Not macht erfinderisch, Personalnot erst recht: In Niedersachsen hat der Rüstungskonzern Rheinmetall vor wenigen Tagen ein Modellprojekt angekündigt – Fachkräfte, die in anderen Branchen vor der Entlassung stehen, umzuschulen und ins eigene Unternehmen einzugliedern.

Hunderte Angestellte des kriselnden Autozulieferers Continental könnten so in einem ersten Schritt zu Rheinmetall wechseln. Am 14. Juni unterzeichneten die beiden Unternehmen eine Absichtserklärung, um „den in den nächsten Jahren stark wachsenden Personalbedarf von Rheinmetall teilweise durch die von der Transformation betroffenen Beschäftigten von Continental zu decken“, wie es heißt.

Rüstungsunternehmen wachsen – auch bei uns

Wäre das auch ein Modell fürs südliche Baden-Württemberg? Mit Unternehmen wie Diehl Defence, Airbus, Hensoldt, Rheinmetall, Heckler & Koch, Junghans Microtec, dem Panzermotorenbauer Rolls-Royce-Power-Systems und vielen abhängigen Firmen zählt die Region Schwarzwald-Bodensee zu den fünf größten Rüstungs-Clustern bundesweit. Die Unternehmen wachsen und suchen Arbeitskräfte.

Baden-Württembergs Süden ist aber auch Automobilzulieferer-Land. Und da sieht die Lage anders aus. Nach Jahren der Krise infolge des Diesel-Skandals und dem Übergang zu neuen Antrieben stecken viele Branchenfirmen in der Bredouille. Deutschlands zweitgrößter Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen beispielsweise tritt massiv auf die Sparbremse und streicht Stellen im Inland. Automobil-Beschäftigte in Rüstungsjobs unterzubringen, könnte hier ein Weg sein. Aber wie schätzen es die Betroffenen ein?

Kammern und Sozialpartner sehen in dem Rheinmetall-Ansatz Potenzial auch für die Region. „In Zeiten der Transformation machen solch schnelle Lösungen mit Blick auf Unternehmen und Beschäftigte bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten durchaus Sinn“, sagt etwa Thomas Albiez, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwarzwald-Baar-Heuberg, dem SÜDKURIER.

Sieht in dem Rheinmetall-Ansatz auch Potenzial auch für die Region: Thomas Albiez, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer ...
Sieht in dem Rheinmetall-Ansatz auch Potenzial auch für die Region: Thomas Albiez, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Schwarzwald-Baar-Heuberg. | Bild: IHK

In pragmatischen und wenig bürokratischen Ansätzen, Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt auszubalancieren, sieht er Chancen. Diese seinen auch „kein Einzelfall“. „Wir beobachten das auch bei kleinen und mittelständischen Unternehmen in unserer Region“, sagt Albiez. Jedes Engagement, dass dazu beitrage, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu vermitteln, sei in der derzeitigen Situation zu begrüßen.

Ähnlich sieht es die IG Metall in Baden-Württemberg. Eine Sprecherin sagt dem SÜDKURIER, Menschen in Beschäftigung zu halten, sei gut und richtig. Eine Arbeitsmarktdrehscheibe, wie sie Rheinmetall und Continental nun vereinbart haben, könne durchaus eine Möglichkeit dafür sein. Allerdings verweist die Gewerkschaft darauf, Tarifverträge und Arbeitsstandards aufrecht zu erhalten, auch wenn Arbeitnehmer zwischen den Branchen wechseln.

Gut ausgebildete Facharbeiter werden umworben

Und auch bei ZF Friedrichshafen ist man der Meinung, Modelle wie zwischen Continental und Rheinmetall in Niedersachsen seien „gerade in Zeiten des Fachkräftemangels eine gute Chance, die oft bemühte Win-win-Situation zu erreichen“. Der Stiftungskonzern hat vor wenigen Monaten ein sechs Milliarden Euro schweres Sparprogramm angekündigt und will in Deutschland Jobs abbauen.

Job-Drehscheiben wie jetzt bei Rheinmetall und Conti brauche es dafür aber nicht zwingend. Wo ZF Stellen streicht, etwa im Werk Gelsenkirchen, seien gut ausgebildete ZF-Facharbeiter „gefragt oder umworben“, sagt ein Sprecher. Ausschließen will man das aber auch nicht. Man äußere sich allerdings erst, „wenn Vereinbarungen erzielt werden konnten“.

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Auch der Mechatronik-Spezialist Marquardt aus dem Landkreis Tuttlingen streicht Jobs. Um den betroffenen Mitarbeitern eine Perspektive zu geben, vermittle man aber „kein Personal gezielt in die Rüstungsbranche“, sagt ein Marquardt-Sprecher. Vielmehr kooperiere man schon seit Jahren mit mehreren Firmen aus verschiedenen anderen Branchen, wenn Personalabbau das nötig mache. In den vergangenen Jahren sei es Marquardt so gelungen, „viele Mitarbeiter etwa in Betriebe in die Schwarzwald- oder Bodenseeregion zu vermitteln“, so der Sprecher des 10.000-Mitarbeiter-Unternehmens.

Eines jener Unternehmen, die vom aktuellen Rüstungsboom profitieren, ist der Panzermotorenbauer RRPS aus Friedrichshafen. Von ihm heißt es, Rolls-Royce sei seit Langem in regelmäßigem Kontakt mit anderen Betrieben, um für bestimmte Fälle Personal auszutauschen. Nach dem Modell Rheinmetall-Continental hört sich das nicht an.

Träge zieht die Wirtschaft wieder leicht an. In vielen Branchen herrscht aber immer noch Katerstimmung. Die Industrieproduktion stagniert, auch weil der Außenhandel nur langsam in Schwung kommt. Davon betroffen sind etwa der Maschinenbau, die Automobilzulieferer und die Chemiebranche – allesamt Zugpferde der Wirtschaft im Süden Baden-Württembergs. Mehrere Unternehmen in diesen Bereichen haben in den vergangenen Monaten angekündigt, Jobs abzubauen.

In anderen Bereichen aber stehen die Vorzeichen auf grün. Die Rüstungsbranche beispielsweise profitiert von der immer heikleren Weltlage und sucht qualifiziertes Personal. Und auch sie ist südlich der Donau und im Schwarzwald stark vertreten.