Die Corona-Einschränkungen werden gelockert, Feste mit 100 Personen bald wieder erlaubt sein – dennoch werden an diesem Samstag in Stuttgart Tausende Teilnehmer bei der nächsten Großdemo gegen Einschränkungen der Freiheitsrechte erwartet. Die Initiative „Querdenken-Stuttgart 711“ um den Stuttgart IT-Unternehmer Michael Ballweg hat erneut zur „Mahnwache für das Grundgesetz“ aufgerufen, unterstützt von der Parteineugründung „Widerstand 2020 Deutschland“. 50000 Teilnehmer meldete Ballweg an, die Stadt setzte dem aber einen Riegel vor: Nur 5000 Personen sind genehmigt, sonst droht die Versammlung aufgelöst zu werden. 500 Ordner müssen garantieren, dass Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden, auch sie müssen Mund- und Nasenschutz tragen, und wer bei der Anfahrt zur Demo in Bus oder Bahn demonstrativ auf Mund- und Nasenschutz verzichtet, zahlt 300 Euro Bußgeld.

Einen Eilantrag gegen die Auflagen schmetterte das Verwaltungsgericht Stuttgart am Freitagnachmittag ab. Ballweg hatte vorab bereits via Facebook angekündigt, „dass im Zweifel noch mal das Bundesverfassungsgericht entscheiden“ müsse. Die Republik schaut also an diesem Samstag erneut auf Stuttgart, das zum Zentrum einer bundesweiten diffusen Protestbewegung geworden ist.

Bereits vergangenen Samstag demonstrierten mehrere Tausend Menschen in Stuttgart gegen Corona-Beschränkungen. Aufgerufen hatte die ...
Bereits vergangenen Samstag demonstrierten mehrere Tausend Menschen in Stuttgart gegen Corona-Beschränkungen. Aufgerufen hatte die Initiative Querdenken711, die das Grundgesetz in Gefahr sieht. | Bild: Arnulf Hettrich via www.imago-images.de

In der Bewegung tummeln sich viele Menschen mit unterschiedlichster Motivation und Zielen: Bürger, die die Einschränkungen satt haben und für ihre Grundrechte demonstrieren wollen, Linke und Rechte, die gegen den Staat und Regierung, auf Merkel, Spahn und Kretschmann schimpfen, Verschwörungstheoretiker, die den Milliardär und Microsoft-Gründer Bill Gates hinter dem Virus vermuten, Impfgegner, Untergangsgläubige und Esoteriker.

Der Protest hat viele Gesichter und Motive.
Der Protest hat viele Gesichter und Motive. | Bild: Arnulf Hettrich via www.imago-images.de

Nur: Was passiert, wenn trotz Verbots Zehntausende auf den Wasen drängen? Wird es friedlich bleiben, wenn Demonstranten abgewiesen werden? „Wir müssen abwarten“, sagt Polizeisprecher Stefan Keilbach. In jedem Fall sei der Versammlungsleiter Ballweg aber in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Auflagen umgesetzt werden.

Ballweg selbst hat sich für Journalisten rar gemacht. Wer mit ihm sprechen möchte, muss auf der „Querdenken“-Internet-Plattform eine „Verpflichtungserklärung zur journalistischen Arbeit“ einreichen. Angehängt ist zur Belehrung der Journalisten über ihre Arbeit ein Lehrbuch-Aufsatz über „Medien als vierte Gewalt“ aus einem Schülerlexikon. „Aufgrund der verzerrten Berichterstattung in ARD, SWR und ZEIT online sprechen wir nur mit Journalisten, die die beigefügte Erklärung unterzeichnen“, heißt es da. Aber auch nach erfolgtem Anmeldeprozedere bleibt eine Rückmeldung aus. Was Ballweg antreibt, einen nach eigenen Angaben bislang politisch nicht aktiven Familienvater aus Stuttgart ohne Nähe zum Rechtspopulismus, kann man daher nur den ersten Interviews entnehmen: Er sorge sich darum, dass das Grundgesetz durch die Corona-Verordnung ausgehebelt werde und protestiere sich nicht gegen die Corona-Maßnahmen, sondern für die verfassungsgemäßen Grundrechte.

Viele Demonstranten beziehen sich aufs Grundgesetz und die Freiheitsrechte.
Viele Demonstranten beziehen sich aufs Grundgesetz und die Freiheitsrechte. | Bild: Arnulf Hettrich via www.imago-images.de

Die Köpfe hinter dem Protest sind neben Ballweg das Führungstrio der im April beim Bundeswahlleiter angemeldeten Partei „Widerstand 2020“: der Sinsheimer HNO-Arzt Bodo Schiffmann, die Unternehmerin Victoria Hamm aus Hannover sowie der Leipziger Rechtsanwalt Ralf Ludwig. Der Anwalt war für Ballweg im April gegen das Demonstrationsverbot in Stuttgart vor das Bundesverfassungsgericht gezogen und hatte Recht bekommen.

Schiffmann meldet sich zwar prompt auf Anfrage zurück, aber auch er fordert vor einem Gespräch die Zusicheurng, ihm vor Veröffentlichung den gesamten Artikel zur Freigabe vorzulegen, was unsere Zeitung ablehnt.

Der Sinsheimer HNO-Arzt Bodo Schiffmann gehört zum Führungstrio der Parteigründung „Widerstand 2020“.
Der Sinsheimer HNO-Arzt Bodo Schiffmann gehört zum Führungstrio der Parteigründung „Widerstand 2020“. | Bild: Thomas Kienzle

Dem „Mannheimer Morgen“ sagte Schiffmann zuvor, der Partei gehe es um Freiheit, Machtbegrenzung, respektvollen Umgang miteinander und das Einbinden der Schwarmintelligenz. Ihn zu fragen, ob mit der Lockerung der Corona-Einschränkungen die Basis für die junge Parteibewegung wegbrechen könnte, war nicht möglich.