Corina Ewadinger öffnet die Wohnungstür in Oberbaldingen bei Bad Dürrheim mit wackeligen Beinen und schwer atmend. Sie hat „ihr Aktivitätssoll“ heute schon erfüllt, erklärt sie entschuldigend. Die Aktivität an diesem Tag im September: Duschen. Zu viel mehr ist sie an einem Tag nicht in der Lage. Aber der SÜDKURIER-Reporterin will sie trotzdem erzählen, wie es ihr und vielen anderen Post-Covid-Erkrankten geht. Auch wenn sie damit vermutlich weit über ihre Kräfte hinausgeht.

Der Virus-Albtraum ist für viele nicht vorbei

Das Virus, das zwei Jahre das Leben in der ganzen Welt durcheinanderwirbelte, ist fast aus dem Bewusstsein der Menschen verschwunden. Lange her scheint die Zeit der Masken und Abstandsgebote. Aber nicht für alle ist der Virus-Albtraum vorbei. Fachleute gehen von mehr als einer Million Long-Covid-Erkrankten aus, allein in Deutschland. Für mindestens sechs Prozent, möglicherweise bis zu 15 Prozent ist die Virus-Erkrankung keine kurze Episode. Sie leiden zum Teil monate- und jahrelang an großer Erschöpfung, Organ- und Gefäßschäden oder Konzentrationsstörungen.

So wie Corina Ewadinger. Nicht ganz zwei Jahre ist es her, im November 2021, als die heute 45-Jährige erkrankte. Zwei Impfungen hatte sie da schon hinter sich. Der Verlauf ihrer Corona-Erkrankung war nicht sehr schwer – will heißen, sie musste nicht ins Krankenhaus, aber war vier Wochen ans Bett gefesselt. Die Atemnot ging auch danach nicht weg, genauso wenig wie die Erschöpfung. Doch der Befund der Computertomografie, die gemacht wurde, sei unauffällig gewesen. „Da wird es schwierig, einen Termin bei einem Facharzt zu bekommen.“ Die Corona-Ambulanzen – die nächstgelegenen befinden sich in Freiburg, Tübingen und Ulm – hatten keine Termine frei.

„Den Patienten wird oft unterstellt, sie würden übertreiben“

Peter Hannemann, Chefarzt an der Espan-Klinik in Bad Dürrheim, die schon 3000 Covid-Erkrankte begleitet hat, kann diese Erfahrung bestätigen. Covid heute sei nicht mehr das Covid vom Anfang. Die ganz schweren Fälle, bei denen künstliche Beatmung nötig werde, seien selten geworden. „Post-Covid heute können Sie morphologisch oft nicht fassen. Da werden bei einer Kernspintomographie oder einer Computertomographie keine greifbaren Schäden festgestellt. Den Patienten wird oft unterstellt, sie würden übertreiben“, sagt der Arzt für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde. Die Symptome von Post-Covid sind vielfältig: 200 Symptomenkomplexe kennt man.

Peter Hannemann, Chefarzt an der Espan-Klinik in Bad Dürrheim
Peter Hannemann, Chefarzt an der Espan-Klinik in Bad Dürrheim | Bild: Angelika Wohlfrom

Corina Ewadinger kam im Juni 2022 mit ausgeprägter Belastungsluftnot und schweren Erschöpfungszuständen zur Reha in die Espan-Klinik. Selbst an leichten Übungen konnte sie damals nicht teilnehmen. Typisch für das Chronische Erschöpfungssyndrom: „Die Tragik besteht darin, dass es keine Therapie im engeren Sinne gibt, die die Belastbarkeit erhöht“, sagt Hannemann.

Therapeutisches Ziel sei es, dass der Patient lernt, mit dem verbliebenen Maß an Belastungskapazität seinen Alltag zu bewältigen. Welche körperlichen, geistigen oder sensorischen Belastungen lösen die Erschöpfungszustände aus? Danach wird ein Konzept erstellt, das dem Patienten hilft, mit seinen verbliebenen Reserven den Alltag einigermaßen zu meistern.

„Damit wurstel ich mich jetzt so durch meinen Alltag“, erzählt Corina Ewadinger am Esszimmertisch sitzend, sie lächelt tapfer. Durchwursteln klingt harmloser als es ist: Ohne ihre Familie, ihren Mann, ihre schon großen Söhne, ihre Eltern wäre sie aufgeschmissen. An guten Tagen schafft sie einen Spaziergang bis zur Trauerweide, die vielleicht 200 Meter hinterm Haus steht.

Ins Dorf gelangt sie eigentlich nur noch mit dem Rollstuhl, was ihr unangenehm ist, weil viele, denen sie begegnet, nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, mit ihr, der einst so aktiven und geselligen Vorsitzenden des Liederkranzes. Klar, an die Arbeit als Erzieherin ist unter solchen Voraussetzungen nicht zu denken.

Die Politik hat viel versprochen und wenig eingelöst

Die medizinische Versorgung der Patienten steckt zweieinhalb Jahre nach Beginn der Pandemie noch in den Kinderschuhen. Die Ampel-Koalition hatte eigentlich versprochen, „ein deutschlandweites Netzwerk von Kompetenzzentren und interdisziplinären Ambulanzen“ zu schaffen. Das Versprechen wurde nicht eingelöst.

Vor Kurzem hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) beim Runden Tisch Long Covid Besserung gelobt. Um Long-Covid-Patienten sofort und besser zu helfen, sollen mehr Medikamente zugelassen werden, mit denen die Erkrankung gelindert werden kann. Die angekündigten 100 Millionen Euro, die für die Erforschung von geeigneten Behandlungsmethoden eigentlich nötig wären, hat der Gesundheitsminister allerdings nicht zusammen.

Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, bei einem Besuch in der Uniklinik Marburg, wo er sich über den neuesten Stand von ...
Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, bei einem Besuch in der Uniklinik Marburg, wo er sich über den neuesten Stand von Forschung und Behandlung von Post-Covid-Patienten informieren lässt. | Bild: Hannes P Albert

Dabei kennt man laut Chefarzt Hannemann nach wie vor Ursachen für eine schwere Erkrankung nicht. Auch in Bad Dürrheim schaute deshalb man gespannt nach Berlin. Die gesammelte Erfahrung von 3000 Corona-Patienten, die dort zur Reha waren, will man dort nun auch für ambulante Behandlung von Long-Covid-Erkrankten nutzen.

Die Post-Covid-Ambulanz soll im November eröffnet werden, das Datum wurde schon nach hinten geschoben, denn eines fehlt immer noch: die Kassenzulassung. Ohne diese können sich Kassenpatienten nur auf eigene Rechnung behandeln lassen.

Keine Unterstützung von Seiten der Kassenärzte?

Beantragt hatte man die Zulassung bereits im vergangenen Herbst. Der Bescheid von der Kassenärztlichen Vereinigung fiel dann vor wenigen Monaten negativ aus. „Wir hatten auf Unterstützung gehofft“, sagt Geschäftsführer Bernd Baumbach. „Doch die Kollegen sehen den Bedarf in der Region nicht.“

Chefarzt Peter Hannemann hat allerdings Zweifel daran, dass Hausärzte Long Covid gut behandeln können. „Die wenigsten begreifen die Komplexität der Krankheit“, sagt er. „Die Patienten haben einen unheimlichen Bedarf an Betreuung. Das spiegeln sie uns ganz häufig wider.“ Die Espan-Klinik hat deshalb Widerspruch eingelegt.

Bernd Baumbach, Geschäftsführer der Espan-Klinik in Bad Dürrheim
Bernd Baumbach, Geschäftsführer der Espan-Klinik in Bad Dürrheim | Bild: Angelika Wohlfrom
„Wir hatten auf Unterstützung gehofft. Doch die Kollegen sehen den Bedarf in der Region nicht.“
Bernd Baumbach, Geschäftsführer der Espan-Klinik

Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg äußert sich nicht zum konkreten Fall. Zuständig sind die Zulassungsausschüsse, die Verfahren nicht-öffentlich. Sprecher Kai Sonntag verweist auf die bundesgesetzlichen Bestimmungen, die eine Trennung zwischen ambulantem und stationären Sektor vorsehen.

Möchte eine Klinik ambulant tätig werden, benötigt sie entweder einen Arztsitz oder eine Ermächtigung. Die Zahl der Arztsitze ist gesetzlich begrenzt. Im Schwarzwald-Baar Kreis, zu dem Bad Dürrheim zählt, seien augenblicklich nur freie Arztsitze für Hausärzte vorhanden. Ein Medizinisches Versorgungszentrum im Bereich Long-Covid könnte also nur hausärztlich tätig sein.

Im Fall der Espan-Klinik käme wohl eher eine Ermächtigung in Frage – also eine Art Sondergenehmigung für den Klinikarzt, zusätzlich zur stationären Tätigkeit auch ambulante Leistungen abrechnen zu dürfen. Dafür werden die umliegenden Praxen, in denen diese Behandlungen auch angeboten werden, gefragt, ob es noch freie Kapazitäten dort gibt. Gegebenenfalls haben Ärzte auch ein Drittwiderspruchsrecht, können also der Ermächtigung widersprechen, wenn er selbst freie Behandlungskapazitäten in diesen Leistungen nachweist.

Land verweist auf die vier Uni-Kliniken

Reichen die Angebote für Long-Covid-Patienten also aus? Das Gesundheitsministerium Baden-Württemberg verweist auf ein Modellprojekt an den vier Universitätskliniken Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm, welches das Land mit zwei Millionen Euro fördert. Hier sollen gute Behandlungsmöglichkeiten für Long Covid erforscht werden. Auch Kassenpatienten würden dort behandelt. Allerdings mit einiger Vorlaufzeit, wie das Beispiel Corina Ewadinger illustriert. Und nicht immer mit den praktischen Tipps, die sich Patienten erhoffen.

Atemtraining an der Espan-Klinik – mit solchen praktischen Übungen möchte die Espan-Klinik auch Post-Covid-Patienten unterstützen.
Atemtraining an der Espan-Klinik – mit solchen praktischen Übungen möchte die Espan-Klinik auch Post-Covid-Patienten unterstützen. | Bild: Angelika Wohlfrom

Günter Diehl, der als Arbeitspsychologe bei der Espan-Klinik arbeitet, kennt die Nöte der Patienten aus vielen Videokonferenzen mit den fünf verschiedenen Selbsthilfegruppen, die er nebenbei begleitet. Bei konkreten Behandlungsmethoden sieht er ein großes Manko: Den Patienten wieder richtiges Atmen beizubringen – das könnten die Forschungseinrichtungen nicht leisten, sie aber schon.

Und noch eine Menge anderer praktischer Fragen kämen zu kurz: Wie gehe ich mit meiner Familie um? Wie ernähre ich mich? Wie finde ich ins Arbeitsleben zurück? Die Espan-Klinik will den Patienten in der Ambulanz die volle Palette ihrer Angebote bieten: Gruppen-, Bewegungs-, Ergo-, Atom- und Kunsttherapie, psychologische Betreuung und kognitives Training. „Welcher niedergelassene Arzt kann das schon anbieten?“, fragt Geschäftsführer Baumbach.

Hannemann kann den Patienten Hoffnung machen

Gerade weil die geeigneten Medikamente fehlen, ist es wichtig, den richtigen Umgang mit der Krankheit zu finden, erklärt Chefarzt Hannemann. „Coping“ (Annehmen und Bewältigen) nennt man das, und „Pacing“ (in kleinen Schritten die Belastung steigern), um „Crashs“ (Zusammenbrüche) zu vermeiden, die sonst zu einem Rückfall führen. Beim richtigen Umgang mit der Krankheit kann Hannemann seinen Patienten Hoffnung machen. Der letzten großen Studie zufolge, waren nach zwölf Monaten 85 Prozent der Patienten beschwerdefrei, nach anderthalb Jahren waren noch 7,5 Prozent mit anhaltenden Beschwerden übrig.

Zu letzteren zählt Corina Ewadinger, die das Gespräch mit dem SÜDKURIER tatsächlich sehr angestrengt hat. Ihr Anliegen: Mehr Aufmerksamkeit für die Probleme der Erkrankten und bessere medizinische Betreuung.