Vom Feldweg mit dem düsteren Namen Galgenberg aus ist das weiße Zeltensemble im dichten Frühnebel nur schemenhaft zu erkennen. Im größten Tunnelzelt nahe Riedlingen (Kreis Biberach) kämpfen zwei Heizstrahler gegen die Kälte. Auf der 24 mal 9 Meter großen Innenfläche gruppieren sich ein kleiner Bagger, zwei Leuchten und allerlei archäologisches Arbeitsgerät um eine präzise ausgehobene Grube. „Jetzt sind wir eigentlich auf dem Boden“, sagt Roberto Tarpini. „Ziel für dieses Jahr ist, die Kammer vollständig freizulegen und möglichst auch zu bergen. Und dann nächstes Jahr das ganze Drumherum.“

Der wissenschaftliche Grabungsleiter des Landesdenkmalamts blickt auf eine Struktur hinab, die es eigentlich gar nicht geben dürfte: eine schwarzbraune Fläche aus 2600 Jahre alten massiven Eichendielen, an den Ecken fachmännisch ineinander verfugt. Normalerweise verrottet Holz innerhalb weniger Jahrzehnte. Aufgrund günstiger Bodenverhältnisse hat in Riedlingen eine komplette frühkeltische Grabkammer überdauert. Eine doppelte Decke aus zehn quer und acht längs liegenden Hölzern haben die Archäologen bereits geborgen, zusammen mit sämtlichen Teilen der Wände, auch wenn diese eingestürzt waren.

Im Liegen entfernen zwei Frauen die letzte Schmutzschicht von den Dielen.
Im Liegen entfernen zwei Frauen die letzte Schmutzschicht von den Dielen. | Bild: Jens Schmitz

„So eine gut konservierte Decke ist einmalig, das hatte man bisher nur einmal – 1890 am Magdalenenhügel in Villingen-Schwenningen im Schwarzwald“, sagt Tarpini. „Aber wir haben den Vorteil, dass wir die Kammer nicht in drei Tagen ausgraben müssen. Und wir haben Dokumentationsmethoden, die damals nicht vorhanden waren.“ 3D-Kameras und Vermessungsgeräte erfassen jedes Detail. Auf einem Gerüst liegend durchkämmen eine Grabungsarbeiterin und eine Helferin im Bundesfreiwilligendienst derweil die letzte Schmutzschicht über den Dielen.

Mit einem Skelett fing es an

Die Grabungsstelle sorgt seit dem Sommer 2023 für Aufsehen. Wenige Kilometer von den früheren keltischen Machtzentren Heuneburg und Bussen entfernt hatten die Archäologen im Riedlinger Gewann Hochgericht begonnen, einen größtenteils abgetragenen Hügel zu untersuchen und an dessen Rand schnell ein Skelett gefunden.

Obwohl der Ort ziemlich sicher als mittelalterliche Hinrichtungsstätte belegt ist, erwies sich die Grablege als deutlich älter – sie wurde zusammen mit zwei Gewandspangen und einem kleinen Bergkristall auf die Zeit um 500 vor Christus datiert. In unmittelbarer Nähe lagen zwei Keramikgefäße mit Leichenbrand, die rund 100 Jahre älter geschätzt wurden.

Das waren die Kelten

Die eigentliche Überraschung erwartete die Forscher aber im Zentrum des Hügels, der einmal mehr als sechs Meter hoch gewesen sein muss. Nur 70 Zentimeter unter der heutigen Oberfläche stießen sie auf die rund 4 Meter mal 3,50 Meter messende Grabkammer. Manches an diesem Fund erwies sich als einzigartig – vier senkrecht stehende Holzpfähle in den äußeren Ecken zum Beispiel, die vermutlich als Konstruktionshilfe dienten. Die Technik war aus anderen Gräbern vermutet worden, weil es Aussparungen dafür gegeben hatte. Hier sind erstmals die Pfähle selbst erhalten. Tarpini betont das handwerkliche Niveau: „Das passt alles perfekt.“

Grabungsleiter Roberto Tarpini ist gespannt, welche Geheimnisse die 2600 Jahre alte Grabstätte noch preisgeben wird.
Grabungsleiter Roberto Tarpini ist gespannt, welche Geheimnisse die 2600 Jahre alte Grabstätte noch preisgeben wird. | Bild: Jens Schmitz

Ein Glücksfall ist auch das direkte Umfeld der Kammer. Neben einem Bearbeitungswerkzeug haben die Forscher hier einen dichten Teppich aus Holzabfällen gefunden. Offensichtlich waren die Bohlen an Ort und Stelle bearbeitet worden. „Das ist schon eine einmalige Sache, dass wir hier diese ganzen Bearbeitungsabfälle auch mit dabei haben und das dann direkt vergleichen können“, freut sich der zuständige Dendrochronologe Oliver Nelle, der anhand von Baum-Jahresringen Altersbestimmungen vornimmt. Auch dafür sind die Abfälle eine Art Sechser im Lotto.

Holz von 2600 Jahre alten Eichen

Jahrgenau gelingt eine solche Datierung nur, wenn die Holzschicht direkt unter der Rinde erhalten ist. Aufgrund der Fundsituation konnten die Forscher das Riedlinger Holz einer im Jahr 585 vor Christus gefällten Eiche zuordnen. Sie vermuten, dass das Grab im selben Jahr errichtet wurde. Es wäre damit nur zwei Jahre älter als das 2010 unmittelbar bei der Heuneburg entdeckte Grab der Keltenfürstin vom Bettelbühl (583 vor Christus).

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Wie dort weisen die Dimensionen auf eine besonders hochstehende Persönlichkeit hin. Anders als am Bettelbühl haben die Forscher in Riedlingen allerdings keine wertvollen Beigaben gefunden. Die Kammer wurde schon zu antiker Zeit gründlich beraubt, wie zwei nachgewiesene Tunnel belegen. Zahlreiche spezielle Nägelfunde nähren den Verdacht, dass das Grab ursprünglich einen vierrädrigen Wagen enthielt, wie andere Elitegräber auch. In einem der Tunnel wurden Knochen eines 15 bis 20 Jahre alten Mannes geborgen. Ob sie vom ursprünglich hier Bestatteten stammen oder später hineingerieten, müssen die Untersuchungen noch erweisen.

Scherben, Schmuck und Nägel wurden nahe der Grabkammer gefunden.
Scherben, Schmuck und Nägel wurden nahe der Grabkammer gefunden. | Bild: Thomas Warnack/dpa

Auch die Analyse des Bodens unter der Kammer im kommenden Jahr kann noch wertvolle Einsichten bereithalten, von Wagenspuren über Holzreste bis zu metallenen Funden. „Wir haben noch die Hoffnung, dass einiges vielleicht durch die Ritzen gefallen ist“, sagt Tarpini über den Dielenboden. Zunächst aber geht es darum, vor dem Winter die mehr als 200 Kilogramm schweren Konstruktionsbalken zu bergen. „Das war jetzt 2600 Jahre unter dem Boden“, erklärt der technische Grabungsleiter Jörn Heimann. „In dem Moment, wo wir den Korken von der Flasche ziehen, geht der Verfall wieder los.“

Das Holz wird teilweise zwischengewässert und dann in Folie eingewickelt in die Werkstätten des Landesdenkmalamtes nach Fellbach gebracht. Dort wird es erneut untersucht und schließlich konserviert. Wenn die Restauration abgeschlossen ist, soll die Kammer im neuen Museum am Talhof bei der Erlebniswelt Heuneburg wieder aufgebaut werden.