Er habe ein gutes Gefühl, sagte der bis auf einen dunklen Schal und schwarze Sportschuhe ganz in weiß gekleidete Angeklagte Udo Schulz. Im Amtsgericht Sigmaringen musste sich der Zwei-Meter-Mann am Montag verantworten, weil mit einem riesigen Holzkreuz eine nicht genehmigte Corona-Demonstration am Privathaus von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in Laiz vorbei geführt haben soll.

Tierfreund mit Hühnern und Hunden

Die Polizei konnte bei der Demo am am 13. Februar ein geplantes Vordringen der etwa 50 „Spaziergänger“ zum Wohnsitz des Politikers verhindern. Der Einschüchterungsversuch der Demonstranten wurde über Parteigrenzen hinweg scharf verurteilt.

Der Angeklagte Udo Schulz (am rechten Bildrand) mit seinem Konstanzer Verteidiger Tomislav Duzel (links von ihm) und Richterin Kristina ...
Der Angeklagte Udo Schulz (am rechten Bildrand) mit seinem Konstanzer Verteidiger Tomislav Duzel (links von ihm) und Richterin Kristina Selig in der Bildmitte. | Bild: René Laglstorfer

Um seinen Hals trägt der laut eigenen Angaben tiefreligiöse Schulz ein Marien-Amulett. „Ich erwarte mir einen Freispruch“, sagt der 52-Jährige kurz vor Prozessbeginn zum SÜDKURIER. Auch eine niedrigere als die bisher verhängte Geldstrafe von 30.000 Euro wolle er nicht akzeptieren. Als Auflage könne er, Besitzer von drei Hunden und mehreren Hühnern, sich jedoch vorstellen, gemeinnützig in einem Tierheim zu arbeiten.

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Richterin droht Zuhörer mit Geldstrafe

Kurz vor Verhandlungsbeginn zeigte ein Bekannter des Angeklagten, der Stockacher Olaf S., mit dem Finger auf einen der fünf Journalisten im Gerichtssaal und bedachte dessen letzten Prozessbericht mit einem Fäkalausdruck.

Mit Zwischenrufen und demonstrativem Applaus sollte der offizielle Organisator mehrerer Corona-“Spaziergänge“ mehrfach die Verhandlung stören. Nach mehreren Ermahnungen von Richterin Kristina Selig, drohte sie S. beim nächsten Zwischenruf ein Ordnungsgeld an, was wirkte.

Bereits am zweiten Prozesstag hatte der Impfgegner Olaf S. für einen Eklat im Amtsgericht gesorgt und nun laut eigenen Angaben eine Anklage wegen Beleidigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt erhalten, wie er dem SÜDKURIER nach der Verhandlung sagte. Laut eigenen Angaben sei der Stockacher seit seiner Jugend etwa 35 Mal verurteilt worden.

„Hirnverbrannter (...) Landesvater“

Als Zeugin trat am letzten Prozesstag eine Lehrerin aus Sigmaringen auf, die an der Demo teilnahm. Sie übergab Richterin Selig einen Ausdruck aus einer Telegram-Gruppe, in der ein Unbekannter mit einem Plakat zum Corona-Spaziergang am 13. Februar in Laiz aufruft.

Udo Schulz steht am 13. Februar vor einer Polizeisperre in Laiz mit seinem Holzkreuz.
Udo Schulz steht am 13. Februar vor einer Polizeisperre in Laiz mit seinem Holzkreuz. | Bild: Telegram

Darunter kommentierte ein Mann namens Philipp, dass man „unseren hirnverbrannten sogenannten Landesvater besuchen“ wolle. Der Angeklagte habe damit ihres Wissens nach nichts zu tun, sagte die Zeugin. Schulz selbst betonte, Telegram erst einen Tag nach der Corona-Demo installiert zu haben, was laut Ermittlern stimmen dürfte.

Zunehmende Drohungen gegen Politiker

Oberstaatsanwalt Karl-Heinz Beiter nannte den Aufruf zur Demo in Laiz später in seinem Plädoyer ein Pamphlet und sagte: „Wer den Ministerpräsidenten hirnverbrannt nennt, muss davon ausgehen, dass so jemand auch zu Übergriffen fähig ist. Da ist ein erhebliches Gefahrenpotenzial.“

Staatsanwalt Karl-Heinz Beiter und Verteidiger Tomislav Duzel
Staatsanwalt Karl-Heinz Beiter und Verteidiger Tomislav Duzel | Bild: Hanser, Oliver

„Standartenträger“

Für Beiter gibt es keinen Zweifel, dass Udo Schulz die nicht angemeldete Versammlung mit seinem riesigen Holzkreuz als „Standartenträger“ leitete. „Er war derjenige, der weiß, wo der Ministerpräsident in Laiz wohnt (...) und die Marschrichtung vorgab“, sagte Beiter in seinem Plädoyer.

Die „Spaziergänger“ hätten sich an Schulz orientiert, etwa bei einer Rauchpause. Beiter führte weiter aus: Zum Schluss soll der 52-Jährige laut einem Polizisten gesagt haben, dass man – nachdem es wegen der Polizeiabsperrungen nicht funktioniert habe, in die Seitenstraße von Ministerpräsident Kretschmann zu gelangen – eben in einer Stunde wiederkomme.

Udo Schulz mit seinem beleuchteten Holzkreuz und seinen beiden Cane Corso-Hunden.
Udo Schulz mit seinem beleuchteten Holzkreuz und seinen beiden Cane Corso-Hunden. | Bild: privat

Im Zweifel für den Angeklagten?

Keine objektiven Beweise, dass Udo Schulz Leiter des Corona-“Spaziergangs“ gewesen wäre, liegen für den Konstanzer Verteidiger Tomislav Duzel vor. „Für mich stellt es sich so dar, dass er da zufällig war und dann mitgelaufen ist, ohne irgendwelche Leitungsfunktionen gehabt zu haben“, so Duzel.

Anwalt Tomislav Duzel aus Konstanz
Anwalt Tomislav Duzel aus Konstanz | Bild: Hanser, Oliver

Hätte sein Mandant gewusst, dass er sich mit seiner Teilnahme strafbar machen würde, wäre er gar nicht mitgelaufen. Zumindest bleiben für Duzel Zweifel, weshalb Schulz freizusprechen sei.

Verhalten ausschlaggebend

Um 12.30 Uhr fällte Richterin Kristina Selig das Urteil: Sie sprach Udo Schulz schuldig, eine unangemeldete Versammlung als Leiter durchgeführt zu haben und bestätigt die in einem Schnellverfahren verhängte Geldstrafe von 30.000 Euro.

Zufall oder Verabredung?

Laut der Richterin reiche es für eine Verurteilung bereits aus, dass sich jemand so verhält, als wäre er der Leiter einer Versammlung. „Sie haben den Weg vorgegeben und die Versammlung aufgelöst, indem Sie gesagt haben, dass man jetzt geht und in einer Stunde wiederkommt“, sagte Selig.

Sie nennt auch eine Bekannte des Angeklagten, die ausgesagt hatte, dass es eine Verabredung zum „Spazierengehen“ in Laiz gegeben habe. „Sie wollten gezielt hingehen und nicht, wie Sie sagten, alleine auf den Friedhof, um eine Oma oder einen Opa zu besuchen“, so die Vorsitzende.

„Ortswahl strafverschärfend“

Die Vorgeschichte mit Aufrufen auf Telegram spiele für die Leitertätigkeit keine Rolle, weil es darauf ankomme, wie vor Ort agiert würde.

Die Ortswahl – also der private Wohnsitz von Ministerpräsident Kretschmann – wirke strafverschärfend. „Es spielt sehr wohl eine Rolle, wo man hingeht“, sagte Selig in ihrer Urteilsbegründung.

Bei einer politisch aktiven Person könne man sich vorstellen, dass Demonstranten nach Stuttgart gehen, aber nicht zum persönlichen Zuhause nach dem Motto: „Wir wissen, wo du wohnst.“ Auch wenn die Versammlung eine „relativ friedliche Veranstaltung“ gewesen ist, sei die Situation dennoch bedrohlich gewesen.

Der Medienandrang war groß: Fernsehen, Radio und mehrere Zeitungen berichteten aus dem Amtsgericht Sigmaringen. Laut Direktor Christoph ...
Der Medienandrang war groß: Fernsehen, Radio und mehrere Zeitungen berichteten aus dem Amtsgericht Sigmaringen. Laut Direktor Christoph Freudenreich war es der Prozess mit dem größten öffentlichen Interesse in diesem Jahr. | Bild: René Laglstorfer

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Berufung und Wahrheit

Verteidiger Duzel übergab der Vorsitzenden Selig nach ihrer Urteilsbegründung die vorbereitete Berufung mit den Worten: „Herr Schulz hält es für ein Fehlurteil, ich für ein ganz eklatantes“, so der Konstanzer.

Udo Schulz und sein Anwalt Tomislav Duzel
Udo Schulz und sein Anwalt Tomislav Duzel | Bild: Hanser, Oliver

Dem SÜDKURIER sagte er später, dass er mit seinem Mandanten durch alle Instanzen bis zum Europäischen Gerichtshof gehen werde. Oberstaatsanwalt Beiter zeigte sich über das Urteil zufrieden und ergänzte: „Wer die Wahrheit so entstellt, der muss damit rechnen, dass man ihm nicht glaubt.“ Das Urteil ist nicht rechtskräftig.