Gegenwart und Geschichte fließen von Zeit zu Zeit ineinander wie zwei chemische Substanzen, die sich zu einem entflammbaren Gemisch vereinigen. Ein Beispiel dafür lieferten die bundesweiten Bauernproteste des vergangenen Jahres, in der sich Wut und Angriffslust gegen die Agrarpolitik entluden.

Der damalige Wirtschaftsminister Robert Habeck wurde auf einer Fähre quasi zu einem Gefangenen, und sein Kabinettskollege Cem Özdemir sagte seinen Auftritt beim politischen Aschermittwoch in Biberach angesichts bedrohlicher Traktorkolonnen ab. Von einem „Bauernkrieg“ war mit Blick auf die Ereignisse vor 500 Jahren die Rede, nicht selten garniert mit Bewunderung für den neuen Widerstandgeist gegen „die in Brüssel und Berlin“.

Der Krieg und seine Vereinnahmung

Die Geschichte des Bauernkriegs ist auch die Geschichte seiner Deutungen und seiner vielfältigen politischen und ideologischen Vereinnahmungen. Das begann mit dem Zeitgenossen Martin Luther, der den Bauern und ihrem Kampf um Gerechtigkeit zunächst die „Freiheit eines Christenmenschen“ zubilligte, um sie dann, als die ersten Burgen und Klöster brannten, als „Räuber“ und „Mörder“ zu verdammen. Ganz anders sah es 350 Jahre später Karl Marx, der von der „radikalsten Tatsache der deutschen Geschichte“ sprach.

Diese Bewertung ist heute insoweit noch stichhaltig, als 1524/25 – ausgehend von Hochrhein, Hegau und Oberschwaben – Bauern und prekäres Stadtbürgertum erstmals in großem Stil ihren Willen unter Beweis stellten, aktiv zu werden, Geschichte zu schreiben und das System von adelig-klösterlicher Willkür und Gewalt zu ihren Gunsten zu verändern.

Der Mut zur Revolte wird gefeiert

Dass ihre Haufen letztlich von den hochgerüsteten und professionell geführten Ritterheeren geschlagen und Zehntausende niedergemetzelt wurden, hat ihr Verdienst in den Augen der Nachlebenden nur gesteigert. Denn nichts eignete sich besser als der „deutsche Bauernkrieg“, um dem Bild vom preußischen Untertanengeist den Mut zu Revolte, Freiheit und Ungehorsam entgegenzusetzen.

So wurde der Bauernkrieg zu einem zentralen Baustein der DDR-Geschichtspolitik, die mit dem Thüringer Anführer Thomas Müntzer einen „frühbürgerlichen Revolutionär“ verehrte.

Bauernführer werden heute idealisiert

Diese fragwürdige Passage einer geisteslinken Umdeutung ist zwar Geschichte. Aber die Versuchung, in den Aufruhr der Bauern Konzepte und Ziele hineinzuinterpretieren, die so damals gar nicht bestanden, lebt unter anderen Vorzeichen fort. Etwa bei der großen Landesausstellung „Uffrur. Utopie und Widerstand im Bauernkrieg“ im Kloster Schussenried.

Die Lust, Geschichte zu entstauben und mit Hilfe moderner Medien zu popularisieren, führt hier den Machern die Hand: Idealisierte KI-generierte Avatare erwecken die Prominenz des Bauernkriegs zu neuem Leben. Träger von sozialen Utopien oder Vordenker eine demokratisierten Gesellschaft waren sie indes keineswegs. Sie wollten die damalige ständische Verfassung nicht abschaffen, sondern reformierend von Willkür reinigen und nur die Leibeigenschaft beendet sehen – von oben aus den Händen ihrer durchaus gottgewollten Herrschaft.

Forderungen von damals sind eben nicht „hochaktuell“

So sind die 500 Jahre alten „Zwölf Artikel von Memmingen“ eben keine Blaupause für die Grundrechte in unserer Verfassung. Die Forderungen der Bauern sind nicht „hochaktuell“, wie es der regionale Veranstaltungszirkus rund um das Jubiläum Glauben machen will und dabei das schiefe Bild einer von Polit-Eliten vermeintlich bevormundeten Gesellschaft instrumentalisiert.

Wer genau hinschaut, enttarnt die künstlich-kühn gezogenen Parallelen: Es gibt heute keine Missernten wie damals, die die Brotpreise um 600 Prozent explodieren ließen, es gibt keinen verarmten Adel mehr, der auf Gratis-Frondienste beharrte, und es existieren keine Landsknechts-Armeen, die Flüchtende mit Säbel, Morgenstern und Kanonen niedermachen und Überlebende an den Galgen hängen oder vierteilen.

Peinlicher Missgriff in Weingarten

So besteht die Gefahr, dass sich – auch aus Gründen des touristischen Marketings – Landsknechtsfolklore, Gaukelspiel und Festivalstimmung ausbreiten, wo vielmehr stilles Gedenken an die Opfer und ihre vergeblichen Bemühungen um Menschenwürde angebracht wäre. Doch selbst dies scheint manchem Gemeinderat schwer zu vermitteln.

So entschied man sich in Weingarten, nach künstlerischem Plan ein Zitat aus dem Weingartener Diktat-Vertrag von 1525 auf einen Platz zu pflastern. Es beginnt mit den Worten „Damit Frieden, Ruhe und Einigkeit dauerhaft bewahrt werden, sollen wir . . . „.

Die da „sollen“, waren die Bauern, die der Adels-Heerführer Jörg Truchsess von Waldburg zur Räson brachte. Dass in Weingarten Ruhe als erste Bürgerpflicht gefeiert wird, sorgte dort für heftigen Streit. Man kann nur hoffen, dass die Bürger über dieses Gedenken mit den Füßen abstimmen und über den Affront ohne Lektüre hinweggehen.