Seit über einer Woche sind sie in aller Munde: Die Freien Wähler. Grund dafür ist Hubert Aiwanger. Er ist Bundes- und bayerischer Landesvorsitzender der gleichnamigen Partei und darüber hinaus Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident im Freistaat. Nach Bekanntwerden eines antisemitischen Flugblatts, mit dem Aiwanger in Verbindung gebracht wurde, entbrannte eine Debatte über dessen Entlassung.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder sprach seinem Stellvertreter am vergangenen Sonntag schließlich das Vertrauen aus und behielt ihn im Amt. Aber wie stehen die Freien Wähler in Baden-Württemberg zum umstrittenen Aiwanger?
Wählervereinigungen gegen Partei
Seit 2010 gibt es die Freien Wähler in Baden-Württemberg gleich doppelt. Damals entschied der Bundesverband der Wählervereinigungen, dass aus ihm eine Partei hervorgehen soll. Diese sollte künftig nicht mehr nur bei Wahlen auf kommunaler Ebene antreten, sondern auch auf Länder-, Bundes- und Europaebene.
Der Landesverband Baden-Württemberg wollte größtenteils ausdrücklich nicht als Partei agieren und machte sich selbstständig. Nun gibt es also den seit 1956 existierenden Landesverband als Nicht-Partei – der in vielen Kommunen Gemeinderatsmitglieder stellt – und daneben die 2010 gegründete Landesvereinigung der Freien Wähler in Baden-Württemberg als Partei. 2021 erzielte diese bei der Landtagswahl knapp drei Prozent der Stimmen.
„Das ist gar nicht so kompliziert, außer für die Wählerinnen und Wähler“, sagt Frank Brettschneider, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim dem SÜDKURIER über die Dopplung. Es komme vor, dass bei Kommunalwahlen sowohl Vertreter des Landesverbands, als auch der Landesvereinigung antreten.
„Es besteht die Möglichkeit, dass die Partei vom guten Renommee der Wählervereinigungen profitiert“, sagt Brettschneider. Bei den Gemeinderatswahlen 2019 waren die Wählervereinigungen mit 30,6 Prozent der Stimmen stärkste Kraft. Sie stellen die meisten Bürgermeister in Baden-Württemberg, sagt Brettschneider. Sie hätten durch die Namensdoppelung eher Probleme.
Als aktuelles Beispiel führt Frank Brettschneider die Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger an – mit dem die Ortsvereine nun in Verbindung gebracht werden. Vor Gericht versuchte der Landesverband 2010 dieser Verwirrung beizukommen und der Partei den Namen absprechen zu lassen. Das zuständige Gericht entschied allerdings zugunsten der Partei, Verwechslungen müssten in Kauf genommen werden.

Das sagt die Vorsitzende der Landesvereinigung
Sylvia Rolke ist seit März Vorsitzende der Partei in Baden-Württemberg. Sie kenne Hubert Aiwanger persönlich, sagt sie auf Anfrage. Sie habe ihm geglaubt, als er sagte, dass er das Flugblatt nicht verfasst hat. Die Landesvereinigung stehe hinter dem Bundesvorsitzenden.
Über die Differenzen mit dem Landesverband der Freien Wähler sagt sie: „Ich finde es nicht zielführend, wenn man einander bekämpft.“ Daher suche Rolke aktuell das Gespräch mit dem gleichnamigen Verband. In den letzten Jahren habe die Partei im Land Strukturen aufgebaut, das Ziel sei der Einzug in den Landtag 2026. „Wir sehen uns als Partei der Bürger“, heißt es von Rolke. Die Vertreter seien nicht an eine Agenda gebunden, wie etwa die Grünen, bei denen der Klimawandel das politische Handeln bestimme.
Aktuell habe die Landesvereinigung der Freien Wähler etwa 330 bis 350 Mitglieder, sagt Rolke. Der Landesverband, also die Nicht-Partei, hat nach Eigenaussage etwa 8000 Mitglieder.
Wolfgang Faißt, Bürgermeister der Stadt Renningen und Vorsitzender des Landesverbands, stellt dem SÜDKURIER auf Anfrage ein Dokument zu den Grundsätzen des Verbands zur Verfügung. Darin heißt es unter anderem: „Freie Wähler sind keine Partei, haben deshalb auch kein landesweit verbindliches Parteiprogramm. Sie suchen vor Ort und ideologiefrei nach der sachlich besten Lösung. Freie Wähler verstehen sich bewusst als Alternative zu den Parteien.“ Explizit steht in dem Papier, dass Freie Wähler nicht für den Landtag, Bundestag oder das Europäische Parlament kandidieren, sondern Kommunalpolitik machen.
Im Gespräch führt Faißt diese Punkte aus. „Wir leben von der Graswurzeldemokratie“, sagt er. Der Landesverband schreibe den Ortsverbänden keine Themen vor, sondern unterstütze sie etwa im Wahlkampf vor Ort.
Darüber hinaus führt der Landesverband Gespräche mit den Fraktionen im Landtag, mit denen der Verband ausdrücklich nicht konkurriert. Faißt bezeichnet die Freien Wähler daher als „kommunalpolitischen Partner des Landtags“. Angesprochen auf die Flugblattaffäre grenzt Faißt den Landesverband von der Partei ab: „Das ist nicht unsere Organisation, da halten wir uns mit Stellungnahmen zurück.“

Verwechslungsgefahr besorgt die kommunalen Wählervereinigungen
Zum Landesverband gehören auch die Freien Wähler Konstanz, die aktuell mit fünf Vertretern im dortigen Gemeinderat sitzen. Susanne Heiss ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende und sagt angesprochen auf die Diskussion um Hubert Aiwanger: „Wir finden das sehr schlimm.“
Heiss bestätigt, dass ihr Ortsverein oft mit der Partei verwechselt wird. Aber: „Wir wollen nicht in die rechte Ecke gedrängt werden.“ Mit AfD-nahen Positionen hätten die Freien Wähler Konstanz nichts zu tun. Über eine Namensänderung sei daher bereits nachgedacht worden.
Die fehlende Verbindung zur Aiwanger-Partei bestätigt auch Andreas Flöß, Vorsitzender des Ortsverbands Villingen-Schwenningen der Freien Wähler. „Wir handeln nach unseren eigenen Gedanken.“ Die Freien Wähler hier würden weder von den Höhenflügen Aiwangers profitieren, noch darunter leiden, wenn er „angeschossen“ wird, sagt Flöß. „Uns interessiert nicht mal, was in Stuttgart passiert.“