Die Zahl der Übergriffe ist kaum zu begreifen. Etwa 300 Mal ist Robert A. (Name des Opfers zum Schutz geändert, A.d.R.) offenbar von Christian L. sexuell missbraucht worden. Er war noch ein Kind, der neue Freund seiner Mutter war für ihn wohl eine Art Vaterersatz. So zumindest beschreibt es die Anklage im Prozess um den früheren Pfadfinderbetreuer der evangelischen Kirchengemeinde Staufen, der später in einem Radladen in Staufen arbeitete. Seit Mitte Januar wird der Fall vor dem Freiburger Landgericht verhandelt.

Jahrelange Peinigung

Robert V. ist heute ein Jugendlicher, der seine Mutter überragt. Vor seiner Aussage spricht er mit ihr auf dem Flur des Gerichts. Zuvor hat er sich immer wieder Notizen in einem kleinen Büchlein gemacht. Er wirkt fröhlich, Anspannung ist ihm nicht anzumerken. Er sieht fast aus wie ein Unbeteiligter, der seine Mutter nur begleitet hat. Doch so ist es nicht.

Seine Mutter Birgit A. (Name geändert) hat zuvor über mehrere Stunden ausgesagt

Sie hatte eine Beziehung mit dem Mann, dem sie die Aufsicht ihrer Kinder überließ. Von dem, was sich in ihrer Abwesenheit oder sogar in ihrem Beisein hinter verschlossenen Türen im Badezimmer abspielte, ahnte die Frau nichts, wie sie dem Richter erzählt.

Chris habe viel Zeit mit Robert verbracht, erinnert sie sich. Anfangs fand sie das gut, weil Robert ohne Vater aufwuchs. „Ich habe immer gesagt, dass er da einiges nachzuholen hat“, erklärt sie. Dass Christian L. wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs schon einmal vor Gericht stand, mangels Beweisen aber freigesprochen wurde, wusste sie nicht. Ihr habe er nur von einer Anzeige erzählt.

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Später moniert sie, dass Christian L. eher eine Beziehung mit ihrem Sohn führt als mit ihr – aber an Sexuelles dachte sie dabei nicht. Dass Robert kaum mehr im eigenen Bett schlief, sondern zwischen Mutter und ihrem Freund, fand sie zwar irgendwann störend. Aber dass die beiden miteinander badeten, fand sie unbedenklich, auch als ihre Schwester und Mutter das Verhalten hinterfragten. Birgit A. betont immer wieder, dass sie Christian L. vertraute.

Robert hat sich lange niemandem anvertraut

Mit seiner Mutter sprach er erst darüber, als die Freiburger Kripo im vergangenen Frühjahr bereits gegen Christian L. ermittelte – und Kommissar Jörg Biehler die Familie besuchte. Der Missbrauch lag zu diesem Zeitpunkt schon drei Jahre zurück. Birgit A.s Beziehung zu Christian L. ging damals über drei Jahre. Drei Jahre, in denen Robert immer wieder Glauben gemacht wurde, dass das, was er da tun musste mit Christian L., ganz normal sei.

Seine Mutter fasst zusammen, wie ihr inzwischen jugendlicher Sohn von den damaligen Erlebnissen erzählte: Er habe ihn befriedigen müssen. Ihr Sohn habe sich dabei unwohl gefühlt, aber der Mann, der für Robert schon eine Art Ersatzvater geworden sein muss, nutzt das Vertrauen des Kindes aus.

Nicht alles kann der heute Jugendliche seiner Mutter anvertrauen

„Ich habe ihn ganz direkt gefragt“, sagt Beate A.. Sie bemüht sich, ruhig zu bleiben vor Gericht. Nur manchmal kippt ihre Stimme ein wenig. Erst der Polizei sagte Robert schließlich, dass er auch anal vergewaltigt wurde.

Der vermeintliche Ersatzvater hatte lange Fahrradausflüge, teils mit mehreren Übernachtungen, mit Robert unternommen. Birgit A. vertraute ihrem Freund, ließ die beiden gewähren. Sie seien immer zusammen gewesen, zu Hause oder unterwegs. Doch ihr Misstrauen wird erst später geweckt, über einen aufmerksamen Bekannten, der selbst einmal Opfer sexueller Gewalt war. Er mahnt sie, genau hinzuschauen. Doch Birgit A. geht abends arbeiten, überlässt ihre Kinder ihrem Partner. Vieles bekommt sie nicht mit.

Erst, als Christian L. in ihrem Beisein mit ihren anderen Kindern zunehmend aggressiv umgeht, sie anschreit, teils grob anpackt und wüst beschimpft, zieht Mutter Birgit die Reißleine. Sie wirft Christian L. aus ihrer Wohnung, in der sie seit einem Jahr zusammengelebt haben. Für Robert endet damit ein drei Jahre währender Missbrauch.

In letzter Zeit esse ihr Sohn schlecht, sagt Birgit A.

Er habe so eine „innere Aggressivität“ in sich, sagt sie: „Das belastet ihn jetzt, ihm wird jetzt klar, was da abgegangen ist, was Chris ihm eigentlich angetan hat.“