Ob in der Gastronomie, im Handwerk oder in der Industrie: Der Fachkräftemangel macht vor keiner Branche Halt. Um dieses nationale Problem zu lösen, haben sich Industriepräsident Siegfried Russwurm sowie Ex-Kanzlerkandidat und Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel für eine 42-Stunden-Woche ausgesprochen.

„Wollen wir Menschen nicht lieber wieder mehr verdienen lassen, indem wir etwas länger arbeiten?“, sagte der 62-jährige Gabriel in einem Interview. „Das ist eine Frage, die man in Tarifverhandlungen klären muss, denn mit Zuwanderung allein werden wir das Fachkräfteproblem nicht lösen.“ Obwohl dieser Lösungsansatz logisch erscheint, sprechen die folgenden Argumente dagegen.

1. Mehr Arbeit macht nicht produktiver

Die meisten Menschen können sich laut Untersuchungen der Universität Stanford nur zwei bis drei Stunden wirklich auf ihre Aufgaben konzentrieren. Nach dieser Zeit lasse die Produktivität nach, so die Autoren. Dass weniger mehr ist, haben auch Studien aus Großbritannien und Deutschland bewiesen.

Ein Monteur arbeitet im Werk des Automobilzulieferers ZF in Friedrichshafen an einem Getriebe für Lastwagen.
Ein Monteur arbeitet im Werk des Automobilzulieferers ZF in Friedrichshafen an einem Getriebe für Lastwagen. | Bild: Felix Kästle/dpa

Anstatt die Wochenarbeitszeit hochzuschrauben, sollten Politik und Wirtschaft daher lieber über eine Verkürzung nachdenken – so wie in Island: Der Inselstaat experimentierte seit 2015 in zwei Feldstudien mit einer Vier-Tage-Woche. Das Ergebnis: gleiche Produktivität, weniger gestresste Isländer und eine bessere Work-Life-Balance.

2. Frauen schauen in die Röhre

Ein Anstieg der Arbeitszeit könnte für mehr Belastung für diejenigen sorgen, die bereits jetzt abseits der Produktionsbänder die Gesellschaft zusammenhalten. Kindererziehung, Hausarbeit oder die Pflege von Angehörigen: Frauen in Deutschland verbringen durchschnittlich 52,4 Prozent mehr Zeit mit unbezahlter Sorgearbeit als Männer. Das sind 87 Minuten pro Tag, so die Zahlen des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2019.

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Das hat bereits jetzt wirtschaftliche Konsequenzen: Frauen arbeiten deshalb häufiger in Teilzeit, erhalten weniger Gehalt und haben weniger Anspruch auf Alterssicherungen. Der Anstieg der Arbeitszeit würde diese Lücke – die sogenannte Gender Care Gap – noch weiter auseinanderziehen. Und sie könnte dafür sorgen, dass noch mehr Frauen in Teil- statt in Vollzeit arbeiten.

3. Neue Arbeitszeitmodelle müssen her

Mehr als jeder achte Arbeitnehmer in Deutschland hat im vergangenen Jahr Überstunden gemacht, so das Statistische Bundesamt. 29 Prozent der Betroffenen arbeiteten mindestens 15 Stunden mehr pro Woche. Solche Zahlen seien beunruhigend, sagt Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung.

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„Vor diesem Hintergrund wird noch einmal deutlich, wie unnötig und kontraproduktiv Diskussionen über eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit sind“, so Kohlrausch. Obwohl mehr Arbeit auch mehr Gehalt bedeute, würden Überstunden wohl kaum verschwinden. Kohlrausch fordert gegen den Fachkräftemangel daher Arbeitszeitmodelle, die Spielraum für eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und übrigem Leben lassen.

4. Deutschland brennt aus

Die Zahl der Fälle von Arbeitsunfähigkeit durch Burn-out-Erkrankungen steigt seit Jahren an, so die Zahlen der Krankenkasse AOK. Demnach lag diese im Jahr 2020 bei 5,5 Erkrankungen auf 1000 Mitglieder, 2011 waren es noch 4,8. Zudem fühlen sich mehr als ein Viertel der Deutschen häufig gestresst, bestätigt eine Studie der Technischen Krankenkasse.

Ein Mann fasst sich an die Schläfe: Permanenter Stress ist nicht gut für das menschliche Herz.
Ein Mann fasst sich an die Schläfe: Permanenter Stress ist nicht gut für das menschliche Herz. | Bild: Alexander Heinl/dpa

Zu den Stressfaktoren gehört unter anderem: zu viel Arbeit. „Je älter die Menschen, desto stärker der Zusammenhang zwischen Stress und schlechter Gesundheit“, schreiben die Autoren der Studie unter diesem Gesichtspunkt. „Das ist für eine alternde Bevölkerung wie in Deutschland ein besonderes Problem.“

5. Die Generation Z macht nicht mit

Die Jugend ist bekanntlich die Zukunft. Aber was, wenn sie sich nicht den Konventionen der Arbeitswelt beugen will? Laut einer Studie des Personaldienstleisters Randstad wollen mehr als die Hälfte der befragten Mitglieder der Generation Z (Jahrgänge 1995 bis 2010) in ihrem Arbeitsleben Karriere machen und viel Freizeit haben.

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72 Prozent der Befragten wollen zudem einen Sinn in ihrer Arbeit sehen. Was das genau bedeutet, wurde in der Studie nicht näher erklärt. Es bleibt jedenfalls zu bezweifeln, dass die junge Generation eine Arbeitswoche jenseits der 40 Stunden sinnvoll findet.