Stefanie Gerstner hat einen undankbaren Job. Die Ordnungshüterin der örtlichen Polizeibehörde muss am Freitag Badegäste vom Bodenseeufer vertreiben – auf Anordnung der Gemeinde. Freitags bis sonntags zwischen 11 und 17 Uhr dürfen sich ab heute weder Touristen noch Einheimische hier breit machen. Bürgermeister Oliver Gortat traf vor wenigen Tagen diese folgendschwere Entscheidung, weil an den vergangenen Wochenenden der Mindestabstand nicht eingehalten wurde.

„Es gibt heute bestimmt noch Renitente, aber bisher kommen alle unserer Forderung nach“, beschreibt Gerstner die Situation, nachdem sie kurz mit ihrem Vorgesetzten telefonierte.

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Kontrolle im gesperrten Uferbereich Video: Küster, Sebastian

Sie und ihr Kollege Peter Epple vom Gemeindevollzug sind sich nicht ganz sicher, wie sie mit einer kleinen Gruppe umgehen sollen, die auf einem Steg entspannen. „Eigentlich ist die Regelung eindeutig. Aber der Steg scheint in Privatbesitz zu sein. Da muss man schon mal nachfragen. Auch sie werden das Verbot bestimmt einsehen“, hofft Epple.

Stefanie Gerstner und Peter Epple vom Gemeindevollzug kontrollieren, ob sich alle an die Regeln halten.
Stefanie Gerstner und Peter Epple vom Gemeindevollzug kontrollieren, ob sich alle an die Regeln halten. | Bild: Küster, Sebastian

Extra aus dem Saarland angereist, um am Bodensee auszuspannen

Verständnis zeigen aber längst nicht alle, die sich an diesem Tag im Bodensee abkühlen möchten. Karin Laber und Isabel Meiser reisten extra aus dem Saarland an, um dem Corona-Spuk zu entfliehen und unbeschwerte Tage am schwäbischen Meer zu verbringen. Doch Fehlanzeige. Als sie an der Absperrung zum Hafen das Badeverbot entdecken, glauben sie zunächst an einen dummen Jugendstreich. Bis ihnen zwei Mitarbeiter des Bauhofs schonend beibringen, dass die Barrikade nicht ohne Grund hier steht.

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Jetzt heißt es: Ufer verlassen Video: Küster, Sebastian

„Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: ich finde das nicht in Ordnung. Langsam kann ich diese ganzen Maßnahmen nicht mehr nachvollziehen. Ich will selbst entscheiden, ob ich mich hier hinlegen will und auf den Mindestabstand verzichte“, sagt Laber enttäuscht.

Karin Laber (rechts) und Isabel Meiser (zweite von links) mit ihren Kindern Hannah, Johannes und Melissa. Sie haben für die Absperrung ...
Karin Laber (rechts) und Isabel Meiser (zweite von links) mit ihren Kindern Hannah, Johannes und Melissa. Sie haben für die Absperrung des Seezugangs kein Verständnis. | Bild: Küster, Sebastian

Und da ist sie nicht die einzige. Auch Jan Bülow kann die Entscheidung der Gemeinde nur bedingt nachvollziehen. Er arbeitet im Strand-Kiosk und ist auf Badegäste am Wochenende angewiesen. „Das ist nicht die richtige Lösung. Klar – es war die letzten Wochenenden schon extrem voll und überlaufen. Aber es hätte bestimmt auch andere Lösungen gegeben“, sagt der Sipplinger.

Jan Bülow macht sich Sorgen um das Wochenendgeschäft des Kiosks, in dem er arbeitet.
Jan Bülow macht sich Sorgen um das Wochenendgeschäft des Kiosks, in dem er arbeitet. | Bild: Küster, Sebastian

Einlasskontrollen zum Beispiel. Die fände auch Arnold Vermeijden sinnvoll. Der freundliche Mann aus Rotterdam bleibt eine Woche am See, reist dann weiter nach Österreich. Dann geht es für ihn und seine Frau zurück in die Niederlande: „Auch bei uns ist Corona ein großes Thema. Da darf man aber immer noch an den Strand – ohne Beschränkung. Ich finde es schade, dass wir jetzt weg müssen. Aber irgendwo kann ich es verstehen. Wenn es wirklich so eng war, muss man etwas machen“, sagt er.

Arnold Vermeijden kommt extra aus Rotterdam an den Bodensee. Gegenüber der Absperrung ist er skeptisch, versteht aber die Entscheidung ...
Arnold Vermeijden kommt extra aus Rotterdam an den Bodensee. Gegenüber der Absperrung ist er skeptisch, versteht aber die Entscheidung der Gemeinde. | Bild: Küster, Sebastian

Sarah Kleiner aus Salem und Katrin Zwanziger aus Stockach nutzen mit ihren Kindern noch die letzte Stunde vor der Sperrung in Sipplingen. Ihnen macht die Entscheidung der Gemeinde nicht viel aus. „Ich finde die Maßnahme nicht übertrieben. Wir gehen jetzt eben mehr unter der Woche“, sagt Kleiner und ergänzt: „Oder wir stellen im Garten ein Planschbecken auf.“

Ist ein Parkverbot eine Alternative zur Sperrung?

Udo Rommel aus Freiberg am Neckar betrifft das Badeverbot in Sipplingen nicht. Er fährt mit seinem Boot, das im Hafen vor Anker liegt, auf den See hinaus und geht dort ungestört schwimmen.

Er kann die Gemeinde zwar verstehen, aber schlägt auch eine andere Lösung vor: „Man hätte doch einfach die Parkplätze sperren können. Die Einheimischen hätten weiterhin die Möglichkeit, den See zu nutzen. Touristen müssen dann ausweichen“, sagt er. Sein Freund Michael Brier aus Pfullendorf nickt zustimmend.

Udo Rommel (links) und Michael Brier fahren künftig auf den See um schwimmen zu gehen.
Udo Rommel (links) und Michael Brier fahren künftig auf den See um schwimmen zu gehen. | Bild: Küster, Sebastian

Heftiger Protest auf Facebook

Auf Facebook kann von Abkühlung keine Rede sein. Die Menschen gehen vielmehr auf die Sipplinger Ufer-Barrikaden. Denn nachdem Bürgermeister Oliver Gotart auf der Internetplattform die Öffentlichkeit über seine Maßnahme informierte, wurde sein Beitrag 127 mal geteilt. Er erhielt 92 Kommentare. Die meisten davon gehören zur unschönen Sorte. Sie zeugen von Kritik, Unverständnis, Frustration. Selten Zustimmung und Verständnis.

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Eine Frau schreibt: „Ich finde das unverschämt.“ Sie käme wegen ihrer Arbeitszeiten in der Gastronomie unter der Woche nicht dazu in den See zu hüpfen und freue sich deshalb aufs Wochenende. „Sperren wir jetzt alle zuhause ein? Ist das besser?“

Ein anderer Mann stimmt dieser Aussage zu: „Blinder Aktionismus ist ja heute wieder total in, da scheut man auch keine Kosten und am Schluss baden es die Kinder und einheimischen Betriebe aus...“

Eine der wenigen Facebook-Nutzer, die für Gortats Entscheidung Verständnis zeigen, gibt es jedoch auch: „Es ist ja zum Glück nicht so, dass es gar keine Bademöglichkeit mehr gibt. So schade dieser Umstand ist, aber als Einheimische und auch Urlauber kommt man ja weiterhin in den Genuss eines Bades im Bodensee. Die Gesundheit geht vor.“

Dass das Thema die Gemüter in und um Sipplingen erregt, bekommt auch Alexandra Haberger mit. „Bei uns laufen die Telefone heiß“, beschreibt die Assistentin des Bürgermeisters die aktuelle Situation im Rathaus. Haberger bekommt als Erste mit, wenn sich der nächste Sipplinger beim Gemeindeoberhaupt wegen der Sperrung der Strände an Wochenenden beschweren möchte.

„Wenn sich drei Badegäste übereinander stapeln könnten, hätten sie das wahrscheinlich auch noch gemacht.“

„Es geht nicht mehr anders. Dem Bürgermeister blieb gar nichts anderes übrig, als diesen Schritt zu gehen“, sagt sie. „Wenn sich drei Badegäste übereinander stapeln könnten, hätten sie das in den letzten Wochen wahrscheinlich auch noch gemacht. So extrem war es.“

Für welche Anti-Corona-Taktik sich Oliver Gortat auch entscheidet – Haberger glaubt, es wäre immer die Falsche gewesen: „Wenn es so bleibt hätten wir wohl wieder viele Infizierte. Wenn übergangsweise gesperrt wird, ist das auch nicht recht.“

Aber die Assistentin des Bürgermeisters zeigt dafür großes Verständnis. Schließlich könnte am Wochenende sogar die 40 Grad-Marke geknackt werden. „Ich bin Mutter und möchte natürlich auch mit den Kindern im See baden. Aber unter diesen Umständen müssen wir jetzt für die Gesundheit aller verzichten.“

Wird Sperrung auch unter der Woche kommen?

Wie lange die Wochenend-Sperrung wirklich andauert, ist nicht klar. Aber Fakt ist: falls sich der Ansturm jetzt auf Montag bis Donnerstag verlagern sollte, schreckt die Gemeinde wahrscheinlich nicht davor zurück, das Badeverbot zu erweitern. „Wir beobachten das Ganze jetzt sehr genau. Die Ferien starten schließlich“, betont Bürgermeister Oliver Gortat, als er sich am Freitag um 11 Uhr den Fragen der Bevölkerung am Sipplinger Badestrand stellt. „Es gibt diese Überlegung. Ob wir sie umsetzen, wird sich zeigen.“