Der Buche sei dank. 180 Höhenmeter tief war ein Sechs-Tonnen-Felsblock schon den Hang hinabgestürzt, bevor er auf den massiven Baum in der Gisibodenstraße im Schwarzwalddörfchen Todtnau-Geschwend traf. Der Stamm kippte sofort um. Und doch: Er veränderte leicht die Sturzbahn des Steins, die sonst direkt auf ein Wohnhaus zugelaufen wäre.

Statt im Erdgeschoss der Hausnummer 31 landete der Fels im Hof der Nummer 29. Aus einer möglichen Katastrophe wurde ein Unglück. Niemand wurde verletzt, der Sachschaden blieb überschaubar.

Sofortiger Handlungsbedarf

Das war im März. Acht Monate später steht Clemens Ruch vor der Geschwender Kirche. Sie ist seit Oktober gesperrt, genau wie die Häuser von 43 Menschen. Wie Ruch, leitender Ingenieurgeologe am Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau weiß, war der Stein kein Einzelproblem.

Untersuchungen haben ergeben: Gleich neun lose Felssteine am betroffenen Steilhang, der Geschwender Halde, bedrohen die Bewohner der Gisibodenstraße. Und zwei davon sind so lose, dass man sie sofort sichern muss.

Reicht es für den Weihnachtsgottesdienst? Nocht ist die Kirche in Geschwend gesperrt.
Reicht es für den Weihnachtsgottesdienst? Nocht ist die Kirche in Geschwend gesperrt. | Bild: Philipp von Ditfurth

Wie ein ungebremster Lastwagen

„Wir reden hier einmal von einem Felsen mit sechs Kubikmetern und einmal von einem mit vierzig Kubikmeter Gewicht, der in zwei Stücke zerspringen würde, wenn er abgeht“, erklärt Ruch. Zur Veranschaulichung: Ein Kubikmeter der Felsen aus Granit wiegt etwa 2,5 Tonnen. Selbst der kleinere Fels würde deswegen mit einer Wucht zu Tale donnern wie ein ungebremster vollbeladener Lkw.

Clemens Ruch.
Clemens Ruch. | Bild: Dose, Dominik

Ein Spinnennetz soll helfen

Die Granitblöcke werden nun gesichert, indem über sie eine Art metallenes Spinnennetz gelegt wird, das im gesunden Fels verankert wird. Für die Spezialarbeiter ein Knochenjob im fast unbegehbar steilen Gelände. Bis Ende Dezember soll das gelingen – damit die Geschwender Weihnachten in den eigenen vier Wänden feiern dürfen.

Bild 3: Im Schwarzwald bedrohen neun Felsen den teilweise evakuierten Ort Geschwend. Hier wird die Gefahr beseitigt – doch was ist anderswo?
Bild: Müller, Cornelia

Ob das klappt, hängt aber vom Wetter ab. Schnee und Eis würden die Arbeiten zum Erliegen bringen. Im Frühjahr sollen dann noch weitere Steine gesichert und an Hangfuß ein vier Meter hoher Fangzaun installiert werden.

„Klappt schon alles“

Die Betroffenen selbst nehmen es erstaunlich gelassen. „Das klappt schon alles“, sagt Rosi Maier. Sie darf derzeit nicht in ihr Gebäude, wohnt in einer Ferienwohnung in Geschwend – „immerhin mit Blick auf unser Haus“. Und danach ziehe sie mit gutem Gefühl wieder zurück in ihr Heim. Ob ihr die drohende Gefahr davor überhaupt schon klar war?

Rosi Maier.
Rosi Maier. | Bild: Dose, Dominik

„Es sind schon immer mal wieder kleine Steine runtergekommen“, erinnert sie sich. Christian Thoma wohnt in einem Abschnitt der Straße, der noch nicht untersucht wurde und darf weiter in sein Haus. Ein mulmiges Gefühl hat er deswegen nicht. „Das gehört halt dazu“, meint er. Schwarzwälder Gelassenheit am Steilhang.

Heute kaum noch genehmigungsfähig

Ob man die Wohnbebauung in der Gisibodenstraße heute überhaupt noch genehmigen würde, ist fraglich. „In den 60er-Jahren, als die Siedlung entstand, hatte man wahrscheinlich noch ein anderes Verstädnis von Natur und Sicherheit“, sagt Geologe Ruch. Werden heute Bebauungspläne aufgestellt, wird sein Amt um eine Bewertung möglicher Felsgefahren gebeten.

42000 gefährdete Flächen im Land

Ist Todtnau also ein Einzelfall? „Die Bedingungen sind hier schon speziell, so ein steiler Hang und so naheliegende Wohnbebauung“, erklärt Ruch. Aber: „Solche Hänge gibt es nicht nur hier und auch nicht nur im Schwarzwald.“ Dazu gibt es auch Zahlen.

Sein Amt hat einmal berechnet, wie viele felssturzgefährdete Zonen es in Baden-Württemberg gibt: Auf 42 000 Flächen kamen die Experten. Das betrifft bei weitem nicht immer bewohnte Bereiche oder Straßen und ist doch eindrucksvoll. Die Karte kann von Kommunen eingesehen werden, eine automatischen Benachrichtigungsmechanismus für bedrohte Bereiche gibt es aber nicht.

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Keine Routinekontrollen

Regelmäßig kontrolliert werden ohnehin nur gefährliche Hänge in Straßennähe. Die Geschwender Halde etwa hatte Ruch vor dem Felssturz im März noch nie gesehen. Er und sein Team kommen, wenn sie gerufen werden. Routinemäßige Kontrollgänge? Unvorstellbar, bei einer Mannschaft von sieben Ingenieur-Geologen für hunderte Schluchten und tausende Hänge in Baden-Württemberg.

Klimawandel? Kann Einfluss haben

Der Felssturz an der A81 mit tödlichem Ausgang, die Hangrutsche am Singener Hohentwiel, der Todtnauer Fall: Man könnte den Eindruck bekommen, dass solche Ereignisse derzeit zunehmen. „Das ist purer Zufall“, sagt Ruch. Auch den Klimawandel könne man derzeit nicht verantwortlich machen.

Aber: „Sollten Starkregenereignisse wirklich zunehmen, erhöht sich die Gefahr schon“, erklärt der Geologe. Denn Wasserdruck durch Regen löst häufiger Abstürze aus. Generell reicht oft eine Kleinigkeit dafür. „Hier in Todtnau gibt es am Berg Gämsen, schon ein einzige Tritt von einem Tier kann dann einen Abgang auslösen“, so Ruch.

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Teuer und unausweichlich

Die 5000-Einwohner-Stadt Todtnau muss derzeit auch noch lernen, dass Hangsicherung nicht nur sehr wichtig, sondern auch sehr teuer ist. Knapp eine Viertelmillion Euro kosten die zwei derzeit laufenden Sicherungen, mehr als eine Million wird für die Maßnahmen im kommenden Jahr noch dazu kommen. Es ist eine Investition, die Leben retten kann. Man darf sich ja nicht immer auf gut platzierte Buchen verlassen.