„Hier wohnt eine alleinstehende Frau, daneben auch. Und dort drüben ein Mann mit Hund.“ Julia Lorenz, 33, kennt die Bewohner in der Einfamilienhäuser-Straße ihrer Bodensee-Gemeinde nur zu gut. Regelmäßig geht sie hier mit ihren beiden Kindern spazieren. Und träumt davon, wie es wäre, in einem dieser Häuser zu wohnen – statt zu viert in der knapp 70 Quadratmeter großen Wohnung. „Seit vier Jahren möchten wir gern umziehen, aber der Markt ist absolut leer gefegt und die Preise werden immer unverschämter“, sagt Julia Lorenz.
80.000 Einwohner – 70 Hausverkäufe
Sie lebt zusammen mit rund 125.000 anderen Einwohnern im östlichen Bodenseekreis. Dort wurden im vergangenen Jahr dem zuständigen Gutachterausschuss zufolge etwa 240 Kaufverträge für Einfamilienhäuser geschlossen, im Jahr 2019 waren es 220. In Konstanz mit seinen 80.000 Bewohnern wechselten im Jahr 2019 gerade einmal 70 Einfamilienhäuser, Doppelhaushälften und Reihenhäuser ihren Besitzer, berichtet der dortige Gutachterausschuss.
„Für Familien ist der derzeitige Markt wirklich brutal. Ich mache meinen Job seit 27 Jahren und derzeit ohne Kontakte etwas zu finden ist wirklich extrem schwer“, sagt Bernd Wackershauser, Geschäftsführer der Rewa Immobilien GmbH mit Sitz in Radolfzell und Konstanz.
Dabei gibt es heute nicht weniger Häuser als vor 27 Jahren. Aber wer ein Eigenheim hat, behält es inzwischen oft, obwohl es nach dem Auszug der Kinder oder dem Tod des Partners viel zu groß geworden ist. Die Hälfte der alleinstehenden Ruheständler mit Wohneigentum wohnt auf 100 Quadratmeter. Das geht aus der Studie „Wohnen 2020“ hervor. Scheidungen und steigende Lebenserwartungen verbunden mit dem Tod eines Partners befördern diesen Effekt. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf in Deutschland liegt dem Statistischen Bundesamt zufolge bei 47 Quadratmetern. Bei den Senioren liegt dieser bei 60 Quadratmetern, der durchschnittliche Erwerbstätige lebt auf 40 Quadratmetern.
Senioren haben deutlich mehr Wohneigentum als 40-Jährige
Das Fazit der Studie: Millionen Quadratmeter Wohnfläche könnten frei werden, wenn alleinstehende und umzugswillige Senioren ihre zu groß gewordenen Wohnungen und Häuser zugunsten altersgerechter Wohnungen tauschen würden. Immerhin besitzen in der Generation 60 plus fast 60 Prozent eine Immobilie, die sie meist auch selbst bewohnen. Bei den 30- bis 40-Jährigen sind es 45 Prozent.
Bereit dazu, auf Wohnraum im Alter zu verzichten, ist laut der Studie jeder zweite Deutsche. Und doch geben sehr wenige Senioren ihre Häuser auf. „Bei unseren älteren Kunden kommt das vielleicht fünf bis zehnmal im Jahr vor, dass sie ihr Haus verlassen und in eine Wohnung ziehen“, sagt Wackershauser.
Wer umzieht, will sich nicht verschlechtern
Der Hauptgrund für das Festhalten am Haus ist ihm zufolge, dass sich die Senioren beim Wohnen nach ihrem Umzug nicht verschlechtern wollen. Gefragt sei häufig ein Neubau, gern in zentraler Lage. „Kaufe ich dort eine Wohnung, bleibt von den 500.000 Euro, die mein Haus vielleicht bringt, nichts mehr übrig“, sagt Wackershauser. Früher habe man ein Haus verkauft, eine Wohnung gekauft und noch genügend Geld auf dem Konto gehabt, um beispielsweise reisen zu können. „Das war dann durchaus ein Anreiz“, sagt er.

Eine die den Schritt Hausverkauf im Alter gewagt hat, ist Angelika Schuler. Die pensionierte Grundschullehrerin hat vor drei Jahren ihr Zwei-Familienhaus in Orsingen-Nenzingen verkauft und ist in eine kleinere Wohnung nach Radolfzell gezogen. „Wäre mein Mann im Jahr 2015 nicht plötzlich verstorben, wäre ich nicht im Traum auf die Idee gekommen, auszuziehen“, erzählt die 74-Jährige.
Aber allein wuchs ihr die Arbeit in Haus und Garten auf dem 1000 Quadratmeter-Grundstück schnell über den Kopf. „Ich hatte das Gefühl, in einem Hamsterrad zu sein. Ständig war etwas kaputt.“ Und wohlgefühlt hat sie sich allein mit all dem Platz auch nicht mehr. „Ich habe mich abends gar nicht mehr in den Garten gesetzt, ich konnte das nicht mehr genießen.“
Loslassen erfordert Kraft und Mut
Ganz anders geht es ihr jetzt in ihrer Neubau-Wohnung in Radolfzell. Dort wohnt Angelika Schuler altersgerecht mit Aufzug, kann alle Einkäufe und Arztbesuche zu Fuß erledigen. Vor allem aber hat sie viel Freizeit, um Wandern und Radfahren zu gehen. „Statt im Garten zu arbeiten, bestaune ich jetzt andere Gärten.“ Einige ihrer Freundinnen, die ebenfalls allein in einem Haus leben, bewundern sie dafür, dass sie diesen Schritt gewagt hat. Auch ihnen wird das Eigenheim immer mehr zur Last, sie schaffen es aber nicht, loszulassen. „Dafür braucht man auf jeden Fall viel Mut und Kraft“, sagt Schuler.
Ein Mühlhofener hat sein Haus für eine Wohnung verlassen – es hat sich gelohnt
Ganz ähnlich ist es auch Bernd Hofmann ergangen. Auch er lebte schon eine Weile allein in einer Doppelhaushälfte in Mühlhofen. Für den Garten brauchte er einen Gärtner, die Treppen im Haus wurden für ihn immer mehr zum Hindernis. Überrascht war er dennoch, als eines Tages eine Frau mit Kleinkind auf dem Arm an seiner Tür klingelte und ihn fragte, ob er ihr nicht ihr Haus verkaufen möchte, sie hätte da sowas gehört.
„Wir hatten zu diesem Zeitpunkt seit vier Jahren nach einem Haus gesucht und ich musste diese Chance einfach nutzen“, erzählt Bettina King aus Mühlhofen. Ihr Mut wurde belohnt, die fünfköpfige Familie konnte aus ihrer Wohnung ins Haus umziehen. Bernd Hofmann halfen sie dabei, eine neue Wohnung zu finden. Sein Leben in einem Neubau in Daisendorf genießt der 79-Jährige heute. Er fühle sich rundum wohl.