Elisabeth Walker hat sich viele Gedanken gemacht, alle mit demselben Befund. „Es ist wie ein Schlag ins Gesicht“, sagt sie und erzählt. Dass es ihr und ihren Kollegen so schwer gemacht wird, sich um Patienten zu kümmern, was viele Gründe hat, und seit Kurzem einen neuen.

Der Frust trägt heute nicht Weiß, sondern Pullover, über den Hals ein Stethoskop. „Es macht mürbe“, sagt die Hausärztin. Elisabeth Walker sitzt in ihrer Praxis am Konstanzer Bodanplatz, das Wartezimmer ist leer, der letzte Patient gegangen.

Im Südwesten war lange genug Geld da

Erst wenige Tage zuvor brachte die Post einen Brief vorbei, darin stand, dass sie wie alle Niedergelassenen im Südwesten künftig weniger Geld bekommen soll: immer dann, wenn das jeweilige Budget für ein Quartal ausgeschöpft sei.

Denn das Geld, das Ärzte für die Behandlung gesetzlich Versicherter erhalten, ist in Deutschland nach oben begrenzt. Das heißt, dass häufig noch vor Monatsende das Behandlungsbudget eines Hausarztes aufgebraucht ist, die Mediziner deshalb für weitere Patienten nicht mehr oder nur anteilig bezahlt werden. Allerdings war das in Baden-Württemberg lange anders.

Wie nämlich Kai Sonntag von der KVBW, der Kassenärztlichen Vereinigung des Landes erklärt, sei in den vergangenen zehn Jahren für alle Hausärzte und alle Behandlungen genug Geld da gewesen – und mehr noch. Nebenbei habe sich eine Art Polster aufgebaut. Vor allem während der Corona-Pandemie, als Hausärzte besonders viel geleistet haben, ist dieses Polster aber abgeschmolzen.

Die Folge: Das Geld reicht nicht mehr für alle, die Budgets kommen als gesetzliche Vorgabe zurück – und sollen schon für das letzte Quartal des vergangenen Jahres, also rückwirkend gelten. „Das ist ungefähr so, wie wenn man beim Bäcker zehn Brötchen bestellt und nur acht bezahlt“, sagte etwa Karsten Braun dazu, Vorstandsvorsitzender der KVBW.

Die Konstanzer Hausärztin stellt das, wie viele ihrer Kollegen, vor Probleme. Sie selbst hat erst im vergangenen Jahr ihren Kassensitz übernommen, ein Schritt in die Selbstständigkeit, der mit stattlichem finanziellen Aufwand verbunden ist. Laut einer Analyse werden für hausärztliche Einzelpraxen im städtischen Milieu 117.600 Euro fällig, 143.000 Euro kostet es, sich als Arzt in einer Gemeinschaftspraxis niederzulassen.

Deshalb gibt es für Nachwuchskräfte wie Elisabeth Walker eigentlich eine Art Sonderregel. Sie fallen drei Jahre aus der Budgetierung heraus und dürfen mehr Patienten behandeln, sich also steigern. So können sie einen Teil von dem Geld wieder erwirtschaften, mit dem sie sich die Existenz aufgebaut haben. Weil die Konstanzer Medizinerin aber in eine bereits bestehende Gemeinschaftspraxis eingestiegen ist, gelte diese Regel für sie nur ein Jahr lang.

Während der Pandemie haben Hausärzte besonders viel geleistet. Diese Mehrarbeit führte aber dazu, dass das Polster wegschmolz, dass die ...
Während der Pandemie haben Hausärzte besonders viel geleistet. Diese Mehrarbeit führte aber dazu, dass das Polster wegschmolz, dass die Mediziner viele Jahre vor der Budgetierung bewahrte. | Bild: Jens Büttner/dpa

Ernüchternd, findet Elisabeth Walker das. „Ich habe natürlich damit gerechnet, dass ich mehr Einkommen generieren kann, wenn ich mehr Patienten versorge.“ Mehr Arbeit, mehr Geld – ein in anderen Branchen legitimer wirtschaftlicher Ansatz. „Diese Chance wird mir für die Zukunft aber genommen“, sagt die Ärztin. Denn die Budgets deckeln nun auch sie.

Was Mediziner aus der Budgetierung destillieren, mag zynisch klingen. Mehrarbeit wird bestraft. Zu spüren bekommen das laut Meinung vieler am Ende die Kranken. Die Nachfrage sei schließlich da, bekräftigen Betroffene. Zumal es in vielen Städten bereits seit Langem schon Realität sei, dass Patienten ohne Hausarzt Praxis für Praxis abtelefonieren, um an einen Termin zu kommen. Fast überall: überfülle Wartezimmer. Und der Druck nimmt zu.

Lauterbach will Hausarztpraxen entlasten

Dabei wollte die Politik es anders machen. Im Januar hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach angekündigt, die Hausarztpraxen bundesweit zu entlasten, sie „entökonomisieren“ zu wollen, wie es etwa bei Kinderärzten schon der Fall ist. Noch im selben Monat sollte dafür ein neues Gesetz entstehen.

Passiert aber ist nichts, kritisiert die Kassenärztliche Vereinigung. Dabei sei die Entbudgetierung im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Doris Reinhardt, Vorstandsmitglied der KVBW, wählt dafür drastische Worte: „Diese Politik mit nicht eingelösten Zusagen gefährdet die ambulante Versorgung.“

Inzwischen hat sich auch der baden-württembergische Gesundheitsminister Manfred Lucha eingeschaltet. In einem Brief forderte er Lauterbach auf, die „rechtlichen Voraussetzungen für eine rückwirkende echte Entbudgetierung zum Jahresbeginn 2024 zu schaffen“. Nur so könne verhindert werden, dass das Gesundheitssystem noch weiteren Schaden nehme.

Das Bundesministerium erklärt die Verzögerung indes damit, dass sich der Gesetzesentwurf noch in der Abstimmung befindet. Details oder einen Zeitplan gibt es nicht.

Am anderen Ende dieser Kette stehen Menschen, die resignieren. Elisabeth Walker sagt: „Auf uns Hausärzte fällt so viel zurück.“ Nicht nur die Arbeit an den Menschen, für die viele überhaupt erst diesen Beruf gewählt haben. Die Mediziner beschäftigen sich zusätzlich mit Dingen, die Zeit kosten, meist aber nicht vergütet werden.

Budgets machen den Hausarztberuf nicht attraktiver, sagen Mediziner aus Konstanz. Dabei leide die Branche ohnehin unter Nachwuchsproblemen.
Budgets machen den Hausarztberuf nicht attraktiver, sagen Mediziner aus Konstanz. Dabei leide die Branche ohnehin unter Nachwuchsproblemen. | Bild: Oliver Berg/dpa

Sie erstellen Medikamentenpläne, passen Diagnoselisten an. Sie kümmern sich um Rezepte für unterschiedliche Bereiche, die, wenn sie nicht richtig ausgefüllt sind, von den Ärzten selbst gezahlt werden müssen. Sie sollen Pflegedienste kontaktieren, sie sollen ans Versorgungswerk schreiben, sie sollen Reha-Anträge formulieren und Anfragen von Versicherungen beantworten.

Praxen benötigen Qualitätsmanagement, Datenschutz, brauchen eine Hygieneverordnung. Gleichzeitig würden Patienten früher aus den Krankenhäusern entlassen oder gleich nur ambulant operiert. „Wir sollen die Nachkontrolle übernehmen, die früher im Krankenhaus stattgefunden hat.“

Und Fachärzte? Würden Patienten teilweise weiterschicken, weil sie Termine erst in Wochen vergeben können. „Wir machen uns Sorgen, wie das weitergehen soll.“

Ihre Sorgen teilt die Ärztin mit anderen

Sorgen, die die Ärztin mit anderen teilt. Maximilian Ottinger findet die derzeitige Situation absurd. Einerseits sollen Hausärzte mehr Patienten behandeln, auf der anderen Seite soll genau das nun nicht mehr vergütet werden, obwohl es so versprochen war.

Dabei würden viele vergessen, sagt der Allgemeinmediziner aus Konstanz, dass es sich hier gerade um diejenige Fachgruppe handelt, die für die Patienten mit einem möglichst breiten Wissen immer zur Verfügung stehen soll, aber gemeinsam mit den Kinderärzten ohnehin schon am wenigsten verdient.

Tatsächlich kam eine Untersuchung, die auf dem Mikrozensus von 2017 basiert, zu dem Schluss, dass ein niedergelassener Arzt bei Vollzeitarbeit im Schnitt 7900 Euro im Monat verdient – netto. Das entspricht in etwa dem Gehalt eines Oberarztes in einer Klinik.

7900 Euro – was viel klingt, dürfte sich zumindest für Niedergelassene angesichts von unternehmerischem Risiko wieder relativieren. Selbstständige Hausärzte haben dazu oft Kredite zu bedienen, sie müssen sich mit Mietsteigerungen auseinandersetzen, Rücklagen fürs Alter bilden. Über all das müsse sich der angestellte Oberarzt keine Gedanken machen, sagt Max Ottinger.

Budgets seien nur ein Problem von vielen

Die meisten Patienten wissen das nicht. Überhaupt können klagende Ärzte oft kaum mit Solidarität rechnen. Zu beladen sind die Klischees der Branche mit Halbgöttern in Weiß, die Porsche spazieren fahren. Dabei geht es den Ärzten nicht nur ums Geld. Für die meisten sind die Budgets nur der Tropfen, der das Fass in einer gänzlich überlasteten Arbeitswelt überschwappen lässt.

Bürokratie, zu wenig Digitalisierung, zu wenig Personal, zu wenig Nachwuchs in einer Hausärztelandschaft, in der allein was Baden-Württemberg angeht, fast 1000 Sitze frei sind. Und nichts scheint sich zu bessern in diesem maroden Gesundheitssystem, resümiert Nic Bohlender, ebenfalls Hausarzt in Konstanz. Die Stimme der Ärzte finde kein Gehör. Wer könne sich schließlich an den letzten Ärztestreik erinnern?

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Noch mehr arbeiten, da sind sich die Mediziner einig, das gehe nicht, die Arbeitszeit sei ohnehin schon ausgereizt. Zu regelmäßigen 50-Stunden-Wochen gesellen sich oft Bereitschaftsdienste am Wochenende. Andererseits: „Wir werden durch die Budgetierung keinen Patienten weniger oder anders betreuen“, betont Maximilian Ottinger.

Wie das langfristig funktionieren soll, darauf haben die meisten Hausärzte keine Antwort. Die Älteren beschäftigt dagegen eine andere Frage: Höre ich jetzt vielleicht besser auf?

Diesen Satz vernimmt zumindest Elisabeth Walker in diesen Tagen immer mal wieder, und gerade aus der Ecke derjenigen, die über 60 sind. Die gedämpfte Stimmungslage einer Branche, sagt sie und seufzt. „Viele sind kräftemäßig am Ende.“