„Es gibt bisher keinen Impfstoff für Sars-Cov-2. Das liegt daran, weil Corona-Viren bislang für die Pharmaindustrie völlig uninteressant waren. Eigentlich auch weiterhin uninteressant sein sollten, weil sie keine lebensbedrohliche Erkrankung darstellen.“ So ist es auf der Webseite der Initiative „Ärzte für Aufklärung“ zu lesen. Ihr gehören bundesweit 2000 Unterstützer an, schreiben die Verfasser.

Ein Bericht von Report Mainz hatte zuerst darauf aufmerksam gemacht. Die Journalisten des SWR gaben sich als Patienten aus, die die in Geschäften und öffentlichen Einrichtungen vorgeschriebenen Masken nicht mögen und gerne ein Attest hätten, damit sie sie nicht weiter tragen müssen.

Attest gegen Mundschutz

In dem Bericht zeigten sich mehrere Ärzte bereit, ein Attest auszustellen, einer davon sogar ohne den Patient gesehen zu haben, andere zeigten Bereitschaft gegen eine Gebühr. Ein Zahnarzt erstellte dem Bericht zufolge ein Attest wegen „oraler Maskenphobie“.

Aber kann ein Zahnarzt überhaupt eine Phobie feststellen? Wäre das nicht Aufgabe eines Psychiaters oder Psychologen? Und wie gehen die Ärzte in der Region damit um, die der Bewegung angehören? Der SÜDKURIER hat nachgeforscht.

Ärzte quer durch Deutschland unterstützen Initiative

Die Liste der Unterstützer ist einfach zu finden: Tatsächlich steht eine öffentlich zugängliche Liste auf der Webseite der „Ärzte für Aufklärung“ zum Download bereit. Darin sind auch Ärzte aus der Region vermerkt. Darunter auch eine Zahnärztin aus Konstanz. Die Frau ist in einer Klinik tätig.

Als der SÜDKURIER anruft, ist die Ärztin gerade in Behandlung. Die Praxisangestellte am Telefon macht glaubhaft deutlich, dass sie noch nie von „Ärzte für Aufklärung“ gehört habe. Sie versprach, die Kollegin zu informieren und um Rückruf zu bitten. Er bleibt aus. Tatsächlich ist die Liste mit Vorsicht zu genießen – manch ein Arzt, der dort auftaucht, stellte bereits klar, nichts mit der Aktion zu tun zu haben.

Ein Kunde kauft in einem Supermarkt mit einem Mund-Nasen-Schutz ein. Die Maskenpflicht in Geschäften, öffentlichen Gebäuden und ...
Ein Kunde kauft in einem Supermarkt mit einem Mund-Nasen-Schutz ein. Die Maskenpflicht in Geschäften, öffentlichen Gebäuden und Arztpraxen dürfte noch eine Weile erhalten bleiben. | Bild: Christoph Soeder

Unterstützer der Initiative will anonym bleiben

Ein weiterer Arzt, diesmal auf jüngere Patienten spezialisiert, ist ebenfalls auf der Liste. Er betreibt eine Praxis im Kreis Konstanz. Es ist nur der Anrufbeantworter erreichbar, auch eine E-Mail des SÜDKURIER bleibt unbeantwortet. Gleiches erleben wir bei einer Anfrage bei einem Internisten im Bodenseekreis.

Schließlich erreichen wir einen Arzt, der als Unterstützer von „Ärzte für Aufklärung“ gelistet ist. Er ist tatsächlich bereit, mit uns zu sprechen, möchte seinen Namen aber nicht in diesem Artikel lesen. „Ich wollte das insgesamt unterstützen, weil ich denke, das ist eine gute Sache“, sagt uns der Arzt, der eine Praxis im Kreis Konstanz betreibt.

Er will seinen Angaben zufolge aber nicht stärker involviert sein bei der Plattform. Die Ansicht, die die Webseite propagiert, nämlich, dass Covid-19 keine lebensbedrohliche Krankheit sei, unterstützt er aber: „Das ist eigentlich auch meine Ansicht“, sagt er dem SÜDKURIER.

Warum will er diese Meinung dann nicht öffentlich vertreten, fragen wir ihn. Der Arzt antwortet: „Die Ärztekammer ist da sehr empfindlich, die hat andere Ansichten, das gibt bestimmt Ärger.“ Der Mann ist aber überzeugt, dass „wir alle ein bisschen getäuscht werden“, was die Gefahr von Covid-19 betreffe. Er verweist auf Ärzte in den USA, die die Gefahr des Virus offen negieren.

Ins Leben gerufen wurde die Plattform „Ärzte für Aufklärung“ von vier Ärzten, darunter Heiko Schöning aus Hamburg. In Stuttgart trat er bei einer der Demonstrationen gegen die Infektionsschutzmaßnahmen auf.

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In seine Rede sagt er: „Wir kritisieren die Infektionsschutzmaßnahmen gegen Covid-19 als überzogen.“ Medizinisch sei das Coronavirus „vergleichbar mit den Grippewellen, die wir Jahr für Jahr haben“. Auf eine Anfrage des SÜDKURIER reagiert die Initiative bis zur Veröffentlichung dieses Artikels nicht.

Die Plattform will einen außerparlamentarischen Coronaausschuss (ACU) auf die Beine stellen. Darin sollen Sachverständige zu Wort kommen und Daten allen Bürgern zugänglich gemacht werden. Die Webseite des Zusammenschlusses wirbt um Spenden. Sie werden demnach „für unsere Aktivitäten“ eingesetzt. Genaueres ist nicht zu lesen.

Gesundheitspolitiker kritisieren Initiative scharf

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach, selbst Mediziner, hat für die Initiative wenig übrig. Die Praktiken einiger der Ärzte, Atteste gegen Masken auszustellen, verurteilt er: „Das ist nichts anderes, als dass man die medizinische, die ärztliche Autorität missbraucht, um ein Gesetz auszuhebeln“, sagt er den Journalisten von Report Mainz.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Lothar Riebsamen vor dem Reichstag in Berlin. Er verurteilt die Aussagen des Zusammenschlusses ...
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Lothar Riebsamen vor dem Reichstag in Berlin. Er verurteilt die Aussagen des Zusammenschlusses „Ärzte für Aufklärung“. | Bild: privat

CDU-Politiker Lothar Riebsamen, Bundestagsabgeordneter aus Herdwangen (Wahlkreis Bodenseekreis) und Mitglied im Gesundheitsausschuss, kritisiert die Initiative ebenfalls scharf: „Das ist nahezu im Bereich der Verschwörungstheorien, muss ich ihnen sagen. Wir setzen alles daran, eine zweite Welle zu verhindern.“ Man habe in Friedrichshafen wieder mehrere Fälle in Schulen. Viele Dienstleister und Branchen seien „am Ende, wenn eine zweite Welle kommt“, mahnt er. Daher sei es wichtig, alle Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen.

Fachärztin verurteilt Einschätzung von „Ärzte für Aufklärung“

Doktor Diana Mathioudakis ist in der Hausarztpraxis Dr. Schöller in Radolfzell tätig. Die Weiterbildungsassistentin für Allgemeinmedizin, erfahrene Fachärztin für Anästhesie, Intensivmedizin und Notfallmedizin hat kein Verständnis für die Aussagen der Initiative „Ärzte für Aufklärung“ und Ärzte, die Atteste gegen den Mundschutz ausstellen.

Dem SÜDKURIER sagt sie: „Atteste gegen den Mundschutz auszustellen, ist für mich indiskutabel. Es kann zwar vereinzelt Gründe dafür geben, für mich sind sie aber nicht nachvollziehbar“, betont sie. „Die regelrechte Werbung, die manche Kollegen betreiben nach dem Motto ‚Wir attestieren gegen den Maulkorb‘ machen, das hat mit Medizin nichts zu tun“, stellt sie klar.

Die Ärztin muss es wissen. Als Akutmedizinerin sehe sie „die Krankheit als eine signifikant andere als die bisher bekannten“. Deshalb teile sie die Einschätzung der Epidemiologen.

Glaubt man „Ärzten für Aufklärung“, wäre Covid-19 vergleichbar mit der Grippe oder gar ungefährlich. Für solche Einschätzungen fehlt der Expertin die Geduld: „Vergessen Sie es, nach allem, was wir inzwischen über das Virus wissen. Wer eins und eins zusammenzählen kann, der sagt so etwas nicht. Das ist Paramedizin.“