglich muss auch der Bäcker mehr verlangen.“ Die Mühle, die er vertritt, bezieht das Getreide vom europäischen Markt. Dieser kommt wegen des Wegfalls des russischen und des ukrainischen Markts unter Preisdruck.

Landwirte ernten mit ihren Mähdreschern ein Weizenfeld ab. Seit Beginn des Ukrainekriegs wachsen die Sorgen mit Blick auf die Ernährung ...
Landwirte ernten mit ihren Mähdreschern ein Weizenfeld ab. Seit Beginn des Ukrainekriegs wachsen die Sorgen mit Blick auf die Ernährung in zahlreichen Ländern. | Bild: Vitaly Timkiv

Ein Blick auf den europäischen Weizenpreis an der Terminbörse Matif zeigt, dass dieser von 266 € (für 100 Kilogramm Weizen) vor dem Krieg auf inzwischen 366 € angezogen ist. „Solche exorbitanten Erhöhungen kann man nicht mehr ausgleichen, man muss den Preis erhöhen“, sagt er. Ob die Erhöhung die letzte sein wird, vermag auch er nicht vorherzusagen. Das komme unter anderem auf Qualität und Menge der nächsten Ernte an.

Unterdessen kommen nach seiner Beobachtung viele Mühlen in der Region mit dem Befüllen der Lager kaum noch nach. Allerdings beruhigt er: „Wir sind noch eingedeckt in unseren Silos, es ist derzeit nicht eng.“

Auswirkungen auf den Fleischpreis

Getreide steckt in vielen Produkten, so auch in Futtermittel, das an Tiere verfüttert wird. Auch hier drohen Preiserhöhungen, die sich auf den Fleischpreis auswirken könnten. Der Konflikt wird nach Angaben des Verbands der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland (Ovid) auch Einfluss auf die heimische Versorgung mit Eiweißfuttermitteln haben.

Mehr als zwei Drittel des europäisch erzeugten Sojas stammen demnach aus Russland und der Ukraine. Das betreffe unter anderem Soja für Rind, Schwein und Geflügel. „Eine kurzfristige Kompensation aus alternativen europäischen Herkünften steht nicht zur Verfügung,“ heißt es bei Ovid.

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Genügend Grundnahrungsmittel vorhanden

Auch wenn Lieferketten teils erheblich gestört und Lieferungen von Speiseöl und Getreideprodukten aus Russland und der Ukraine unterbrochen sind, so gibt es keinen Grund zu übertriebener Sorge, erklärt Roland Fitterer, Präsident des Handelsverbands Südbaden, der selbst drei Edeka-Läden im Badischen betreibt. „Die Grundversorgung wird immer aufrecht erhalten bleiben“ – das gelte auch für Speiseöl.

„Bitte keine Hamsterkäufe“, rät er den Verbrauchern dringend und schließt sich mit diesem Appell der Aufforderung des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels an. Kunden sollten sich solidarisch verhalten und Produkte nur in haushaltsüblichen Mengen einkaufen, sagte Verbandssprecher Christian Böttcher.

Das Phänomen Toilettenpapier ist zurück: Im Radolfzeller dm-Markt sind am Mittwochmorgen keine Rollen mehr im Regal.
Das Phänomen Toilettenpapier ist zurück: Im Radolfzeller dm-Markt sind am Mittwochmorgen keine Rollen mehr im Regal. | Bild: Moll, Mirjam

Toilettenpapier knapp

Genau wie im Frühjahr 2020 wird mancherorts nun auch wieder Toilettenpapier knapp. Eine Stichprobe in einem Radolfzeller Drogeriemarkt bestätigt das: Im Regale für Hygieneprodukte klaffen Lücken. Grund hier ist aber weniger eine echte Knappheit als vielmehr Hamsterkäufe von Kunden.

Lieferkettenprobleme halten an

Die gesamte Logistik sei beim Handel nach wie vor ein Riesenthema, sagt Roland Fitterer. Im März hätte man damit gerechnet, dass sich die Corona-bedingten Probleme wieder eingerenkt hätten. Doch inzwischen müssten Flüge umgeleitet werden, der Schienenverkehr sei außerhalb Europas gestört, Waren müssten über die Türkei umgeleitet werden, die Schiffswege seien deutlich länger. Das ganze führe zu deutlich höheren Kosten. Und das beziehe sich nicht nur auf Getreide und Speiseöl, sondern auf viele andere Produkte wie Stoffe, Elektronikartikel und vieles mehr.

Hinzu kämen die massiv gestiegenen Energiepreise, die ebenfalls bezahlt werden müssten. „Wir gehen von vier bis acht Wochen aus, bis sich die Lieferketten wieder annähernd normalisiert haben“, so Fitterer – Stand heute.

„Give your hand to Ukraine“ steht in der Windschutzscheibe eines Lastkraftwagens auf der Autobahnraststätte. Viele ...
„Give your hand to Ukraine“ steht in der Windschutzscheibe eines Lastkraftwagens auf der Autobahnraststätte. Viele ukrainische Lastkraftwagenfahrer kehren nach eigenen Angaben in ihre Heimat zurück, um vor Ort zu helfen. | Bild: Ole Spata

Lastwagen-Fahrer gesucht

Hinzu kommt ein weiteres Problem. „Uns fehlen Fahrer,“ ergänzt Roland Fitterer. Auch weil viele von ihnen in die Ukraine zurückgekehrt seien, um dort zu helfen. Daher sei man im Gespräch mit Bund und Ländern, um etwa das Nachtfahrverbot für eine gewisse Zeit aufzuheben: „Damit wir die Versorgung mit den bestehenden Fahrern aufrechterhalten können“, so der südbadische Handelsverbands-Chef.

Baden-Württemberg habe zwar schon mit einer solchen vorübergehenden Aussetzung reagiert. „Aber das gilt noch nicht bundesweit“, bedauert der Präsident. Um flexibel zu sein, wäre aus Fitterers Sicht bundesweit auch die Aussetzung des Abladeverbots vor 6 Uhr wichtig, auch das nur für eine begrenzte Dauer, um den Lieferverkehr aufrecht erhalten zu können.