Blaulicht erhellt die Dunkelheit. Die feuchte Straße reflektiert die Blitze des Streifenwagens. Tobias Horn manövriert die Mercedes C-Klasse mit 90 Stundenkilometern durch die Stadt.

Sein Fahrstil presst Polizeihauptkommissarin Nicole Minge in ihren Beifahrersitz. Ihr Körper ist nach vorn gebeugt. Der Pferdeschwanz baumelt in den Kurven wie das Pendel einer antiken Standuhr von links nach rechts. Tick, tack. Tick, tack. Es muss schnell gehen. Ein junger Mann wurde ausgeraubt. Er wartet am Ortsausgang von Konstanz, im Industriegebiet, kurz vor der Tankstelle. Es ist 3.27 Uhr. Noch trennen Horn und Minge drei Kilometer vom Tatort.
Gut sechseinhalb Stunden zuvor: Als Nicole Minge am Polizeirevier Konstanz eintrifft, ist der Himmel noch blau. Auf die Dienstgruppenführerin wartet die Nachtschicht. In ihrem Büro bekommen ein Dutzend Kollegen Anweisungen. „Die Freitagsschicht ist unberechenbar. Es kann alles passieren“, schwört Minge ihre Kollegen ein.
Polizeioberkommissar Tobias Horn ist derweil auf dem Rückweg von einer berühmten Fast-Food-Kette. Stärkung. Bis die ersten Sonnenstrahlen Konstanz wachküssen, wird Horn im Dauereinsatz sein. Vier Streifenwagen überwachen die Dunkelheit. „Wir könnten mehr Polizisten gebrauchen. Aber die Personalsituation ist so, wie sie ist“, sagt Minge.
Die Sorgen der Polizei
Der Freitag bleibt ruhig. Verdächtig ruhig. Horn und Minge fahren dennoch wachsam an einschlägigen Plätzen vorbei. Schänzlebrücke, Fußgängerzone, Pausenhof. Nichts. Die Stadt wirkt wie ausgestorben. Menschliche Silhouetten bespielen ihr Schattentheater hinter Fensterscheiben und lassen erahnen: Die Nacht ist noch jung.
Um 1.03 Uhr dann der erste Einsatz. Im Führungs- und Lagezentrum laufen Notrufe ein. Die Kollegen leiten den Vorfall an die Streife weiter. Der Klassiker: Ruhestörung. Am Zähringerplatz beschweren sich Anwohner über Gäste einer Bar. Minge und Horn übernehmen.
Das Duo wirkt eingespielt. Horn spricht mit dem Wirt in der Kneipe. Minge ist draußen beschäftigt. Fünf Gäste rauchen. Während die jungen Männer ihren Zigarettendampf in die lauwarme Sommernacht hinauspusten, bittet Minge um Ruhe. Und um Verständnis für Anwohner. Die Polizistin hat die Situation im Griff. Sie strahlt Autorität aus, ohne laut zu werden. Hat klare Anweisungen, ist aber dennoch freundlich. Eine Polizistin wie aus dem Lehrbuch.
Und das kommt nicht von ungefähr. Denn Nicole Minge ist glücklich. Sie liebt ihren Job. Und geht gerne dorthin, wo es weh tut. Auf die Straße. „Als ich angefangen habe, war es nicht selbstverständlich, dass weibliche Polizisten unterwegs sind“, sagt sie. Heute hätten sich Männer an Frauen in Uniform gewöhnt.
Respektlosigkeit, Beleidigung, Gewalt hingegen – das gibt es nicht nur in Berlin-Kreuzberg. Auch am Bodensee werden Polizisten attackiert. „Leider ist es schon fast zur Gewohnheit geworden“, sagt Tobias Horn. Regelmäßig werden die Hüter des Rechts angegriffen. „Vor wenigen Wochen wurde einem Kollegen ins Gesicht gespuckt. Vor drei Tagen wurden Kollegen körperlich angegriffen“, so Minge. Woher die Aggressivität kommt, wissen sie nicht. Fakt ist: „Es wird in Konstanz immer schlimmer.“
An diesem Samstagmorgen bleiben Horn und Minge davon verschont. Eine Verkehrskontrolle, eine Gruppe pubertierender Schreihälse, die eine Holzbank in den See geworfen haben sollen. Eine entspannte Schicht. Bis das Funkgerät knackt. Raub im Industriegebiet. Horn schaltet das Blaulicht ein. Ein 17-jähriger Schweizer erzählt von seiner Begegnung mit drei vermeintlichen Südländern. 50 Euro sollen sie ihm geklaut haben. Er selbst ist betrunken. 2,2 Promille. Mit dem sonst schon schwer zu entzifferndem Schweizerdeutsch haben die erfahrenen Polizisten jetzt große Probleme.
Seine Freunde hat er in einer Disco verloren. Der Handy-Akku ist leer. Die Telefonnummer seiner Eltern weiß er nicht. Minge und Horn nehmen den Jungen mit aufs Revier. Dort kontaktieren sie die Kantonspolizei. „Wir haben ein super Verhältnis zu den Schweizern. Das ist alles sehr unkompliziert“, erzählt Minge. Gegen 4.15 Uhr erreicht die Polizistin die Eltern allerdings nicht mehr. „So können wir dich nicht zum Bahnhof bringen“, sagt Horn. Der Jugendliche wird seinen Rausch in einer Zelle im Untergeschoss des Polizeipräsidiums ausschlafen.

Eine Überwachungskamera hat den weiß gekachelten Raum im Blick. Eine Toilette gibt es nicht. Nur ein Plumpsklo. Die Verletzungsgefahr ist zu groß. „Hier bringen wir Personen unter, die sich selber etwas antun könnten oder sehr betrunken sind“, sagt Minge. Schuhe, Gürtel, Schmuck und Handy müssen draußen bleiben.
„Was wir hier alles erleben – das wollen Sie gar nicht wissen. Wir haben Personen onanieren sehen. Andere schlagen ihren Kopf an der Wand blutig“, sagt Minge. Der 17-jährige Schweizer scheint harmlos zu sein. Eine Ärztin untersucht, ob er in der Lage ist, den Rest der Nacht in der Zelle zu verbringen – oder ins Krankenhaus eingeliefert wird.
Bis dahin sitzen Minge und Horn am Schreibtisch. Sie führen Protokoll, schreiben Anzeigen. Bis 6 Uhr. Dann wird das Duo von Kollegen abgelöst. Sie übernehmen die Tagschicht. Und sorgen dann für Recht und Ordnung in Konstanz.