Es ist eine Zeitenwende in der Drogenpolitik. Mit der Cannabis-Freigabe soll der Schwarzmarkt bekämpft, der Jugendschutz verbessert und Hunderttausende entkriminalisiert werden. Cannabis wirkt eigentlich beruhigend, die Entscheidung in Berlin sorgt aber bei den Strafverfolgern in der Region für das Gegenteil.

Hinter vorgehaltener Hand nennen einige das Vorhaben einen „Vorboten zur Hölle“. Wie wird die Legalisierung die Arbeit der Strafverfolger verändern? Der SÜDKURIER beleuchtet die Folgen.

Sofern das Gesetz am 22. März den Bundesrat passiert, darf ab April jeder Erwachsene 25 Gramm Cannabis bei sich führen, ohne erklären zu müssen, wo man es her hat. Fest steht aber: Es kann zum 1. April gar kein legales Gras geben, denn die Anbauvereinigungen starten erst im Juli – und die erste Ernte könne man frühestens am Jahresende einholen.

„Gut gemeint, schlecht gemacht“

Der SÜDKURIER hat die Polizeipräsidenten in Konstanz und Ravensburg nach ihrer Meinung zur bevorstehenden Freigabe gefragt. Die Antworten von Uwe Stürmer aus Ravensburg lassen keinen Zweifel: „Ich fürchte, dass die Legalisierung am Ende zu einem Konjunkturprogramm für die Organisierte Kriminalität werden wird.“

Uwe Stürmer, Leiter des Polizeipräsidiums Ravensburg, findet deutliche Worte für die Cannabis-Freigabe: „Ich halte es für ...
Uwe Stürmer, Leiter des Polizeipräsidiums Ravensburg, findet deutliche Worte für die Cannabis-Freigabe: „Ich halte es für Wunschdenken zu glauben, dass der Schwarzmarkt sich zurückzieht und an diese besonders schützenswerte Zielgruppe nichts verkauft.“ | Bild: Blust, Julia

Wie will die Polizei den illegalen Handel an Jugendliche verhindern? Polizeichef Stürmer: „Ich fürchte, dass es uns faktisch kaum gelingen wird – und wenn, dann nur mit enormem Mehraufwand an Ermittlungen“. Bei einer erlaubten Menge von 25 Gramm Cannabis pro Person werde es für die Polizei natürlich schwieriger, potenzielle Rauschgifthändler von legalen Konsumenten zu unterscheiden.

Die Liberalisierung sende das falsche Signal: Cannabis sei harmlos. Das habe nicht nur Folgen im Straßenverkehr, der Jugendschutz sei schon jetzt bei legalen Drogen wie Nikotin und Alkohol lückenhaft. „Ich halte es für Wunschdenken zu glauben, dass der Schwarzmarkt sich zurückzieht und an diese besonders schützenswerte Zielgruppe nichts verkauft.“ Die Anbauvereinigungen könnten auch mit den Preisen am Schwarzmarkt nicht mithalten.

„Verbotspolitik auch unbefriedigend“

Stürmer räumt aber ein, „dass die bisherige Verbotspolitik (...) auch nicht zu wirklich befriedigenden Ergebnissen geführt hat.“ Der Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik mag gut gemeint sein, gut gemacht sei er nicht.

Seine Empfehlung: Erst eine breit angelegte Präventionskampagne, dann die legale Produktion hochfahren, zuletzt legalisieren. Nun passiere alles umgekehrt. Und so werde ab April ein Nachfrageboom einsetzen, der sich nur aus dem illegalen Markt speisen kann.

Innenministerium: Erst Auskunft, wenn Gesetz in Kraft

In Konstanz verwies man zur Klärung der Fragen auf das Innenministerium. Dieses schreibt auf Anfrage nur: Da das Gesetz noch nicht in Kraft ist, „ist eine Auskunft über die konkreten Auswirkungen auf die polizeiliche Arbeit derzeit nicht möglich“.

Amnestie für alle, Aktenflut für Staatsanwälte

Der Vorstoß der Ampel-Regierung beinhaltet auch eine Amnestie-Regelung von Verurteilungen für Fälle, die künftig erlaubt sind. Das zielt vor allem auf Besitz, Erwerb und Anbau von bis zu 30 Gramm Cannabis, wie das Bundesgesundheitsministerium erläutert.

Betroffene können bei der Staatsanwaltschaft beantragen, dass entsprechende Einträge im Bundeszentralregister getilgt werden. Das ist relevant für Führungszeugnisse. Das heißt auch: Wer ausschließlich für Cannabis-Besitz in kleineren Mengen einsitzt, muss so schnell es geht aus dem Gefängnis entlassen werden.

Im gesamten Bundesland Baden-Württemberg sind es laut Justizministerium mindestens 18.900 Verfahren, die jetzt händisch geprüft werden müssen, ob hier ein rückwirkender Straferlass infrage kommt. Dafür haben die Staatsanwaltschaften nur vier Werktage nach Inkrafttreten des Gesetzes Zeit. Wie groß ist der Aktenberg inzwischen?

600 Akten in Konstanz, 1000 in Ravensburg

Der SÜDKURIER hat dazu mehrere Staatsanwaltschaften in der Region angefragt: Bei der Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen schaut man aktuell etwa 500 Strafakten durch, wie Rahel Diers verrät.

Während bei der Staatsanwaltschaft Konstanz nun bis zu 600 Akten händisch geprüft werden müssen, sind es bei der Behörde in Ravensburg um die 1000. Wie viel Arbeitszeit und Ressourcen das verschlingt, lässt sich laut dem Konstanzer Sprecher Andreas Mathy noch nicht seriös sagen, ebenso wenig wie viele Anträge auf Amnestie eingehen werden.

Ronny Stengel, Sprecher der Staatsanwaltschaft Hechingen, bestätigt einen „beträchtlichen Arbeitsanfall“. In Hechingen überprüft man mehr als 300 Vollstreckungsverfahren: in neun Fällen wird die Vollstreckung wohl komplett eingestellt, in 29 Fällen muss bei Gericht eine Neufestsetzung der Strafe beantragt werden.