Für Zehntausende Baden-Württemberger wird der kommende Sonntag kein Freedom-Day, kein Freiheits-Tag sein, sondern das glatte Gegenteil. Corona-infiziert werden sie in Quarantäne sitzen, einige von ihnen deswegen sogar im Krankenhaus sein und manche daran sterben. Und draußen explodiert das Leben. Maßnahmen und Masken ade, kann das richtig sein? Das Gefühl sagt sofort nein. Aber ganz so einfach ist es nicht.
All jenen, die jetzt infiziert sind, haben offensichtlich schon die bisherigen Maßnahmen keinen ausreichenden Schutz gebracht. Droht ganz ohne Regeln dann nicht der totale Kontrollverlust? Nein – weil er eh schon da ist. Die Infektionszahlen bewegen sich seit Wochen am Rande des hierzulande messbaren Bereichs, das Virus läuft durch, jeder sieht das im Bekanntenkreis.
Die Welle wird erst enden, wenn Herdenimmunität erreicht ist. Um das bei der extremen Ansteckungsgefahr durch Omikron überhaupt zu ändern wären Maßnahmen nötig, wie sie Deutschland noch nie gesehen hat.
Vielmehr müssen wir einsehen: Nicht jeder Kontrollverlust führt zur Katastrophe. Das ist keine Einstellung, die im deutschen Gemüt veranlagt ist. Aber wir sehen es gerade: Extrem hohe Infektionszahlen, dennoch kein Desaster in den Krankenhäusern.
Keine Freiheitsbeschränkung für Schein-Maßnahmen
Der Verzicht auf die Maßnahmen ist vor allem ein Eingeständnis dieser Situation, ein Anpassen an die Realität. Man kann nicht für Schein-Kontrollmechanismen dauerhaft die Freiheit einschränken – es ist ein großes Glück, dass sich diese Einsicht durchgesetzt hat.

An diesem Punkt muss man aber auch eine Ehrlichkeit wagen: Die Impfungen haben unsere Erwartungen enttäuscht. Es ist ernüchternd, wie schwach selbst eine dritte Dosis darin ist, Infektionen zu verhindern. Da wurde uns mehr versprochen.
Ein Fehler war es dennoch nicht, sich impfen zu lassen: Weiterhin ist klar nachzuweisen, dass die Impfung sehr schwere Verläufe und den Corona-Tod massiv unwahrscheinlicher macht. Auch deswegen laufen jetzt die Intensivstationen nicht voll – damit haben Impfungen ihren Anteil an den Öffnungen.
Dennoch sollte die Politik bei der derzeitigen Gemengelage – schwacher Infektionsschutz durch Impfung, Infektionen mit wenigen schweren Verläufen – endlich einsehen, dass man Impfskeptiker jetzt nicht mehr überzeugt bekommt. Teure Kampagnen mögen gut gemeint sein, aber bewegen sich langsam in den Bereich des Lächerlichen hinein (wie etwa der „Impf-O-Mat“ des Landes mit Eckart von Hirschhausen).
Was der nächste Schritt sein wird
Haben wir den katastrophenfreien Kontrollverlust einmal akzeptiert, ist auch klar, was der nächste Schritt sein wird: das Ende der Quarantänepflicht für Infizierte. Dieser Schritt, den die Schweiz schon wagt, wirkt gefühlsmäßig gleich ganz schrecklich. Nur: Auch er ist in der Realität schon vollzogen.
Wer sich nicht gerade offiziell testen muss, kann eine Infektion problemlos verschleiern, gerade Geimpfte können hier schon längst unkontrolliert – da immer testfrei – herumlaufen. Und selbst wer offiziell in Quarantäne ist: Die Zahl seinesgleichen ist längst viel zu hoch, als dass irgendwer noch nachprüfen würde, ob er sich daran überhaupt hält.
Quarantänepflicht? Ein fast wirkungsloser Verwaltungsakt
Die Quarantänepflicht ist vor allem noch ein Verwaltungsakt, der Kapazitäten bei Gesundheitsämtern bindet und real wenig bewirkt. Wer vernünftig ist, bleibt daheim, und wer unvernünftig ist, nicht – nicht anders wird es sein, wenn die Pflicht gefallen ist.
Dass Sozialminister Manfred Lucha für genau diese Beschreibung der Realität routinemäßig eins auf die Mütze bekommen hat, ist bedauerlich, war es doch seine beste Idee in der ganzen Pandemie.
Ist der Regel-Ende-Sonntag also ein Feiertag? Nicht wirklich, dafür bietet die Corona-Situation wenig Anlass, die weltpolitische schon gar keine. Und irgendwann kommt ja auch wieder der infektionstreibende Herbst – doch bis dahin gilt, was immer gilt: Wir müssen uns unserer Freiheit nicht schämen.