Die Eisdiele unterhalb vom Hohenzollernschloss in Sigmaringen ist gut besucht. Es ist Ende März, der Frühling bringt fast schon frühsommerliche Temperaturen. Dennoch fällt auf, dass nur wenige Menschen in der Fußgängerzone unterwegs sind. Still ist es in den Straßen, die Läden warten vergebens auf Kundschaft, manche haben gar nicht erst geöffnet.

Im Landkreis Sigmaringen herrscht seit Wochen erhöhtes Infektionsrisiko, nirgendwo sonst im Land ist die Inzidenz so hoch wie hier. Zeitweise brach sie die 3500er-Marke und erreichte damit einen bundesweiten Rekordwert. Aktuell liegen die Werte mit über 2700 Fällen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen immer noch hoch – und höher als in jedem anderen Landkreis im Südwesten.

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Besuchsverbot im Krankenhaus

Darauf reagiert hat das Krankenhaus in Sigmaringen. Es hat ein Besuchsverbot verhängt, Ausnahmen gibt es nur bei Geburten für die Väter. Zwei Covidpatienten liegen derzeit auf der Intensivstation, 52 auf der Isolierstation. Davon sind 30 wegen Covid in der Klinik, bei den übrigen Patienten war der Test positiv, der Grund für die Behandlung aber ein anderer.

Georg von Boyen ist Chefarzt und Leiter des Corona-Krisenstabs in der Klinik in Sigmaringen.
Georg von Boyen ist Chefarzt und Leiter des Corona-Krisenstabs in der Klinik in Sigmaringen. | Bild: SRH Klinik

Doch der personelle Aufwand bei isolierten Patienten ist hoch. Und das, obwohl die Klinik wegen Coronafällen ohnehin schon mit knappem Personal haushalten muss. Etwa zehn Prozent seien derzeit durch Covid ausgefallen, erklärt Chefarzt Georg von Boyen. „Meist bringen es die Kinder von der Kita oder der Schule mit nach Hause und die Eltern stecken sich dann an“, sagt der Leiter des Corona-Krisenstabs in Sigmaringen.

Schulen stark betroffen

Tatsächlich sind die Schulen im Landkreis von der Omikronwelle betroffen. Allein 43 Lehrer sind in Isolation. Für 313 Schüler gilt das ebenso, in Quarantäne sind fast 200. Rund 13.000 Schüler gibt es nach Zahlen des Statistischen Landesamtes im Kreis Sigmaringen.

Geschlossene Schulen gebe es keine, sagt der Leiter des zuständigen Schulamts Albstadt, Gernot Schultheiß. Man versuche, so wenig wie möglich Unterricht ausfallen zu lassen, teils werde mit Fernunterricht überbrückt, Abschlussklassen priorisiert. Wie viel Unterricht ausfällt, ist allerdings unklar: Das wird im Schulamt nicht statistisch erfasst.

Vergleichsweise niedrige Impfquote

Im Kreis Sigmaringen ist die Impfquote im Vergleich mit anderen Kreisen im Südwesten eher niedrig. 67,1 Prozent der Menschen im Landkreis sind vollständig geimpft, gerade einmal die Hälfte geboostert.

Die Impfpflicht für alle hält Krisenstabsleiter von Boyen auch deshalb weiter für notwendig – auch, weil im Herbst sicher wieder neue Varianten auftreten. Der Chefarzt macht auch aus seinem Missfallen zur Aufhebung der Maßnahmen keinen Hehl: „In vier oder fünf Wochen haben wir sicher eine andere Lage, so lange hätte man an den Maßnahmen noch festhalten sollen“, glaubt er.

„Seit Mitte Februar beobachten wir, dass die Inzidenz im Kreis Sigmaringen deutlich über dem Landesdurchschnitt, teils sogar an der Bundesspitze liegt“, sagt Landrätin Stefanie Bürkle: „Das gesellschaftliche Leben nimmt immer mehr Fahrt auf. Die Menschen treffen sich wieder.“ Wünschen würde sie sich etwas anderes: „Wir alle wissen, was helfen würde: Kontakte reduzieren, vorsichtig sein, Maske tragen, nicht alles ausnutzen, was erlaubt ist.“

Rita und Mandy Werkmann, Mutter und Tochter, mit ihren Kindern, haben keine Angst vor einer Ansteckung: Rita Werkmann ist geimpft, ...
Rita und Mandy Werkmann, Mutter und Tochter, mit ihren Kindern, haben keine Angst vor einer Ansteckung: Rita Werkmann ist geimpft, Tochter Mandy genesen. | Bild: Moll, Mirjam

Rita Werkmann und ihre Tochter Mandy haben die Masken am Ärmel hängen, essen gerade ein Eis. Sie finden es seltsam, dass die Maskenpflicht fallen soll. „Die Maskenpflicht im Supermarkt sollte schon Pflicht bleiben“, sagt die 60-Jährige, die selbst im Einzelhandel tätig ist.

Ihre 31-Jährige Tochter ergänzt: „Ich kann es mir gar nicht vorstellen, dass es so kommt“, sagt sie mit Blick auf die bevorstehende Aufhebung der Pflicht zum 3. April. Angst vor Ansteckung ob der hohen Inzidenz haben die beiden nicht. Rita Werkmann ist geimpft, ihre Tochter genesen. „Wenn man es mal gehabt ist, ist der Schrecken nicht mehr so groß“, sagt die 31-Jährige, die keine größeren Folgen von der Infektion hatte und sich bislang nicht impfen ließ.

Brigitte Klatt will auch künftig Maske tragen beim Einkaufen – alles andere hält sie für zu riskant.
Brigitte Klatt will auch künftig Maske tragen beim Einkaufen – alles andere hält sie für zu riskant. | Bild: Moll, Mirjam

Ganz anders sieht das Brigitte Klatt: „Impfen ist das einzige, das hilft“, sagt die 76-Jährige. Ihre Tochter hat einen kleinen Sohn, die ganze Familie sei geimpft. Der Schwiegersohn habe dabei allerdings eine der selten auftretenden Herzmuskelentzündungen bekommen.

Lockerungen hält sie für wenig angemessen. „Das widerspricht jeder Logik“, so Klatt. Den Menschen würde so schließlich falsche Sicherheit suggeriert. Sie werde deshalb auch künftig Maske im Supermarkt tragen. Schon jetzt bringt sie ihre eigenen Desinfektionstücher für die Einkaufswägen mit – „das wird ja oft gar nicht mehr angeboten“, sagen sie.

Polizei und Feuerwehr nicht eingeschränkt

Ein Polizeiwagen fährt langsam an dem Vorplatz des Schlosses vorbei. Das zuständige Polizeipräsidium Ravensburg gibt auf Nachfrage keine Zahlen an, spricht aber von „etlichen Personalausfällen“ aufgrund von Covid in den vergangenen Wochen. Striktes Maskentragen, räumliche Trennung und ein hoher Anteil an geboosterten Beamten habe aber verhindert, dass es zu größeren Ausfällen gekommen sei.

Bei der Freiwilligen Feuerwehr der Stadt Sigmaringen zeigt sich ein ähnliches Bild. Etwa fünf Prozent des Personals fielen pro Woche aus, „was wir sehr gut ausgleichen konnten“, so Sprecher Jürgen Bossert.

Bis zu 20 Prozent Personalausfall

Das dürften sich auch einige Unternehmen in der Region wünschen. Die Krankenquote ist dort allerdings hoch, die IHK Bodensee-Oberschwaben zumindest verzeichnet „Krankenstände bis zu 20 Prozent“ bei ihren Mitgliedern, wie Sprecherin Anje Gering auf Nachfrage mitteilt. Dadurch entstehen Herausforderungen, die Produktions- und Leistungsfähigkeit aufrecht zu erhalten, fügt sie hinzu.

Julia Lehner führt einen kleinen Laden in Sigmaringen. Sie hat sich an die Pandemie gewöhnt. Angst vor Ansteckung hat sie weniger. Doch ...
Julia Lehner führt einen kleinen Laden in Sigmaringen. Sie hat sich an die Pandemie gewöhnt. Angst vor Ansteckung hat sie weniger. Doch die Folgen der Inzidenz machen ihr Sorgen: Kunden kommen immer weniger. | Bild: Moll, Mirjam

Betroffen sind aber auch die Einzelhändler von den Folgen der Infektionen im Landkreis: „Es kommen kaum Kunden“, sagt Jutta Lehner, die in einem kleinen Laden nahe des Schlosses Deko und Geschirr verkauft. Die ausbleibende Kundschaft macht ihr mehr Sorgen als die hohe Inzidenz: „Daran gewöhnt man sich irgendwann“, sagt sie.

Ihre Kinder seien ohnehin schon infiziert gewesen, sie selbst vermutet, sich angesteckt zu haben, auch wenn der Test negativ war. Geimpft sei sie ohnehin. Trotzdem bleibt sie vorsichtig. „Ich werde weiter Maske tragen“, sagt sie mit Blick auf die Aufhebung der Maßnahmen. „Aber schützen muss sich jetzt wohl jeder selbst.“

Ein Stück Normalität

Ein paar Schritte weiter vom „Eckhaus“, Lehners Laden, liegt das Café Seelos. Hier sind immerhin viele der Außentische besetzt. Blickt man nur auf diese Szene, könnte man denken, die Pandemie habe es nie gegeben.

Kellner Ante hat alle Hände voll zu tun, die Gäste in der Nachmittagssonne alleine mit Nussschnecken, Schwarzwälder und Käsesahne zu versorgen. Die Hofkonditorei hat mit Personalmangel zu kämpfen, wegen der Pandemie, der Lockdowns, ausfallenden Mitarbeitern.

Zumindest an Kunden mangelt es bei schönem Wetter nicht, sagt der Kellner, aber: „Viele Stammkunden können nicht kommen, weil sie in Isolation sind.“ Er selbst war demnach auch schon betroffen, ein milder Verlauf. „Ich lese das immer nur in der Zeitung, mit den schweren Verläufen“, sagt er. Es klingt ein wenig, als zweifle er daran.

Ursula und Walter Storz aus Tuttlingen kommen gerne nach Sigmaringen, ihr Lieblingscafé und ein Stück Kuchen bei Kellner Ante gehören ...
Ursula und Walter Storz aus Tuttlingen kommen gerne nach Sigmaringen, ihr Lieblingscafé und ein Stück Kuchen bei Kellner Ante gehören immer zum Programm. Beide sind geimpft, Maske tragen wollen sie trotzdem weiter, auch wenn die Pflicht entfällt. | Bild: Moll, Mirjam

Zwei seiner treuen Kunden sitzen an diesem Nachmittag auch auf der Terrasse des Cafés. Ursula und Walter Storz, beide 76, kommen aus Tuttlingen häufiger her. Sie sind beide geimpft, geboostert und finden es selbstverständlich, Maske zu tragen und sich regelmäßig zu testen – schon zum Schutz für andere. „Es ist nicht gut, dass die Maßnahmen fallen“, sagen sie: „Die Pandemie hört so doch nicht auf.“ Weil eben nicht alle geimpft seien.

Die Impfpflicht muss her, fordern beide: „Dann hätten wir die Pandemie sicher schon zu 80 Prozent bekämpft.“ Doch in Sigmaringen ist sie präsenter denn je.