Es war eine jener Inszenierungen, die Russlands Präsident Wladimir Putin so liebt. Als im Jahr 2018 die größte jemals von Russland gebaute Brücke auf die Halbinsel Krim im Schwarzen Meer feierlich eingeweiht wurde, war Putin ganz vorne dabei. Am Steuer eines orangen-farbenen LKW der Marke Kamaz führte er eine Fahrzeugkolonne über das 16 Kilometer lange Bauwerk ins völkerrechtswidrig annektierte Territorium an.
Gut möglich, dass Putin ohne Technik des Nutzfahrzeugzulieferers ZF Friedrichshafen bei dem Corso nicht weit gekommen wäre. Denn nicht selten steckt in Kamaz ZF-Technik. Bei Getrieben gehört der Stiftungskonzern vom Bodensee zu den wichtigen ausländischen Lieferanten der russischem Fahrzeugindustrie, namentlich des russischen Fahrzeug- und Panzerbauers Kamaz.
Keine Getriebe-Lieferungen mehr nach Russland
Die Geschäftsbeziehung hat Tradition. Schon im Jahr 2005 gründete ZF mit dem in der russischen Großstadt Nabereschnyje Tschelny ansässigen Hersteller ein Gemeinschaftsunternehmen namens ZF Kama, das einen einstelligen Millionenbetrag Umsatz jährlich erwirtschaftet und an dem die Friedrichshafener eine Mehrheit von 51 Prozent halten. Laut ZF werden in dem Werk rund eine Flugstunde östlich von Moskau „9- und 16-Gang-Schaltgetriebe der dritten Generation“ hergestellt.

Diese kommen in Kamaz-Fahrzeugen und bei „anderen russischen Herstellern sowie ausländischen Fabrikaten in Russland“ zum Einsatz, heißt es auf der ZF-Firmenwebseite. In diesem März wollte man noch weitergehen und die Produktion durch den Bau automatischer ZF-Traxon-Getriebe modernisieren – ein Schritt, zu dem es nach Angaben eines ZF-Sprechers nun aber „aktuell sicher nicht kommen“ werde.
Dass die ZF-Getriebe in Militärfahrzeugen und Panzern eingesetzt werden, ist seit 2014 ausgeschlossen. Um nicht unter die im Zuge der Krim-Annexion erlassenen Sanktionen des Westens zu fallen, vereinbarten ZF und Kamaz damals, die deutschen Getriebe nur in zivile Nutzfahrzeuge, etwa für die Landwirtschaft oder die Bauindustrie, einzubauen. Ein Umstand, den ein ZF-Sprecher jüngst dem „SWR“ bestätigte.

Dennoch hat der russisch-ukrainische Krieg die Planungen von ZF, aber auch einer ganzen Reihe anderer deutscher Fahrzeugbauer und Zulieferer, komplett über den Haufen geworfen. Galten Osteuropa und Russland lange als Hoffnungsmärkte, sieht es seit der Krim-Annexion 2014 anders aus.
„Viele positive Aussichten dort haben sich nicht bewahrheitet“, sagt Stefan Reindl, Automobil-Experte der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Nürtingen-Geislingen. Die politische Situation sei „Gift für die Wirtschaft“. Allein bei Automobilen seien die Absatzmärkte in den vergangenen Jahren um rund ein Drittel eingebrochen.

Und bald ist wohl gar nichts mehr davon übrig. So kündigte der weltgrößte Lastwagenbauer Daimler Truck Anfang der Woche an, seine Aktivitäten in Russland inklusive einer Kooperation mit Kamaz vorerst einzustellen. Und auch ZF teilte mit, alle Lieferungen von Bauteilen nach Russland zunächst zu beenden. „ZF analysiert in einer Taskforce die Umsetzung der erlassenen internationalen Sanktionsmaßnahmen und hat alle Lieferungen nach Russland eingefroren, auch die zum Gemeinschaftsunternehmen ZF Kama“, so ZF.
Jährliche Umsätze von bis zu 400 Millionen Euro stehen damit im Feuer. So viel liefert ZF nach früheren Angaben nach Russland und in die Ukraine, wobei die Russische Föderation nach Einschätzungen aus der Branche den weit überwiegenden Umsatzanteil ausmachen dürfte.
Kündigt sich eine Beschaffungskrise im Osten an?
Ob das Aus fürs Russland-Geschäft die Jobs in hiesigen Werken unter Druck bringt, ist bislang unklar. ZF äußert sich nicht zu möglichen Auswirkungen. Früheren Mitteilungen zufolge werden bei ZF-Kama in Russland Getriebe verbaut, die etwa aus den ZF-Werken in Friedrichshafen, Saarbrücken und Passau stammen.
Experte Reindl hält die Auswirkungen derzeit für überschaubar. Das müsse aber nicht so bleiben, sagt er. Insbesondere wenn sich die Krise auf weitere osteuropäische Länder ausweitet, sieht der Fachmann „erhebliche Probleme“ auf die deutsche Fahrzeugbranche zukommen. Der Grund: In den vergangenen Jahren haben viele deutsche Hersteller Produktion nach Osteuropa verlagert. „Wenn sich die Krise dort weiter verschärft kann die Beschaffung von Teilen stark beeinträchtig werden und die Lieferketten geraten zusätzlich unter Druck“, sagt er.