Selbst der Keller des Rathauses lief voll. Anfang Juni lieferte sich Manching einen heftigen Kampf gegen das Hochwasser. Die Paar, sonst ein harmloser Donauzufluss, war nach starken Regenfällen über die Ufer getreten. In dem oberbayerischen Städtchen vor den Toren Ingolstadts wurden Tausende Sandsäcke gefüllt, die Feuerwehr rollte Schläuche aus und setzte Pumpen in Betrieb.
Mit Technik kennen sich die Menschen in Manching aus. Vor allem, wenn es um fliegende Wehrtechnik geht. Der Name des ansonsten unauffälligen 11.000-Einwohner-Orts, der nur eine einzige Tankstelle hat, ist eng verbunden mit Düsenjägern wie dem Starfighter und der Phantom oder dem Lastesel Transall, die der deutschen Luftwaffe jahrzehntelang dienten.
Ein unauffälliges Schild zeigt „Zum Flugplatz“
Ein plötzliches Donnern lenkt den Blick des Besuchers zum Himmel. Es verzieht sich schnell in die niedrige Wolkendecke. Wer in Manching lebt, kennt es gut. Das nüchterne Hinweisschild „Flugplatz“ zeigt, warum. Zum Fliegerhorst der Bundeswehr sind es von der Stadtmitte mit Sparkasse und Bäcker kaum fünf Autominuten.
Ins Auge fallen indes weder Tower noch Flugzeughangars, sondern das Ensemble moderner Bürogebäude, hinter denen sich riesige Werkhallen ausdehnen. 5800 Menschen beschäftigt hier der Hersteller Airbus Defence and Space. Er setzt hier eine Tradition fort, die vor 100 Jahren mit der Herstellung von BMW-Flugmotoren begann.
Jeder Mitarbeiter ist sicherheitsüberprüft
Seit mehr als 20 Jahren ist es der Eurofighter „Typhoon“, dessen Endmontage für die Bundeswehr Airbus in Manching übernimmt. Schauplatz dafür ist Halle 304, in der man – wie bei allen Rüstungsherstellern – nur selten einen Journalisten sieht. Denn für Tage der offenen Tür ist dieser Ort nicht geeignet. Hier entsteht eines der fortschrittlichsten Kampfflugzeuge der Welt. Jeder, der hier arbeitet, hat eine Sicherheitsüberprüfung hinter sich.
Immerhin. Während Reporter-Smartphones bei Mercedes oder Porsche (Erlkönig!) abgegeben werden müssen, ist Fotografieren nicht verboten. Doch die Bilder werden einzeln überprüft. Es gibt einige Länder, in die Details aus dieser Halle nicht gelangen sollten. Namen nennt man keine. Aber es ist klar, wer gemeint ist. Nicht erst seit in der Ukraine der russische Angriffskrieg tobt, schützen Rüstungsbetriebe ihre Geheimnisse – nicht zuletzt, weil es Kunden so wollen.
In neun Länder wurde der Jet bislang exportiert. Hauptkunden sind die vier Herstellernationen Deutschland, Großbritannien, Italien und Spanien. Daneben fliegt Österreich die Maschine sowie Saudi Arabien und die Golfstaaten Katar, Oman und Kuwait.

Geheimnisse trägt der Eurofighter eine Menge in sich, und es werden immer mehr. Inzwischen wird an der vierten Generation des „Typhoon“ gebaut. „Ursprünglich wurde er als Luftüberlegenheitsjäger entwickelt“, sagt Mattias Koch, Leiter der Vertriebskampagnen für den Eurofighter. „Er wurde dann zu einem Mehrzweckkampfflugzeug weiterentwickelt.“

Aus dem Abfangjäger ist ein einsatzerprobtes Mehrzweckwaffensystem geworden, das zukünftig gegnerische Luftverteidigungssysteme stören oder Langstreckenwaffen wie den Taurus-Marschflugkörper tragen kann. Was heute noch der Veteran Tornado übernimmt, der bis 2030 ganz ausgemustert wird, schultert künftig auch sein Nachfolger.
Technik-Dschungel auf blitzblankem Boden
Von dieser Fähigkeit ist in der Werkhalle für den Laien noch nichts zu sehen. Ein breiter Mittelgang trennt rechterhand einzelne Montagestationen, intern „Docks“ genannt. Jenseits einer auf den blitzblanken grauen Boden aufgemalten roten Linie, die Sicherheitsabstand anmahnt, beginnt ein Dschungel aus Technik.
Bildschirme leuchten auf, Äste des Kabelbaums ragen aus Öffnungen des sechs Meter langen Rumpfmittelteils. Dies liefert der Hersteller Premium Aerotec aus Augsburg an. Beschäftigte in blauen Overalls tauchen mit dem Oberkörper in Hohlräume ein und lassen den Akkuschrauber singen.

Die Beplankung des aluminiumverstärkten Rumpfsegments mit Kohlefaserkunststoff (CFK) spart Gewicht und erhöht die Lebensdauer unter extremen Bedingungen. Jetzt wird das Innenleben eingebaut. Elektrik, Pneumatik sowie Hydraulik- und Kraftstoffleitungen. Ein Eurofighter schluckt 50 Kilometer Kabel.
Systeme werden ständig getestet
Alle Systeme werden fortlaufend getestet. Dafür braucht es Dutzende Prüfkabel, die die Testgeräte mit einem Datenstrom versorgen. Nur Spezialisten, die intensiv vom Fach sind, blicken durch. Nach dem Abschluss der dritten Tranche des Eurofighters konnte Airbus diese Fachkräfte bei der Wartung dieses und anderer Jets wie dem Tornado parken. Für vier Jahre.

Jetzt werden sie wieder gebraucht, denn die Bundesregierung hat 2020 die Bestellung von 38 weiteren Eurofightern beschlossen, davon sind acht Zweisitzer für die Ausbildung. Die neuen Maschinen sollen Jets des ersten Bauloses ersetzen, weil diese auf das Ende ihrer Dienstzeit zusteuern. Der Austausch kostet den Steuerzahler 5,5 Milliarden Euro. Vertriebsleiter Koch erklärt, welche Bedeutung dieses Auftragsvolumen hat und wie der Staat durch Steuerrückflüsse profitiert:

Die stillgelegte Endmontagelinie wurde im vergangenen Jahr aus dem Dornröschenschlaf geweckt, geplant ist eine Produktionsrate von bis zu zehn Jets jährlich. 40 Beschäftigte arbeiten in der Frühschicht, 30 in der Spätschicht in der Halle.
Die Auslastung des Werks ist gesichert, zumal Bundeskanzler Olaf Scholz im Juni bei der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung ILA in Berlin die Beschaffung von zusätzlichen 20 „Typhoon“ angekündigt hat.
Wer durch die Ausschreibung neuer Stellen einen Job bekommt, kann also zuversichtlich in die Zukunft sehen. Der Eurofighter – dessen Wartung und ständige Modernisierung ebenfalls in Manching vorgenommen wird – soll gemäß der aktuellen Beauftragung bis 2030 vom Band laufen, länger, wenn Nato-Partner weitere Bestellungen aufgeben, was gut möglich ist.
Schwierige Suche nach neuen Fachkräften
Allerdings stößt die Taktung der Produktion auf Grenzen. „Mitarbeiter zu finden ist schwer, sie sind nicht gerade zahlreich verfügbar auf dem Markt“, sagt Gerold Becker, der Leiter der Serienfertigung. Die Anforderungen sind hoch. Bei Airbus gibt es zwar umfangreiche Qualifikationsprogramme, „aber selbst bis man Fachkräfte selbstständig einsetzen kann, kann es über ein Jahr dauern“, sagt Becker.

Denn die Verantwortung für ein Hightech-Waffensystem legt die Hürden hoch. Die Zulieferung von Baugruppen durch die Partner aus Großbritannien, Italien und Spanien erhöht die Herausforderung um den Eurofighter zusätzlich. Sein ungewöhnliches Design – auffällig sind die Enten-Flügel an der Rumpfnase – ermöglicht im Luftkampf ungewöhnliche Manöver.

Dafür bringt die Technik den Flieger in eine aerodynamisch instabile Fluglage, die der Pilot ohne Unterstützung des sogenannten „Flight Control Computers“ niemals beherrschen könnte. Damit er Herr der Lage bleibt, assistieren elektronische Systeme. Der Hersteller Hensoldt in Immenstaad am Bodensee ist hier ein wichtiger Lieferant. 120 Firmen sind in Deutschland am Projekt Eurofighter beteiligt, was sich auf rund 25.000 Arbeitsplätze auswirkt.
Integration in das neue Future Combat Air System FCAS
Der „Typhoon“, der noch bis 2060 fliegen soll, soll auch im geplanten europäischen Luftkampfsystem FCAS (Future Combat Air System), das ab 2040 zum Einsatz kommen soll, eine tragende Rolle spielen. Daher wird bereits eine neue Cockpit-Generation mit Großformat-Displays entwickelt, weil Touchscreens den Piloten künftig die Informationsverarbeitung und die Arbeit im Cockpit erleichtern.
„Piloten sollen in Zukunft auch unbemannte fliegende Plattformen koordinieren können“, sagt Mattias Koch. Digitalisierung und Vernetzung ermöglichen die enge Zusammenarbeit. Bei der ILA wurde dazu das „Wingman“-Konzept vorgestellt, eine Kampfdrohne, die der Eurofighter-Pilot kontrolliert und die für riskante Aufgaben eingesetzt werden soll.

Nachdem die Politik die Weichen gestellt hat, werden Projekte wie FCAS und Eurodrohne in Manching mit Nachdruck vorangetrieben. Die Erfahrung mit Flugtechnik von übermorgen ist groß. Am gut bewachten Airbus-Tor verabschiedet den Besucher ein etwa acht Meter langes graues Fluggerät ohne Cockpit.
Es handelt sich um den Drohnentechnologie-Demonstrator Barracuda, der hier entwickelt, gebaut und getestet wurde. Vor 18 Jahren absolvierte er seinen Erstflug in Spanien, bei dem er autonom flog. Bei Airbus nennt man ihn den „Vater von allen“, weil viele seiner Technologien in zukünftigen unbemannten Flugsystemen weiterfliegen werden.