Migration wird zurzeit öffentlich vorwiegend als Problemthema betrachtet. Es gibt Ausnahmen. Neben Schwierigkeiten stehen Chancen und Bereicherung. Rike Zettl (60) hat die Kultur, die Menschen anderer Herkunft nach Deutschland mitbringen, immer als Plus für die Gesellschaft gesehen.

Sie ist aber nicht bei passiver Offenheit stehengeblieben, sondern sie arbeitet aktiv mit, Zuwanderern einen Anker in der neuen Heimat zu geben. Die Lehrerin für Deutsch als Zweitsprache leitet einen Alphabetisierungs- und einen Integrationskurs in Tuttlingen.

Deutsch als Herausforderung

Aus Erfahrung weiß die Stockacherin, wie schwer es Erwachsenen fällt, unsere Sprache zu erlernen, deren Grammatik komplex ist und keinen einfachen Regeln folgt. Es freut sie daher umso mehr, wenn Barrieren fallen und die Menschen versuchen, auf Deutsch zu erzählen.

Aber Syntax allein reicht nicht. Um eine Sprache zu lernen, muss man sie anwenden. „Ich merke im Kurs genau, wer außerhalb des Klassenzimmers Kontakt mit Deutsch hat“, sagt Zettl. Besonders freut es sie, wenn Mütter es soweit gebracht haben, um in Schule und Kindergarten mit anderen Kontakte aufzunehmen.

Dauerthema ist die Suche nach Arbeit

Ein Dauerthema ist die Suche nach einer Arbeit. Damit werden die Zuwanderer schnell konfrontiert. Die Bücher zum Sprachunterricht sollen die Leute vor allem fit für den Jobmarkt machen. Das reicht vom Small Talk mit Kollegen bis hin zu Arbeitsanweisungen des Vorgesetzten.

Eine Kursteilnehmerin freut sich über ihr Zertifikat „Deutsch-Test für Zuwanderer“, das sie für die erfolgreiche Teilnahme an einem ...
Eine Kursteilnehmerin freut sich über ihr Zertifikat „Deutsch-Test für Zuwanderer“, das sie für die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs für Zuwanderer des Bundesamtes für Migration (BAMF) bekommen hat. | Bild: Sven Hoppe

Durch ihre Arbeit weiß Zettl um die Sorgen. Während sie in der Schule Distanz wahren muss, trifft man sich im Privaten auf Augenhöhe. Das geschieht bei der Kulturbrücke Stockach, in der Zettl ehrenamtlich arbeitet. Der Verein spiegelt die ethnische Vielfalt in Deutschland wider und stellt diese in Aktionen und Begegnungen nach außen dar.

Großes Interesse an Traditionen

„Es gibt von allen Seiten großes Interesse und Neugier an Bräuchen und Traditionen und an alltäglichen Dingen, wie sie in anderen Ländern gehandhabt werden“, sagt Zettl.

Ein Beispiel war die Fasnacht: Da wussten die Leute nicht, was dahintersteckt und fragten, ob es ein religiöses Fest ist. Man wollte wissen, was da genau gefeiert wird. Diese Wissbegierde macht die Begegnungen erfrischend und gibt Raum, um zu diskutieren und auch zu lachen.

Eine intensive Deutschstunde

Im Deutschkurs ist die Lehrerin an das Klassenzimmer und das Lehrbuch gebunden. In der Kulturbrücke kann Zettl lebensnaher arbeiten.

Im wöchentlichen Sprachtreff übt sie mit sechs Teilnehmern eine Stunde intensiv Deutsch. „Wir suchen ein Thema aus. Sie sprechen, ich korrigiere, erkläre kurz die Grammatik, dann trainieren sie. Das kommt sehr gut an.“

Damit Flüchtlinge integriert werden und Arbeit bekommen, müssen sie Deutsch lernen.
Damit Flüchtlinge integriert werden und Arbeit bekommen, müssen sie Deutsch lernen. | Bild: Jaspersen

Teilnehmer sind Personen, die vor der B1-Prüfung stehen, die Sprechfähigkeit im Alltag bescheinigt, aber auch Selbstlerner. Zettl findet es großartig, zu erleben, wie aus Wörtern ganze Sätze werden und wie der Austausch wächst.

Ge(h)spräche führen in die nähere Natur oder auch in eine lokale Ausstellung. „Dabei reden wir über das, was uns gerade durch den Kopf geht. Es gibt viel zu entdecken, wir lachen viel, und es fühlt sich immer ein bisschen wie Urlaub an.“

Rike Zettl wünscht sich, dass mehr Muttersprachler zum Mitmachen bereit wären. Obwohl sie für ihre Arbeit viel Geduld und einen langen Atem braucht, ist sie motiviert und empfindet ihre Arbeit auch persönlich als Bereicherung: „Ich lerne unglaublich interessante Menschen mit unglaublichen Biografien kennen.“