Corona scheint im Griff, doch unter Hoteliers, Reiseveranstalter und Flughafenbetreiber will nur bedingt Aufbruchstimmung aufkommen. Denn auch wenn man theoretisch reisen könnte: In vielen Fällen bleibt man dann doch zu Hause. Vor allem das lukrative Geschäft mit den Geschäftsreisenden will nicht anspringen.

Tatsächlich haben viele Unternehmen festgestellt, dass die Besprechung vor Ort in vielen Fällen gar nicht sein muss. „Die letzten Monate haben gezeigt, dass die digitale Zusammenarbeit gut funktioniert. Neue digitale Formate haben sich innerhalb von kurzer Zeit als attraktive Alternativen etabliert“, heißt es beispielsweise aus der Daimler-Zentrale in Stuttgart.

Weniger Reisen, mehr digital

Beim weltgrößten Automobilzulieferer Bosch wurde die Reisetätigkeit auf ein notwendiges Mindestmaß beschränkt. „Unsere Reisekosten weltweit reduzierten sich 2020 um rund 80 Prozent, das Volumen für Flugreisen unserer Mitarbeiter in Deutschland sank um 90 Prozent“, teilt der Technologiekonzern mit.

Auch in der Region bestätigt sich dieses Bild. Der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim, der auch in Biberach einen großen Standort betreibt, hat in der Corona-Zeit nach eigenen Angaben mehr als 100 Millionen Euro an Reisekosten gespart.

Geschäftsreisen werden seltener – denn die digitalen Alternativen haben sich bewährt und sparen Budget.
Geschäftsreisen werden seltener – denn die digitalen Alternativen haben sich bewährt und sparen Budget. | Bild: Christin Klose

Dem Geschäftserfolg hätten Homeoffice und Video-Konferenzen nicht geschadet. Drum werde auch künftig weniger gereist. Das Pharmaunternehmen Vetter in Ravensburg geht ebenfalls von weniger Dienstreisen aus. Videokonferenzen hätten besser funktioniert als erwartet.

Erfolgsmodell virtuelle Konferenz

Für den Dieselmotorenspezialisten Rolls-Royce Power Systems in Friedrichshafen sind virtuelle Veranstaltungen sogar ein Erfolgsmodell. So hätten Internet-Symposien, also wissenschaftliche Konferenzen, überwältigend viele Zuschauer gehabt – mit Teilnehmern, die vielleicht nicht extra angereist wären, hieß es.

Das sieht man bei ZF in Friedrichshafen ähnlich. Wie Konkurrent Bosch will man auf etwa jede dritte Reise verzichten, die noch vor Corona absolviert wurde. Auch die Art des Reisens werde sich ändern: Innerhalb Deutschlands und Europas würden Auto und Zug die Hauptverkehrsmittel sein und weniger das Flugzeug.

Auswirkungen auf die Reisebranche

Dieser Schwenk der Unternehmen in der Bodenseeregion dürfte massive Auswirkungen auf die Reisebranche haben. Dem Flughafen in Friedrichshafen dürfte der neue Trend jedenfalls noch tiefere Sorgenfalten bescheren. Wie berichtet, müssen Stadt und Bodenseekreis dem klammen Airport mit 44 Millionen Euro unter die Arme greifen.

Davon sind 14 Millionen Euro für das operative Geschäft vorgesehen, das sich aktuell nicht trägt. Zwischen 27. Juni und 8. Juli sind nicht einmal ein Dutzend Abflüge geplant. Typische Ziele von Geschäftsreisenden wie Berlin oder Frankfurt sucht man Friedrichshafen vergeblich.

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Weniger Flugbetrieb

Aber auch am Landesflughafen Stuttgart ist die Stimmung gedrückt. Drei von vier Terminals sind geschlossen. Wo sich vor Corona bereits morgens um 6 Uhr Tausende durch die Sicherheitsschleusen drängten, herrscht heute gespenstische Ruhe. Die spöttisch „Heldenflieger“ genannten Frühmaschinen, die früher mit Managern meist voll besetzt waren, bleiben am Boden.

Stuttgart ist derzeit allenfalls zu einem Viertel ausgelastet. Vor Corona hatten die Geschäftsreisenden ein Drittel des Umsatzes von rund 300 Millionen Euro eingebracht. Jetzt hofft man, dass die Reiselust der Touristen im Laufe des Sommers die Lücke wenigstens etwas schließt.

Einbußen für Restaurants und Hotels

Aber nicht nur die Flughäfen leiden unter der neuen Reise-Unlust der Firmen. Weniger Geschäftsreisende bedeutet auch weniger Restaurantbesuche und Übernachtungen. Im ersten Quartal brachen die Umsätze des Gastgewerbes im Land um 64 Prozent ein – die der Hoteliers sogar um 75 Prozent.

Gleichwohl zeichnet Daniel Ohl, Geschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes Baden-Württemberg (Dehoga), ein differenziertes Bild. So müssten sich die Anbieter im Großraum Stuttgart, wo der Anteil der Geschäftsreisenden 70 Prozent beträgt, nach neuen Märkten orientieren.

Den Häusern am Bodensee und im Schwarzwald sei es indes teilweise gelungen, das fehlende Tagungsgeschäft mit Touristen auszugleichen. Dort sei 2020 gar nicht so schlecht gewesen.

In dieser Entwicklung sieht Ohl sogar eine Chance: „Viele Menschen haben entdeckt, dass man auch bei uns im Land einen sehr schönen Urlaub verbringen kann.“ Nun gehe es darum, diese neue Kundschaft langfristig an sich zu binden und so den Rückgang bei den Geschäftsreisen zu kompensieren.

Wieder Präsenzveranstaltungen

„Man muss wohl davon ausgehen, dass Geschäftsreisen weniger werden, das Budget wird wohl nicht mehr so hoch sein wie zuvor“, ergänzt Ines Kleiner, Dehoga-Geschäftsführerin in Konstanz. Viele Unternehmen planten zwar jetzt schon wieder Veranstaltungen in Präsenz. Es werde allerdings alles langsam anlaufen und auch weniger werden.

wvib-Hauptgeschäftsführer Dr. Christoph Münzer
wvib-Hauptgeschäftsführer Dr. Christoph Münzer | Bild: Ernst Zimmermann

„Es bleibt abzuwarten, was sich tatsächlich realisiert“, so Kleiner. Christoph Münzer, Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbandes der industriellen Unternehmen in Baden (WVIB), geht ebenfalls davon aus, dass sich im Laufe der Zeit die Reisetätigkeit wieder intensiviert, wenn auch nicht wie noch vor Corona: „Kaufleute und Controller träumen von einem Rückgang der Geschäftsreisen und von mehr Videocalls.“ Das spare Geld und schütze die Umwelt.

Doch Münzer sieht auch die andere Seite: „Vertrieb und Kundendienst sehnen sich nach direktem Kundenkontakt. Nach einem Jahr vor dem Bildschirm weiß man, was geht und was nicht. Die Mischung macht‘s.“