OP-Mundschutz, FFP1-, FFP2-, FFP3-, KN95-Maske oder doch lieber den Schal vors Gesicht? Die Verwirrung ist groß. Pflicht bleibt der Mund-Nasen-Schutz trotzdem. Was also tun?
Es gibt eine scheinbar simple Regel: Wer nicht nur andere, sondern auch sich selbst vor dem Virus schützen will, muss Geld in die Hand nehmen und FFP2-Maske tragen. Sie kostet zwar mehr, hält dafür aber laut Norm 94 Prozent der Viren ab – theoretisch zumindest.
Doch stimmt das wirklich? Ist man mit der teuren Alternative wirklich immer geschützt? Der SÜDKURIER hat neun als FFP2 deklarierte Masken unter die Lupe genommen – aus regionalen Apotheken und dem Internet. Die verheerende Bilanz: Acht der neun Masken erfüllen die erforderliche Norm nicht vollständig.
„In Deutschland sind Millionen Masken im Umlauf, die den Träger nur unzureichend schützen“
Roland Ballier nimmt den Test vor. Der öffentlich bestellte und vereidigte Gutachter für Medizinprodukte hat viel Erfahrung. Er testet Masken seit Jahren. Doch was seit März 2020 auf dem europäischen Markt los ist, macht ihn fassungslos: „In Deutschland sind Millionen Masken im Umlauf, die den Träger nur unzureichend schützen“, sagt er. Krankenhäuser, Behörden, Pflegeheime wollen von Ballier wissen, ob ihre Masken sicher sind.
Kein Wunder – von März bis Oktober wurde auf die reguläre Prüfung von FFP2-Masken von der Bundesregierung bewusst verzichtet. Die Standards, die eine Maske erfüllen muss, wurden deutlich reduziert, weil die Zulassungstests sonst Wochen gedauert hätten. Diese Zeit hatte die Bundesregierung nicht. In Krankenhäusern und Pflegeheimen waren die Lager leer. „Man dachte: lieber schlechte FFP2-Masken als gar keine“, sagt Roland Ballier.
Viele Fake-Masken im Handel erhältlich
Viele Hersteller nahmen es mit der Qualität dann nicht mehr so genau. Sie sahen das große Geschäft. Masse statt Sicherheit. Und einige Betrüger nutzten die Verwirrung. Sie gaben vor FFP2-Masken anzubieten, obwohl es keine sind.
Seit Oktober gelten wieder die alten Spielregeln. Doch die Masken, die in der Zwischenzeit auf dem europäischen Markt gelandet sind, dürfen weiterhin verkauft werden. Experten sprechen von Milliarden Masken, die seitdem ungeprüft kursieren. Beim Kauf kann man Glück oder Pech haben. Ein Russisch Maskenroulette sozusagen.
Deshalb ist Roland Balliers Beruf derzeit so gefragt. Sein Kalender mit Aufträgen platzt aus allen Nähten. Bevor er mit den Tests loslegt, kalibriert er die Maschine der Firma Palas. Andere Prüforganisationen nutzen auch den „PMFT1000“. Günstig ist das nicht: Die Spezialmaschine kostet 100.000 Euro. Für jede einzelne Maskenprüfung werden Kosten im mittleren bis hohen dreistelligen Bereich fällig.
Die Kalibrierung ist notwendig. Denn sogar die Außentemperatur, der Luftdruck und die Luftfeuchtigkeit haben Einfluss auf das Ergebnis. Sollte Ballier das Gerät bei 10 Grad einsetzen, obwohl es auf eine Außentemperatur von 15 Grad eingestellt ist, wäre das Ergebnis verfälscht.
Danach spannt man die Maske in einen Kunststoffbügel und setzt die Konstruktion in das Prüfgerät. Die Prüfung kann beginnen.
Dann heißt es warten, rund 15 Minuten dauert der Test einer Maske. In dieser Zeit bläst der „PMFT1000“ kleine Partikel Paraffin und Natriumchlorid von außen durch den Stoff.
Sie simulieren Aerosole. Diese verbreiten das Virus einer infizierten Person durch die Luft. 94 Prozent müssen gefiltert werden. Nur dann darf eine FFP2-Maske mit dem CE-Siegel, dem Zeichen für die europäische Norm, versehen werden.
Doch das ist nicht alles. Die Maschine testet auch den Atemwiderstand – ein weiteres wichtiges Kriterium bei einer FFP2-Maske. Die Filterleistung kann noch so gut sein – wenn der Atemwiderstand zu hoch ist und das Atmen schwerfällt, muss der Mund-Nasen-Schutz regelmäßig abgesetzt werden. Gerade für Ärzte und Pfleger ist das in vielen Situationen undenkbar. Die perfekte FFP2-Maske ermöglicht normales Atmen bei gleichzeitig hoher Filterleistung.
Leichter gesagt als getan. Im SÜDKURIER-Test erfüllt nur eine einzige Maske beide erforderlichen Kriterien. Beide Masken aus dem Internet fallen durch den Filtertest. Eine Maske wurde bei Amazon, eine beim Onlinehandel der Supermarktkette Real bestellt.
Die Amazon-Maske ließ 74 Prozent der simulierten Coronaviren durch. Die Maske von real.de, die angeblich die chinesische Norm KN-95 erfüllt, ließ sogar 96 Prozent der Teilchen durch. Dabei steht die chinesische Norm KN-95 den Anforderungen des europäischen CE-Zeichens eigentlich in nichts nach. Die Kriterien sind ähnlich hoch.
Amazon und real.de nehmen Masken aus dem Sortiment
Amazon reagierte auf eine SÜDKURIER-Anfrage prompt und nahm das Angebot aus dem Netz. „Wir verlangen, dass alle in unserem Store angebotenen Produkte den geltenden Gesetzen und Vorschriften entsprechen. Das fragliche Produkt ist nicht mehr erhältlich und wir haben interne Untersuchungen angestoßen“, so ein Unternehmenssprecher.
Auch Real lässt auf Anfrage wissen, man bedauere es sehr, „dass der von Ihnen getestete Artikel nicht den dargestellten Anforderungen und Normen genügt.“ Die Artikel seien „umgehend“ aus dem Angebot genommen worden. „Wir verpflichten die Marktplatzhändler zur Rechtskonformität der Produkte“, sagt eine Unternehmenssprecherin. Man kooperiere mit Marktüberwachungsbehörden, habe die Händler nun zur Eingruppierung ihrer Angebote aufgefordert und zusätzliche Unterlagen angefordert.
Getestete Apotheken-Masken erschweren das Atmen
Bei Produkten aus Apotheken hat man in der Regel ein sicheres Gefühl. Doch auch hier gibt es Mängel. Zwar fällt nur eine von sieben FFP2-Masken durch den Viren-Filtrierungstest. Dafür ist der Atemwiderstand bei fünf von sechs anderen Masken deutlich zu hoch.
Dieser Widerstand wird in unterschiedlichen Luftströmen hintereinander gemessen. Die Masken dürfen dabei nur einen bestimmten Druckabfall haben. Bei vier der sechs Masken ist dieser bei der Ausatmung deutlich zu groß. Zwei Masken rasseln durch den Test bei Flach- und Tiefeinatmung. Diese Apotheken-Masken schützen also vor dem Virus, erschweren aber die Atmung zu stark.
Atemleistung wird oft vernachlässigt
Ballier hat dafür eine Erklärung. Die Anbieter legen häufig mehr Wert auf die Filterfunktion. Dass dieser aber nicht das einzige Kriterium für eine FFP2-Maske sein darf, scheinen viele Hersteller nicht zu wissen.
Praxistipps von Roland Ballier
Apothekerverband verteidigt sich
Der Landesapothekerverband nimmt sich aus der Schusslinie. Pressesprecher Frank Eickmann sagt, dass „keine Aufsichtsfunktion obliegt – weder über die in Apotheken angebotenen Produkte noch über die Apotheken selbst.“
Die Kernaufgabe der Apotheke sei die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln: „Schutzmasken, auch in der FFP-Klassifizierung, stellen im rechtlichen Sinne keine Arzneimittel dar“, sagt Eickmann. Hinzu komme: Vor Corona hätten Schutzmasken in den Apotheken nahezu keine Rolle gespielt. „Gleichwohl ist davon auszugehen, dass die öffentliche Apotheke die Qualität und Normenkonformität aller Ware, die sie anbietet, sorgfältig recherchiert und gegebenenfalls prüft“, so Eickmann.
CE ohne Prüfziffer? Ein Alarmsignal
Viele Maskenkäufer verlassen sich auf die EU-Norm, also die CE-Kennzeichnung samt Prüfziffer. Auf allen Produkten aus Apotheken sind CE-Kennzeichen vorhanden. Prüfziffern fehlen teilweise. Für Roland Ballier ist die Sache klar: „Wo immer ein CE ohne Prüfziffer steht, kann man davon ausgehen, dass diese Maske nie überprüft wurden. Es gibt keine Prüfung ohne diese vier Zahlen.“
Bestätigung und Zertifizierung helfen bei Orientierung
Als Endverbraucher ist man beinahe aufgeschmissen. Man hat nur bedingt ?Möglichkeit Fälschungen und schlechte Masken von qualitativ Hochwertigen zu unterscheiden. Es sei denn, der Verkäufer legt ?entsprechende Dokumente von Prüf- und Zertifizierungsstellen oder eine Bestätigung des Regierungspräsidiums auf Verkehrsfähigkeit vor. Streng genommen müssen das alle Anbieter sogar.
Auf der Bestätigung des Regierungspräsidiums heißt es: „Diese Bestätigung ist an alle Käufer beziehungsweise Zwischenhändler bis zum Verwender jeder Abgabeeinheit beizufügen.“ Heißt: Egal ob man in der Apotheke, in der Drogerie oder im Internet eine oder mehrere Masken kauft – der Anbieter muss eine Bescheinigung vorlegen, dass die Masken in den Verkehr gebracht werden dürfen.
Selbst Bestätigungen können täuschen
Zwar steigt dann die Wahrscheinlichkeit eine gute Maske zu bekommen – darauf verlassen kann man sich dennoch nicht ausschließlich. Denn der Anbieter auf Amazon zum Beispiel hat mit einem Beleg für die Qualität seines Produktes geworben. Das bestätigt auch der Amazon-Sprecher im Telefonat mit dem SÜDKURIER. Kein Einzelfall, weiß Ballier.
Bei den gekauften FFP2-Masken aus der Apotheke konnte nur ein einziger Händler eine Bestätigung des TÜVs vorlegen. Die Bestätigung des Regierungspräsidiums fehlte auch hier. Die anderen Verkäufer wiesen zwar darauf hin, dass es eine zertifizierte Maske sei – schriftlich vorlegen konnte man aber nichts. Die Preise der ?Masken in der Region: zwischen drei und neun Euro pro Stück.
Also alle Masken, die nicht die Norm erfüllen einfach wegschmeißen? Nein, sagt Roland Ballier. In vielen Tests fallen Masken nur knapp durch seine Prüfung. Bedeutet: diese Masken bieten trotzdem einen ordentlichen Schutz vor Corona. „Und egal wie schlecht eine FFP2-Maske abschneidet – sie schützt in aller Regel immer noch besser als eine einfach OP-Maske oder ein Tuch“, sagt der Sachverständige für Medizinprodukte.
Marktüberwachung kontrolliert Masken in Baden-Württemberg
Und dennoch, wer viel Geld für FFP2-Standards ausgibt, will auch eine echte FFP2-Maske vor Mund und Nase haben. Wie kann also verhindert werden, dass Verbraucher auf Fälschungen hereinfallen? Dazu müssten Behörden auf dem Markt radikal aufräumen. Wie zum Beispiel die Marktüberwachung des Regierungspräsidiums Tübingen. Sie hat den gesetzlichen Auftrag für Baden-Württemberg die Qualität von Produkten in Stichproben zu überwachen.
Seit Beginn der Pandemie prüfte die Marktüberwachung in rund 1.300 Fällen, ob Atemschutzmasken etwa die Filterleistung erfüllen. Sie stellte bei 380 Masken Mängel fest. „Die Zahlen belegen, dass die Qualität insgesamt verbesserungsbedürftig ist“, beschreibt Katrin Rochner, Pressesprecherin des Regierungspräsidiums, den aktuellen Zustand im Land.