Kantine und Mensa waren einmal – der moderne Mensch verzehrt Burger und Bowls, Salat und Sandwiches unter freiem Himmel und jederzeit. Ein Kulturwandel mit Folgen: Überquellende Mülleimer, Verpackungsmüll und entsorgte To go-Becher an jeder Ecke.

Pappbecher lassen einen Mülleimer überquellen.
Pappbecher lassen einen Mülleimer überquellen. | Bild: Kay Nietfeld

Als erste Kommune in Deutschland erhebt Tübingen vom kommenden Jahr eine Verpackungssteuer bei Händlern, wenn diese Getränke oder Gerichte in Einweggeschirr oder -verpackungen abgeben. Dies hat der Gemeinderat der Universitätsstadt am Donnerstagabend beschlossen. „Die Wegwerfkultur lebt davon, dass die Städte mit Millionenaufwand den Müll beseitigen“, sagt Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer.

Oberbürgermeister Boris Palmer, hier auf einem Sofa im Tübinger Rathaus, hat den Gemeinderat beim Kampf gegen Müll hinter sich.
Oberbürgermeister Boris Palmer, hier auf einem Sofa im Tübinger Rathaus, hat den Gemeinderat beim Kampf gegen Müll hinter sich. | Bild: Sebastian Gollnow

Palmer kündigt an: „Damit ist in Tübingen jetzt Schluss. Wer Müll produziert, muss dafür bezahlen.“ Palmer erhält viel Lob – aber auch Kritik. Fragen und Antworten.

Ist es denn so schlimm mit dem Müll?

Tübingen hat ausgerechnet, dass der Verpackungsmüll von Speisen und Getränken in den Sommermonaten allein 80 Prozent des öffentlichen Mülls ausmacht. Im Jahr 2018 waren das in Tübingen rund 388 Tonnen.

Der Stadt entstehen durch Verpackungsmüll jährlich Personal- und Entsorgungskosten von geschätzten 700.000 Euro – Geld, das künftig diejenigen bezahlen sollen, die den Müll in Umlauf bringen.

Wie hoch wird die Steuer sein?

Ab Januar 2021 werden Einwegverpackungen und Einweggeschirr mit jeweils 50 Cent besteuert, für Einwegbesteck beträgt die Steuer 20 Cent. Bezahlen müssen die Steuer die Händler, die beispielsweise Mitnehm-Gerichte und -Getränke in nicht wiederverwendbaren Verpackungen verkaufen.

Wohin mit dem vielen Abfall? Auch Eisbecher gehören zum Wegwerfmüll.
Wohin mit dem vielen Abfall? Auch Eisbecher gehören zum Wegwerfmüll. | Bild: Patrick Seeger

Pro Mahlzeit werden aber maximal 1,50 Euro fällig. Befreiungen und Ausnahmen sind möglich für Kinder- oder Seniorenheime und ähnliche Einrichtungen. Märkte und Feste sind ausgenommen, ebenso zeitlich befristete Veranstaltungen. 

Ist die Steuer rechtens?

Palmer ist zuversichtlich. Die Stadt hat eigens ein Rechtsgutachten erstellen lassen. 1998 hatte das Bundesverfassungsgericht den Vorstoß der Stadt Kassel für eine Verpackungssteuer gekippt. Mittlerweile hat sich aber das dem Urteil zugrunde liegende Abfallgesetz des Bundes grundlegend geändert.

Was sagen die Kritiker?

Der örtliche Handel kritisiert die Steuer als eine Insellösung und fürchtet zusätzliche zusätzliche Bürokratie. Die IHK rechnet mit Klagen. Auch der Handelsverband Baden-Württemberg kritisierte den Tübinger Alleingang als „nicht sinnführend“. Schließlich stehe eine Novellierung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes und ab 2021 die Umsetzung der EU-Richtlinie an, die Einwegplastik verbietet.

Ein Geschäft in Tübingen wirbt für Getränke zum Mitnehmen.
Ein Geschäft in Tübingen wirbt für Getränke zum Mitnehmen. | Bild: Marijan Murat

Werden andere Städte nachziehen?

Davon geht der baden-württembergische Städtetag aus, so Dezernentin Susanne Nusser. „Speziell der wilde Müll hat in den letzten Jahren enorm zugenommen, für die Städte ist das ein riesiges Problem“, sagt sie und begrüßt den Vorstoß. „Wenn es nicht einmal einer versucht, passiert nichts“, so Nusser.