Die Schulter schmerzt bei jeder Bewegung, aber der Orthopäde hat erst in drei Monaten einen Termin frei? Beileibe kein Einzelfall. Die Erfahrung, lange auf eine Untersuchung oder einen Arzttermin warten zu müssen, teilen 83 Prozent der Baden-Württemberger. Immerhin zwei Drittel finden es schwierig, überhaupt einen Arzt zu finden, der sie in die Patientenkartei aufnimmt. Überfüllte Notaufnahmen kennen 58 Prozent aus eigener Erfahrung.

Gesundheitsversorgung.
Gesundheitsversorgung. | Bild: SK

Der jüngste BaWü-Check, die Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach im Auftrag der baden-württembergischen Tageszeitungen, zeigt eindrücklich, woran das Gesundheitswesen mittlerweile krankt: Beim Personal klemmt es an allen Ecken und Enden.

963 Hausarztsitze sind offen

Das ist nicht nur der subjektive Eindruck der vielen befragten Baden-Württemberger. Auch die Zahlen und Fakten bestätigen dies: Am 3. Juli 2024 waren 963 Hausarztsitze offen, berichtet die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) dem SÜDKURIER.

Damit habe sich die Zahl der offenen Arztsitze in den vergangenen zehn Jahren landesweit mehr als verdreifacht – allerdings auch bedingt durch eine neue Art der Berechnung. Dennoch sei klar, dass die Zahl der offenen Sitze deutlich zugenommen habe, so Sprecher Kai Sonntag.

Schlechte Erfahrungen.
Schlechte Erfahrungen. | Bild: SK

In der Allensbach-Umfrage zeigen sich vor allem Menschen aus ländlichen Regionen besorgt: Während man in Stuttgart, Freiburg und anderen Großstädten mit der Versorgung überwiegend zufrieden ist (78 Prozent), bekommen die Bewohner von Dörfern (58 Prozent) und Mittelstädten (60 Prozent) den Mangel mehr zu spüren.

Gesundheitsversorgung auf dem Land weniger zufriedenstellend.
Gesundheitsversorgung auf dem Land weniger zufriedenstellend. | Bild: SK

Die KVBW allerdings sieht das Problem keineswegs auf den ländlichen Raum beschränkt: „In der gesamten Region Stuttgart werden bereits 284 Versorgungsaufträge nicht erfüllt, davon allein 66 in der Stadt Stuttgart. In der Stadt Heilbronn fehlen 45 Hausärztinnen und Hausärzte und im badischen Karlsruhe 58“, berichtet KVBW-Sprecher Sonntag.

Am Patienten gespart.
Am Patienten gespart. | Bild: SK

Mit der Landarztquote zu mehr Hausärzten

Die Landesregierung ist in Sachen Ärzteversorgung nicht untätig. Dass sich Ärzte in unterversorgten Regionen ansiedeln, wird seit 2013 mit bis zu 30.000 Euro gefördert. Seit 2021 gibt es außerdem die sogenannte Landarztquote bei Studienanfängern im Fach Humanmedizin: Die fünf medizinischen Fakultäten in Tübingen, Ulm, Freiburg, Heidelberg und Mannheim vergeben jährlich zusammen 75 Plätze an Studierende, die Landarzt werden möchten, aber nach dem herkömmlichen Verfahren keinen Studienplatz bekommen haben. Diese verpflichten sich, nach ihrem Abschluss zehn Jahre lang in einer Region mit Ärztemangel zu arbeiten.

Weitverbreitete Klagen über Ärztemangel.
Weitverbreitete Klagen über Ärztemangel. | Bild: SK

Landesgesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) sprach damals von einem Meilenstein. Bis diese Landärzte aber in den Praxen ankommen, werden noch Jahre vergehen. „Es dauert etwa zwölf bis 15 Jahre, bis ein junger Student oder eine Studentin dann auch in der ambulanten Versorgung tätig werden kann“, meint die Kassenärztliche Vereinigung.

Diese richtet ihre Forderungen mehr an den Bund als ans Land: Weniger Bürokratie, mehr Medizinstudienplätze sowie die im Koalitionsvertrag versprochene Entbudgetierung der Hausärzte lauten ihre Forderungen an die Regierung.

Negativ-Erfahrungen im Gesundheitssystem.
Negativ-Erfahrungen im Gesundheitssystem. | Bild: SK

Die Klinik in der Nähe fehlt

Fehlende Hausärzte sind nicht das einzige Problem für das medizinische Wohlbefinden im Land. Der Krankenhausstrukturwandel ist seit etwa 15 Jahren in vollem Gange. Hinter dem schicken Wort verbergen sich zumeist Klinikschließungen: Doppelstrukturen werden abgebaut, so wie im Hegau-Bodensee-Klinikum in Stühlingen oder in Radolfzell, weil sich die Angebote vor Ort nicht mehr rechnen.

Allein für den Zeitraum ab 2021 listet die Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft über 30 Standortschließungen im Land auf, die zum Teil vollzogen sind oder noch anstehen.

Zusammenlegung von Krankenhäusern.
Zusammenlegung von Krankenhäusern. | Bild: SK

Stolz auf die geringste Bettendichte

Im Interview mit dem SÜDKURIER betonte Lucha kürzlich, wie sehr das Land dabei Vorreiter ist. Im Bund versucht sich sein Amtskollege Karl Lauterbach (SPD) gerade daran, die Krankenhauslandschaft fit für eine Zukunft zu machen, in der wachsender Bedarf weniger Mitteln und fehlendem Personal gegenübersteht.

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In Baden-Württemberg wurden die Mittel für die Krankenhausförderung seit 2016 von 455 auf 488 Millionen Euro erhöht, um die Krankenhauslandschaft zukunftsfester zu machen. Gleichzeitig arbeitet man seit Jahren daran, effizienter und damit auch schlanker zu werden: „Konzentration, Primärversorgung, sektorenübergreifende Versorgung – das ist Baden-Württemberg pur. Wir sind das Bundesland mit der geringsten Bettendichte, der gesündesten Bevölkerung und den höchsten Pro-Kopf-Investitionen im Gesundheitsbereich“, sagte Lucha.

Landesgesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) beim SÜDKURIER-Redaktionsgespräch. Er sieht Baden-Württemberg beim ...
Landesgesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) beim SÜDKURIER-Redaktionsgespräch. Er sieht Baden-Württemberg beim Krankenhausstrukturwandel als Vorreiter. | Bild: Rolf Hohl

„Das Bundesland mit der geringsten Bettendichte“ – Lucha meint das durchaus als Selbstlob. Bei den Bürgern kommt das aber nicht immer gut an. Die Allensbach-Umfrage zeigt, wie wichtig es der Bevölkerung ist, dass Gesundheits- und Krankenhausdienstleistungen in erreichbarer Nähe zur Verfügung stehen – auch wenn diese weniger leistungsfähig sind.

Höhere Beiträge.
Höhere Beiträge. | Bild: SK

Wie soll das Gesundheitswesen reformiert werden? Der in der Allensbach-Umfrage meistgenannte Wunsch lautet: Der Pflegeberuf soll attraktiver werden. Minister Lucha, selbst gelernter Pfleger, setzt auf gute Ausbildungsbedingungen. So wird der praktische Teil der hochschulischen Pflegeausbildung inzwischen vergütet. Pflege-Assistenzberufe werden modernisiert. „Der Anstieg der Studierendenzahlen belegt bereits die Wirkung dieser Maßnahme“, so eine Ministeriumssprecherin.

Susanne Scheck vom Landespflegebeirat hofft dazu auf Pflegekräfte aus dem Ausland. Ihr Wunsch: leichtere Zuwanderungsverfahren und einfachere Anerkennung ausländischer Abschlüsse.