Pullover, Jeans, gute Laune: Jörg Meuthen wirkt offen und aufgeräumt bei der Begrüßung; als Treffpunkt hat er ein zentrales Café in seinem Wohnort Achern vorgeschlagen. „Wenn ich mich hier bewege, egal wo: Die Menschen begegnen mir freundlich“, sagt der frühere AfD-Bundessprecher, der damals auch andere Erfahrungen gemacht hat. „Ich fühle mich wohl, zuhause und als Mensch anerkannt. Ich habe hier mit niemandem Konflikte.“
Der 63-Jährige hat sich Cappuccino an seinen Clubsessel bestellt und bittet darum, noch eine Handy-Nachricht beenden zu dürfen. 2022 hat Meuthen die AfD verlassen; Im vergangenen Sommer schied er aus dem Europaparlament aus, doch von Ruhestand kann bei ihm keine Rede sein. Allein schon die sieben Kinder, um die er sich mit seiner dritten Ehefrau kümmert, erfordern eine Rückkehr in die Erwerbstätigkeit. Seine politischen Vorstellungen treibt er trotzdem voran – in der Werteunion, die 2024 zur Partei wurde.
Bereits im vergangenen Oktober sorgte die Meldung für Schlagzeilen, dass der frühere AfD-Frontmann seine seit 2016 unterbrochene Lehrtätigkeit an der Hochschule Kehl (Ortenaukreis) wieder aufnehmen werde. Die Offenburger Initiative „Aufstehen gegen Rassismus“ versuchte in einem offenen Brief, das zu verhindern. Rektor Joachim Beck verwies auf Meuthens gesetzliches Rückkehrrecht und auf die fachliche Qualifikation des Wirtschaftswissenschaftlers: „Die Evaluationen zeigen, dass er ein hervorragender Dozent war.“
Keine Sorge vor Studentenprotesten
„Ich habe vor zwei Wochen mein Büro bezogen“, bestätigt Meuthen nun; zu Semesterbeginn im März werde er Vorlesungen halten. Sein 180-seitiges früheres Skript hätten die Kollegen ersetzt. „Ich vermute, weil es das Skript des AfD-Sprechers war. Ich werde mich nun an das Neue anpassen und in Absprache mit den Kollegen so unterrichten, dass es eine gemeinsame Prüfung geben kann.“
Studentenproteste erwartet er nicht. „Falls doch, könnte ich aber auch damit umgehen. Ich habe das betreffend in früheren Jahren ja doch einiges erlebt.“ Die Studierendenvertretung weiß auf Nachfrage nichts von entsprechenden Plänen. Der zu politischer Neutralität verpflichtete Allgemeine Studierendenausschuss wollte den Vorgang ansonsten nicht kommentieren.
Von der AfD distanziert er sich mittlerweile
Meuthen ist in Baden-Württemberg nicht nur als Bundes- und Europapolitiker bekannt. Bei den Landtagswahlen 2016 führte er die AfD als Landesvorsitzender mit 15,1 Prozent aus dem Stand an die Spitze der Opposition und leitete von 2016 bis 2017 die erste AfD-Fraktion in Baden-Württembergs Parlament. „Das kann man erreichen, wenn man vernünftig arbeitet“, sagt er heute dazu. Dass er das in den Folgejahren zunehmend weniger gewährleistet sah, daraus macht Meuthen längst keinen Hehl mehr.
Beim Blick auf seine alte Partei beschäftigen ihn heute Phänomene wie „der megaaggressive Auftritt“ von Bundeschefin Alice Weidel beim jüngsten AfD-Parteitag in Riesa. Dass sie Hitler im Gespräch mit Elon Musk groteskerweise als Kommunisten bezeichnet habe. Oder eine Aktion, bei der die AfD jüngst in Karlsruhe „Abschiebetickets“ in Briefkästen warf. „Was für eine vulgäre Geschmacklosigkeit! Im Übrigen bei der NPD entliehen. Das zeigt eigentlich, wo die Partei heute steht. Ich finde es tief erschreckend.“
Wegen der Eurokrise in die AfD
Meuthen ist stolz darauf, von der Lobbyorganisation European Coalition for Israel zum israelfreundlichsten Abgeordneten des Europäischen Parlaments gewählt worden zu sein. Der Finanzexperte war 2013 wegen der Eurokrise in die AfD eingetreten; die Arbeit dort sei damals menschlich angenehm und eine intellektuelle Freude gewesen. Doch die Partei habe sich anders entwickelt, als er das erhofft habe.
„Egal, wo ich hinkam, die Menschen wurden immer schlichter, die Gesichter immer dumpfer – die, die ich immer die Höcke-Brülläffchen nenne“, beschreibt er diesen Prozess. Verschwörungstheoretiker, Nullnummern, Loser-Typen, üble Karrieristen: „Das ist der Wandel, den diese Partei durchlaufen hat. Und ja, es ist sozusagen eine Unterwanderung von rechts, die absolut erfolgreich verlief.“ Inhaltlich sei die Partei weitgehend blank.
Welche Fehler er einräumt
Es gibt genug Menschen, die Meuthen seine gemäßigte Selbstdarstellung nie abgenommen haben. Andere werfen ihm vor, lediglich zur öffentlichen Verharmlosung der AfD beigetragen zu haben. „Natürlich habe ich, gerade in den ersten Jahren, auch Fehler gemacht“, sagt er heute.
„Ich war da anfangs zu kooperativ und habe Dinge und auch Personen unterschätzt. Ich habe dann aber ab 2018 wirklich den Hebel konsequent umgelegt.“ Meuthen verweist auf den Parteiausschluss des rechtsextremen Brandenburgers Andreas Kalbitz. 2022 trat er selbst aus, wohl wissend, dass sein Mandat die nächste Europawahl nicht überstehen würde.
Zeit für seine Passion, das Segelfliegen, wird er allerdings auch in den kommenden Monaten nicht haben. Nach einem kurzen Gastspiel bei der Zentrumspartei ist der Katholik in die 2024 gegründete Werteunion eingetreten und dort zu einem von drei stellvertretenden Bundesvorsitzenden avanciert.
„Da kann ich vernünftig arbeiten, da habe ich es mit vernünftigen Menschen zu tun und nicht mit irgendwelchen Marktschreiern.“ Derzeit würden überall Kreisverbände gegründet, gerade erst in der Ortenau. „Wenn das alles fertig ist, dann werden wir hier in die Landtagswahl gehen. Darauf freue ich mich.“
Was Habeck macht, sei „ökonomischer Wahnsinn“
Steht er 2026 als Spitzenkandidat zu Verfügung? „Ich werde das wohl anbieten. Ich biete die wichtige Kombination von Ökonomie und Politik. Das ist eine ganz segensreiche Kombination in einer Situation, in der ein Land in der Krise ist.“ 2026 also könnte es schon wieder vorbei sein mit der Lehrtätigkeit.
Meuthen beklagt einen generellen Mangel an Diskussionskultur und Respekt im öffentlichen Raum, bei aller Freude an inhaltlichem Streit. „Ich halte das, was Herr Habeck macht, für blanken Unfug. Und zwar durchgängig – alles, wirklich alles ökonomischer Wahnsinn“, erklärt er zum Kanzlerkandidaten der Grünen. „Aber deswegen werde ich ihm nicht absprechen, dass er das für gut hält.“
Zumal Meuthen die Schuld nicht nur im progressiven Lager sieht. „Die Industriepolitik, die Habeck macht, geht zurück auf Peter Altmaier von der CDU. Die Grundsteinlegung für die wirtschaftliche Krise, in der wir heute sind, waren die 16 Merkel-Jahre mit dem Ausstieg aus der Kernkraft, mit dem Einstieg in immer mehr staatliche Einflussnahme auf das wirtschaftliche Geschehen.“ Die Ampel-Regierung habe diese „Kardinalfehler“ nicht korrigiert, sondern vervollkommnet.