Für den Vater von Lars B. (alle Namen der Redaktion bekannt, zum Schutz der Opfer aber geändert), Hans-Peter, hat sich vor ziemlich genau einem Jahr die Welt verändert. Damals stand die Kripo vor seiner Wohnung in der Ortenau und konfrontierte ihn mit dem Verdacht, dass sein Sohn sexuell missbraucht worden sein könnte. Sein Sohn wird bald elf Jahre alt.

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Psychologische Betreuung

Regelmäßig geht er zu einer Psychologin mit ihm. In der Schule könne er sich kaum konzentrieren, sei „hibbelig“: „Die ersten zwei Stunden ist er da und dann komplett weg“, beschreibt sein Vater das Verhalten des Sohnes.

Der Angeklagte Christian L. bedeckt sein Gesicht zum Schutz vor den Kameras mit einer Jacke.
Der Angeklagte Christian L. bedeckt sein Gesicht zum Schutz vor den Kameras mit einer Jacke. | Bild: Moll, Mirjam

Die Situation ist belastend für das Kind. „Er ist jetzt zwei Mal umgezogen, die Mutter ist weg und er wurde missbraucht“, sagt Hans-Peter und schweigt dann einen Moment. Seine Mutter litt an einer schweren Krankheit, konnte sich nicht so um Lars kümmern, wie sie vielleicht gewollt hätte, sagt Hans-Peter. Für Lars ist er die wichtigste Bezugsperson. Der Junge lebt bei ihm.

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Seitdem bekannt wurde, dass Lars im Prozess aussagen soll, ist der Junge nervös. „Papa, du hast es mir versprochen.“ Hans-Peter spricht mit seinem Sohn, erklärt ihm, dass seine Aussage wichtig ist und dass er damit auch anderen Kindern helfen könne – vor allem aber, dass er nicht alleine ist. Lars willigte ein. Aber er wollte Christian L. auf gar keinen Fall mehr sehen. „Das werden wir sicherstellen“, verspricht Richter Alexander Schöpsdau. Lars wird später über Video aussagen, sein Vater wird bei ihm sitzen – so will es sein Sohn.

Scham ohne Schuld

Der kleine Junge schämt sich noch heute, sagt Hans-Peter. So sehr, dass er bei der Polizei zuerst nicht die Wahrheit gesagt habe. Nämlich, dass gar nichts passiert sei mit Christian L. Doch das stimmte nicht. Noch am selben Tag will Lars unbedingt mit seinem Vater sprechen. „Er ist fast zusammengeklappt“, sagt der Badener. Er spricht ruhig und sachlich – seine Emotionen klingen nur manchmal durch, wenn ihn die Fragen des Richters zu sehr berühren.

Opferanwältin Katja Ravat spricht mit Staatsanwältin Nikola Novak vor Beginn des Prozesses um Christian L., dem Hauptangeklagten im ...
Opferanwältin Katja Ravat spricht mit Staatsanwältin Nikola Novak vor Beginn des Prozesses um Christian L., dem Hauptangeklagten im neuen Staufener Missbrauchsfall. | Bild: Moll, Mirjam

Die Erinnerung an das, was schließlich aus seinem Sohn herausbrach, geht dem Vater nahe. Das Kind sagt zuerst, Christian L. habe etwas von ihm gewollt, „aber er will nicht darüber reden“, sagt Hans-Peter aus. Häppchenweise, nach und nach, durch behutsames Fragen, habe er dann erfahren, was passiert sei.

„Lars hat von einem Jägerhaus erzählt, von dem er aber heruntergesprungen und abgehauen ist. Er hat wohl einen Hochsitz gemeint“, erklärt der Vater. Den Polizisten erzählt sein Sohn später, Christian L. habe ihn aufgefordert, seinen Penis anzufassen und in den Mund zu nehmen. Das sei aber nicht geschehen. Vater Hans-Peter ist bis heute nicht sicher, ob sein Sohn ihm alles erzählt hat.

Schlimme Befürchtungen

Für den Vater bewahrheitete sich mit dem Geständnis seines Sohnes eine grausame Befürchtung: Die Eltern hatten sich getrennt, Lars war mit seiner Mutter im Campingurlaub. Danach bekam sein Sohn teure Geschenke von Christian L. – unter anderem einen Fahrradhelm. „Das war schon sehr merkwürdig“, erinnert sich Hans-Peter. Er habe sich mit seiner Frau gestritten, weil er nicht wollte, dass L. einen so engen Umgang mit Lars pflegt.

Mutter Beate hat Christian L. auf dem Campingplatz in der Nähe von Staufen kennengelernt. „Er war immer sehr nervös“, erinnert sich die Frau mit dem halblangen grauen Haar an den Mann, der damals öfter bei ihr am Campingwagen saß und Wein trank. Er habe viel getrunken, dieser Mann. „Ich kenne ihn nur mit Alkohol und Zigaretten“, betont die Frau. Zwei Flaschen Wein an einem Abend, ein Sixpack Bier, zählt sie auf. Oft sei er schon alkoholisiert auf den Campingplatz gekommen. Trotzdem habe man gut mit ihm reden können.

Großeltern manipuliert?

Die Großeltern des Jungen, die das Kind im Vorjahr schon mit zum Campen genommen hatten, hatte Christian L. bewusst glauben lassen, dass er zu einem Betreuerteam gehöre, erzählt die Mutter. Die Großmutter des Jungen sitzt im Publikum. Auch Lars‘ Mutter geht zunächst davon aus. Erst später fand sie heraus, dass das nicht stimmte. Ein Ehepaar, das sie auf dem Campingplatz kennenlernt, beginnt sich zu wundern, „warum Christian immer so lieb zu Kindern war“. Beate wird hellhörig. Sie forscht nach bei der Campingplatzleitung. Ob Christian L. dort bekannt sei, irgendwie dazugehöre. Tat er nicht. Lars‘ Großmutter stehen Tränen in den Augen. Später wird Beate ihre Mutter beruhigen. Der Mann sei eben hochintelligent. Beide Frauen fühlen sich offensichtlich manipuliert von L.

Kind schweigt aus Scham

Lars‘ Mutter habe ihren Sohn angesprochen, ob es etwas gebe, das sie wissen müsse: „Mama, spinnst du?“ Beate sagt, es habe keine Anzeichen gegeben, dass etwas nicht stimme. Erst später erfährt sie, was dem Mann vorgeworfen wird, dessen Umgang mit ihrem Sohn sie als „freundschaftlich“ beschrieb. Er hatte ihrem Sohn das iPhone eingerichtet – und nebenbei einen WhatsApp-Kontakt zu dem Kind etabliert. Die Mutter wusste davon.

Irgendwann bekommt Lars ein Buch geschenkt von Christian L. Darin stand eine Widmung: „Für deine Offenheit, deine Fantasie und deine Freundlichkeit werden mir immer in Erinnerung bleiben, dein Chris aus Staufen“. Er habe nie gewollt, dass seine Mutter ihm daraus vorliest, erinnert sie sich. Nachdem die Kripo da war, habe Lars das Buch weggeworfen. In den Müll: „Er hat gesagt, dass er nichts mehr von diesem Mann haben will.“

Vergessen kann er nicht

Heute gehe es Lars ein wenig besser. Seit sein Vater ihm gesagt habe, dass er toll reagiert habe, als er weggelaufen sei von dem Mann. Aber Lars schäme sich noch immer, erzählt der Vater. Weil Christian L. so oft gesagt habe, dass das, was er mit ihm macht, nicht schlimm sei. Und Spaß machen würde. Lars gehe der Satz nicht mehr aus dem Kopf.