In der Branche hat das System Seltenheitswert. Die Vier-Tage-Woche gibt es im Handwerk selten, unter Schreinern erst recht, sagt Matthias Stader. Auf der Reichenau hat der Geschäftsführer von „Die Schreinerei“ das System bereits vor zwei Jahren eingeführt. Freitags arbeiten seine Mitarbeiter in der Regel nicht. Statt 39,75 arbeiten seine Angestellten nur noch 37 Wochenstunden – bei gleichem Gehalt. Kann das funktionieren? Und wie wirtschaftlich ist das überhaupt?

„Die Leistung der Mitarbeiter ist dadurch nicht geringer geworden“, so Stader. Im Gegenteil. Nach Angaben des Geschäftsführers ist sie sogar um 15 Prozent gestiegen: Das zeige sich sowohl am Umsatz als auch an der umgerechneten Stundenleistung. „Und meine Mitarbeiter sind happy“, sagt Stader.

Matthias Stader ist Geschäftsführer der Schreinerei auf der Reichenau. Er wollte das System einführen, um seinen Mitarbeitern längere ...
Matthias Stader ist Geschäftsführer der Schreinerei auf der Reichenau. Er wollte das System einführen, um seinen Mitarbeitern längere Erholungszeiten zu ermöglichen. Für ihn hat sich der Wechsel ausgezahlt: Der Umsatz ist seither gestiegen, sagt Stader | Bild: Moll, Mirjam

Am Freitag haben alle gelernten Schreiner frei. Mit dem neuen System arbeiten sie zwar täglich eine halbe Stunde länger, dafür fallen inzwischen kaum noch Überstunden an – und insgesamt arbeiten sie weniger. Trotzdem müssen sie beim Urlaub keine Abstriche machen. Weil ein Tag weniger pro Woche gearbeitet wird, bekommen die Mitarbeiter statt 30 zwar nur noch 24 Tage Urlaub, kommen aber genauso auf sechs Wochen Freizeit.

„Meine Angestellten kommen am Montag ausgeruht und motiviert zur Arbeit“, konstatiert Stader. Dass es den Mitarbeitern wirklich besser geht und sie mehr Leistung bringen, zeige sich auch am Krankenstand. Abgesehen von Coronafällen habe es nur sehr wenige Krankmeldungen gegeben, sagt der Geschäftsführer.

Fachkräftemangel zwingt zum Umdenken

Florian Kunze forscht an der Uni Konstanz zu Arbeitsbedingungen. Das Beispiel überrascht ihn nicht. Er sagt: „Selbst bei einfachen Tätigkeiten wie Verkäufer müssen die Arbeitsbedingungen verbessert werden, weil es an Bewerbern fehlt und immer wieder Angestellte abspringen.“ Er glaubt, dass die Branchen bald nicht mehr anders können, als ihren Mitarbeitern flexiblere Arbeitszeitmodelle anzubieten – ob nun mit einer Vier-Tage-Woche oder mit einer flexibleren Umsetzung der zu leistenden Arbeitszeit.

Florian Kunze forscht an der Uni Konstanz zu Arbeitsbedingungen. In der Pandemie beleuchtete er unter anderem den Umgang mit dem Homeoffice.
Florian Kunze forscht an der Uni Konstanz zu Arbeitsbedingungen. In der Pandemie beleuchtete er unter anderem den Umgang mit dem Homeoffice. | Bild: Universität Konstanz

Diese Erfahrung machte früher auch Stader. Azubis, die bei ihm eine Ausbildung machten, blieben in den seltensten Fällen. „In 27 Jahren ist nur ein Lehrling geblieben“, sagt Stader. Jetzt sehe das anders aus. Das neue Modell bringe auch Vorteile. Wer am Freitag noch einen Zuverdienst bestreiten wolle, könne das tun. Auch das trage zur Zufriedenheit bei. Und „die Kunden begrüßen das, weil die Schreiner effektiver arbeiten“, ergänzt der Geschäftsführer.

„Selbst und ständig, das stimmt einfach nicht mehr“, sagt Stader. Aber die „Arbeitermentalität“, die stecke eben bei vielen noch drin. Viele Stunden bedeuten aber nicht gleich viel Leistung, weiß auch Experte Kunze. Je länger die Arbeitszeit, desto eher nimmt die effektive Leistung ab. Durch den wachsenden Fachkräftemangel sind Betriebe aber ohnehin gezwungen, attraktivere Arbeitsbedingungen zu schaffen – und Mitarbeiter zu halten.

Mitarbeiter überzeugt von Vier-Tage-Woche

Philipp Renz ist seit 23 Jahren im Betrieb. Der 63-Jährige hat jetzt freitags Zeit für seine Enkel. Die Vier-Tage-Woche würde er nicht ...
Philipp Renz ist seit 23 Jahren im Betrieb. Der 63-Jährige hat jetzt freitags Zeit für seine Enkel. Die Vier-Tage-Woche würde er nicht mehr eintauschen wollen. | Bild: Moll, Mirjam

Bei Stader scheint das Experiment gelungen. Philipp Renz ist bereits seit 23 Jahren im Betrieb, inzwischen hat der 63-Jährige schon vier Enkel. Am Freitag ist für ihn nun Opatag. Trotzdem hat er das Gefühl, in den vier Tagen Arbeit mehr zu schaffen: „Die Motivation ist einfach größer, strukturierter an Projekte heranzugehen und sie zügig abzuschließen“, erklärt Renz.

Früher sei der Freitag ein halber Arbeitstag gewesen, an dem man ohnehin kaum etwas zu Ende bringen konnte, erinnert sich der erfahrene Schreiner. Zurückwechseln würde er nicht mehr wollen.

Montageaufträge einfacher abzuwickeln

Michael Schäffauer ist oft auf Montage unterwegs – die längeren Arbeitstage stören ihn nicht, zumal er zuvor oft Überstunden ...
Michael Schäffauer ist oft auf Montage unterwegs – die längeren Arbeitstage stören ihn nicht, zumal er zuvor oft Überstunden machte. Heute kommt das selten vor – und er hat jeden Freitag frei. | Bild: Moll, Mirjam

Für Michael Schäffauer, der in der Schreinerei die Montageaufträge übernimmt und viel unterwegs ist, ist das System ebenfalls ein Gewinn: „Am Anfang war ich skeptisch wegen der Auftragslage“, gesteht er.

Wenn er unterwegs ist, kamen früher oft Überstunden zusammen, weil die Zeit vor Ort nicht ausreichte. Durch die zusätzliche Arbeitszeit pro Tag komme das heute viel seltener vor, resümiert der 52-Jährige. Dafür habe er nun öfter Zeit, seine Kinder über ein verlängertes Wochenende zu besuchen, die schon ausgezogen sind.

Einen höheren Leistungsdruck empfindet er bei dem neuen System nicht: „Wenn ich etwas fertigstellen muss, dann gab es den Druck früher genauso“, erklärt er. Freitags wieder arbeiten will Schäffauer jedenfalls nicht mehr.

Auszubildende profitieren

Azubi Tilmann Koenen ist im zweiten Lehrjahr. Er hat die Werkstatt freitags für sich, um an eigenen Projekten zu arbeiten. Jeden vierten ...
Azubi Tilmann Koenen ist im zweiten Lehrjahr. Er hat die Werkstatt freitags für sich, um an eigenen Projekten zu arbeiten. Jeden vierten Freitag bekommt der 22-Jährige frei. | Bild: Moll, Mirjam

Auch die Auszubildenden profitieren von dem System. Sie müssen drei von vier Freitagen arbeiten, um neben der Berufsschule noch auf die Pflichtbetriebsstunden zu kommen, können freitags die Schreinerei für sich nutzen und an ihren eigenen Projekten arbeiten. Einer von ihnen ist Tilmann Koenen.

Der 22-Jährige ist im zweiten Lehrjahr, hat gerade in der Übergangszeit, als Stader die Vier-Tage-Woche einführte, angefangen. „Ich finde es gut“, sagt er über das neue System. Und er kann sich vorstellen, zu bleiben und seinen Meister zu machen. Staders Systemumstellung würde damit Früchte tragen.