Der Mann schlägt mit einer Metallkette auf den Boden, dann lässt er den Jutesack fallen, den er gerade noch geschultert hatte. Er trägt einen roten Bademantel, eine Sonnenbrille und eine rote Zipfelmütze mit einer Aufschrift der Brauerei Rothaus. „Hohoho“, flüstert der Mann unter seinem Rauschebart hervor. „Ich bin der heilige Nikolaus.“ Seine Stimme hat einen bedrohlichen Unterton.

Die 20 Männer und Frauen, die an diesem Samstagmorgen im Tagungsraum Refectorium des Hotels Santa Isabel im Europa-Park in Rust sitzen, müssen schmunzeln. Irgendwann wird der gruselige Nikolaus von Pastoralreferent Christoph Müller unterbrochen.

„So bist du kein richtiger Nikolaus“, sagt er und holt einen Koffer aus der Ecke. „Der Nikolaus trägt keine Zipfelmütze und auch keine Turnschuhe.“ Müller packt eine Mitra aus dem Koffer, ein weißes Gewand, eine Stola, er hilft dem falschen Nikolaus beim Ankleiden. „Jetzt bist du ein Mann der Kirche“, sagt Müller.

Ein gruseliger Nikolaus eröffnet den Tag. Dahinter verbirgt sich Schauspieler Martin Wangler. Video: Nathalie Metzel

Ehrenamtliche lernen alles über den Nikolaus

Im Europa-Park findet an diesem Tag ein Workshop für Nikolausdarsteller statt. Hier lernen Ehrenamtliche alles, was sie über ihren Auftritt als Nikolaus wissen müssen. Sie werden während der Adventszeit als Nikoläuse zu Vereinen, Kindergärten, Schulen und Familien gehen. Und vorher besuchen sie diese Schule für Nikoläuse.

Was gehört alles zur Verkleidung? Wer ist eigentlich das historische Vorbild des Nikolaus? Wie verhält man sich in herausfordernden Situationen? Auf diese Fragen erhalten sie heute Antworten.

Bistum möchte Brauchtum lebendig halten

Veranstalter des Workshops ist das Erzbistum Freiburg. „Den Workshop veranstalten wir bereits seit 2016“, sagt Tobias Aldinger. Er arbeitet als Referent für Glaubenskommunikation, Evangelisierung und das Bonifatiuswerk in der Erzdiözese.

Mit dem Workshop will das Bistum die Tradition des Nikolausbesuchs lebendig halten. „Wir möchten den Nikoläusen Rückenwind geben und sie unterstützen. Auf ihre Besuche sollen sie bestmöglich vorbereitet sein“, sagt Aldinger.

Tobias Aldinger hat den Nikolaus-Workshop organisiert.
Tobias Aldinger hat den Nikolaus-Workshop organisiert. | Bild: Nathalie Metzel

Die Kooperation mit dem Europa-Park ist entstanden, um den Teilnehmern einen schönen Raum zu bieten, von dem aus sie dann zu ihren Besuchen aufbrechen können. „Außerdem ist der Europa-Park ein Raum, der inszeniert und spielt. Das passt zu unseren Nikoläusen“, sagt Tobias Aldinger.

Wo gibt‘s den besten Rauschebart?

Wichtig ist Aldinger, dass der Nikolaus nicht als Gegenspieler zum Weihnachtsmann verstanden wird. „Er ist eine eigene Figur mit echter Geschichte“, sagt er. Mitra und Stab sind Pflicht, wenn man den Nikolaus verkörpert, erfahren die Darsteller im theoretischen Teil des Tages.

300 bis 500 Euro muss man ausgeben, wenn man das Kostüm mit allen Accessoires neu kauft, sagt Tobias Aldinger. Vieles sei aber in den Beständen der Pfarrgemeinden schon vorhanden.

„Weiß jemand, wo es gute Rauschebärte gibt, die nicht so billig aussehen?“, fragt ein Teilnehmer. „Einfach wachsen lassen“, sagt ein Mann und lacht hinter seinem weißen, langen Bart, der ihm fast bis auf die Brust reicht.

Seit 41 Jahren Nikolaus

Die Nikolausschule ist nicht nur etwas für Anfänger. Marco Stemmer aus Hilzingen (Landkreis Konstanz) hat schon mehrfach an dem Workshop teilgenommen. „Ich mag den Austausch mit den anderen Darstellern“, sagt er. Stemmer war schon als 15-Jähriger als Nikolaus unterwegs.

„Angefangen hat alles als Ministrant in der Jugendarbeit der Pfarrei“, sagt der 56-Jährige. Stemmer wurde einige Jahre lang von seiner Frau unterstützt, die den Knecht Ruprecht spielte. Seit vielen Jahren übernimmt Bastian Geske die Rolle des Knecht Ruprecht. Die beiden sind über ein paar Ecken miteinander verwandt.

Marco Stemmer (links) und Bastian Geske, hier noch in Zivil.
Marco Stemmer (links) und Bastian Geske, hier noch in Zivil. | Bild: Nathalie Metzel

„Als Knecht Ruprecht trage ich den Sack mit den Geschenken“, erzählt Bastian Geske. Der Sack wird bei Hausbesuchen oft von den Eltern platziert, die Suche gestaltet sich manchmal schwierig: „Er hat schon mal im Kofferraum eines Autos danach suchen müssen. Dann war dort aber kein Sack zu finden“, sagt Marco Stemmer und lacht.

Kein Alkohol vor Dienstschluss

An dem Workshop-Tag sprechen die Teilnehmer auch darüber, was sie als Darsteller auf keinen Fall machen sollten. Knecht Ruprecht soll die Kinder nicht bestrafen, sondern als Helfer des Nikolaus gesehen werden, der etwa Glocke und Buch hält. „Wir sind nicht der verlängerte Arm der Eltern“, erklärt Tobias Aldinger den Teilnehmern. „Was an 364 Tagen nicht funktioniert, können wir an einem Tag nicht ändern.“

Die Teilnehmer des Workshops in ihren Kostümen.
Die Teilnehmer des Workshops in ihren Kostümen. | Bild: Bernhard Rein/Europa-Park

Außerdem gilt die Regel: kein Alkohol vor Dienstschluss. Da sind sich die Darsteller einig. Und der Dienstschluss lässt manchmal lange auf sich warten. In der Adventszeit sind die Nikolausdarsteller Marco Stemmer und Bastian Geske aus Hilzingen an vielen Nachmittagen und Abenden unterwegs, manchmal von 17 bis 20 Uhr. Die ersten Anmeldungen gehen bei ihnen bereits im Oktober ein. „Manchmal haben wir drei bis vier Auftritte an einem Tag“, erzählt Stemmer.

Urlaub nehmen als Nikolaus

Als Nikolaus und Knecht Ruprecht besuchen sie Schulen, Kindergärten, Vereine und Familien. Nach dem achten Dezember ist dann aber Schluss mit den Auftritten. Manche Kinder haben sie aufwachsen sehen. „Es gibt Familien, die wir Jahr für Jahr begleiten. Das ist wirklich schön“, sagt Geske.

Marco Stemmer (links) und Bastian Geske sind als Nikolaus und Knecht Ruprecht im Landkreis Konstanz unterwegs.
Marco Stemmer (links) und Bastian Geske sind als Nikolaus und Knecht Ruprecht im Landkreis Konstanz unterwegs. | Bild: Nathalie Metzel

Für ihre Besuche nehmen sich Stemmer und Geske auch mal einen Tag Urlaub. Sie verlangen aber kein Geld. „Wir machen das für die Kinder“, sagt Geske. Wenn es doch mal einen Obolus gibt, wird der für einen guten Zweck gespendet, sagt Marco Stemmer.

Der letzte Wunsch: Nochmal den Nikolaus sehen

Viele Geschichten haben Marco Stemmer und Bastian Geske schon erlebt. Eine Geschichte bleibt Marco Stemmer besonders in Erinnerung: Ein 18-jähriger Junge, der an Leukämie erkrankte, wollte noch ein letztes Mal Marco Stemmer als Nikolaus erleben – so wie in seiner Kindheit. „Da musste ich schlucken. Wir haben nach dem Besuch erst einmal eine halbe Stunde Pause gemacht, bevor wir weitermachen konnten“, sagt Stemmer.

Dass die Nikolausdarsteller auch ein wenig schaupielerisches Geschick benötigen, zeigt sich am Nachmittag. Hinter dem furchteinflößenden falschen Nikolaus, mit dem der Tag gestartet war, verbirgt sich Schauspieler Martin Wangler.

Er stammt aus Breitnau im Schwarzwald und ist für seine Rolle als Bernd Clemens in der SWR-Serie „Die Fallers“ bekannt. Wangler ist schon seit 30 Jahren als Nikolaus tätig und besucht heute noch Schulen und Kindergärten in Hinterzarten im Schwarzwald.

Mit einigen Lockerungsübungen startet Schauspieler Martin Wangler, im weißen Hemd, mit den Teilnehmern in den Nachmittag.
Mit einigen Lockerungsübungen startet Schauspieler Martin Wangler, im weißen Hemd, mit den Teilnehmern in den Nachmittag. | Bild: Nathalie Metzel

Als Löwen durch den Raum laufen

Mit den Nikolausdarstellern macht er jetzt Theaterübungen. „Geht durch den Raum und stellt euch vor, dass ihr Löwen seid“, ruft Wangler. Die 20 angehenden Nikoläuse laufen fauchend, mit weit ausgebreiteten Armen, aufgerissenen Augen und leicht geduckt durch den Raum.

„Man muss Lust haben, in die Situation zu gehen, zu improvisieren“, sagt Wangler. Wichtig ist ihm aber auch: Der Nikolaus trägt nicht nur ein Kostüm, sondern bringt auch eine Botschaft mit. Der Nikolaus steht für die Vermittlung christlicher Werte und soll als Vorbild dienen – das hatten die Teilnehmer bereits am Vormittag besprochen.

Martin Wangler (links) spricht mit den Darstellern über die Szene, die sie gerade nachgestellt haben.
Martin Wangler (links) spricht mit den Darstellern über die Szene, die sie gerade nachgestellt haben. | Bild: Nathalie Metzel

Prozession durch den Park

Neben den Theaterübungen stellen die Teilnehmer mit Martin Wangler auch Szenen nach, die sie bei ihren Besuchen erwarten könnten – da ist etwa der Besuch im Altenheim, bei dem ein alter Mann zu weinen beginnt, als der Nikolaus hereinkommt. Ein anderer rennt aus Angst vor dem Nikolaus weg. Und zwei weitere Männer singen fröhlich Weihnachtslieder.

Nikolaus-Darsteller Reinhard hat in dem Gewusel sichtliche Schwierigkeiten, die Fassung zu bewahren. Glücklicherweise ist das Szenario völlig überzogen und in der Realität recht unwahrscheinlich, sagt Schauspieler Martin Wangler. „Es gibt kein richtig oder falsch“, sagt Wangler. „Aber es ist wichtig, in der Rolle zu bleiben.“

Nikolaus aus der Nikolausstraße

Reinhard Volk, der in dieser Szene den Nikolaus spielt, ist ebenfalls schon lange als Darsteller unterwegs. Es wurde dem Mann aus Elzach (Kreis Emmendingen) in die Wiege gelegt: „Ich heiße mit zweiten Namen Nikolaus“, sagt Volk. Außerdem heiße die Pfarrkirche seiner Heimatstadt St. Nikolaus – und er wuchs in der Nikolausstraße auf. Völlig klar also, dass Reinhard Volk schon seit 26 Jahren als Nikolaus unterwegs ist.

Reinhard Volk in seinem Nikolaus-Kostüm, das er geerbt hat. Es ist schon mehr als 80 Jahre alt.
Reinhard Volk in seinem Nikolaus-Kostüm, das er geerbt hat. Es ist schon mehr als 80 Jahre alt. | Bild: Nathalie Metzel

Am späten Nachmittag ziehen die 20 Nikoläuse in einer Prozession durch den Europa-Park. Der Hilzinger Nikolaus Marco Stemmer ist unter seiner Mitra, den weißen Handschuhen und dem Rauschebart nicht mehr zu erkennen. Während die Nikoläuse an den Fahrgeschäften vorbeilaufen und den Tannenbäumen mit Lichterketten und Kunstschnee, dudelt im Hintergrund Weihnachtsmusik aus den Boxen.

Die Nikoläuse ziehen in einer Prozession durch den Europapark. Video: Nathalie Metzel

Die 20 Nikoläuse schreiten an den Parkbesuchern vorbei. „Guck mal Mama, der Nikolaus“, ruft ein kleines Mädchen. Überall bleiben Kinder stehen, mit großen Augen und offenen Mündern, Eltern zücken ihre Handys, auch Jugendliche filmen die Gruppe. Der Zauber, der von den Männern und Frauen in ihren Kostümen ausgeht, kennt eben kein Alter.