Wer die Landtagswahl am 14. März gewinnt, bleibt bis zum Wahlabend offen. Wer sie verliert, steht aber schon fest: die Frauen. Sie stellen in Baden-Württemberg die Mehrheit der Bevölkerung und auch der Wahlberechtigten – aber nur ein Viertel der Abgeordneten.

An dem Frauenanteil im baden-württembergischen Parlament, der mit 38 weiblichen von 143 Abgeordneten derzeit bei 26,6 Prozent liegt und damit der drittniedrigste Wert aller Länderparlamente ist, wird sich aller Voraussicht nach auch in der nächsten Legislaturperiode wenig ändern. Das liegt allein schon daran, dass von den 880 Kandidaturen in den 70 Landtagswahlkreisen lediglich 235 von Frauen kommen – ein Anteil von 26,7 Prozent. In zehn Wahlkreisen ist die Politik auch künftig fest in Männerhand: Dort sind überhaupt keine Frauen als Direktkandidatinnen wählbar.

Viel ändern wird sich nach der Wahl nicht

Auch in den kommenden fünf Jahren werden maßgebliche landespolitische Weichenstellungen daher wohl wieder in erster Linie von Männern vorgenommen. Keine der derzeit fünf Landtagsfraktionen wird zudem von einer Frau geführt – und weil alle Fraktionschefs erneut antreten und fest im Sattel sitzen, dürfte das auch so bleiben. Das prägt nicht nur politische Entscheidungen, sondern auch nachhaltig das Klima im Parlament.

Rein männliche Führungsriege

Die rein männliche Führungsriege im Landtag – abgesehen vom Repräsentationsamt an der Spitze, das mit Muhterem Aras (Grüne) 2016 erstmals eine Frau als Landtagspräsidentin übernahm – war eines der Ungleichgewichte, die Gabriele Reich-Gutjahr zuerst auffielen, als sie 2016 in den Landtag gewählt wurde. Die Stuttgarter FDP-Politikerin wechselte aus einer Karriere in der Wirtschaft und als Geschäftsführerin eines Unternehmens ins Parlament.

Sie fand dort Geschlechterstrukturen vor, die sie aus ihrer Führungstätigkeit in der Wirtschaft längst nicht mehr kannte. Der frauenpolitische Sprecher ihrer Fraktion war ein Mann – weil es zuvor keine Frau in der FDP-Fraktion gab. Nach diesem Amt drängte es Reich-Gutjahr aber nicht.

Allein unter Männern: Gabriele Reich-Gutjahr, hier mit den FDP-Landtagsfraktionskollegen Erik Schweickert, Jürgen Keck und Hans-Ulrich ...
Allein unter Männern: Gabriele Reich-Gutjahr, hier mit den FDP-Landtagsfraktionskollegen Erik Schweickert, Jürgen Keck und Hans-Ulrich Rülke (von links) war die einzige Frau in den Reihen ihrer Fraktion. | Bild: Lucht, Torsten

„Ich war nie auf der Frauenschiene unterwegs“, sagt sie, die 2021 nicht mehr antritt, rückblickend. Im Landtag musste sie sich plötzlich damit auseinandersetzen. „Anders als in der Industrie spielt in der Politik der Wettbewerb eine größere Rolle, es geht viel mehr um Macht.“ Sie hat wahrgenommen, dass mit Frauen im Parlament generell weniger freundlich umgegangen wird. „Im politischen Machtkampf wird gerne vergessen, dass es auch um Menschen geht“, sagt sie.

Einfach den Mund aufmachen

Und während Frauen sich vor Entscheidungen oft im Team rückversicherten, würden von Männern schon mal einfach Fakten geschaffen. Welchen Tipp sie neuen Parlamentarierinnen geben würde? „Abgeordnete sind in der Ausübung ihres Mandats frei. Also macht den Mund auf und sagt, was ihr denkt“, sagt Reich-Gutjahr.

Was das Wahlrecht damit zu tun hat

Die Freiburger SPD-Abgeordnete Gabi Rolland, seit 2011 im Landtag, wünscht sich, dass sich die Frauen im Parlament parteiübergreifend mehr solidarisieren. „Erstens müssen wir mehr werden, zweitens müssen wir klarer und deutlicher werden und unsere Persönlichkeit mehr herausstellen“, sagt Rolland. Sie erlebt, dass in Debatten „Geschwurbel von Männern viel eher hingenommen wird als Geschwurbel von Frauen“, sagt sie.

Gabi Rolland.
Gabi Rolland. | Bild: Leo-Tippbilder

Und parteiübergreifend hat sie festgestellt: „Frauen, die ein Standing haben, wird zugehört. Den anderen nicht.“ Und natürlich werde das Äußere der weiblichen Abgeordneten, auch die Stimme, bei den Debatten von den männlichen Kollegen schon mal eher bewertet als der Inhalt des Redebeitrags. „Da wird über Frauen hergezogen. Bei Männern spielt das keine Rolle.“

Zumindest aus Rollands Wahrnehmung hat sich in dieser Hinsicht in den vergangenen zehn Jahren im Parlament wenig verändert – ganz anders als in der gesellschaftlichen Diskussion außerhalb des Landtags.

Doch nicht etwa Elternzeit?

Auch die Konstanzer Grünen-Abgeordnete Nese Erikli, die 2016 ins Parlament kam und kurze Zeit später Elternzeit nahm, war damals überrascht von der Kritik, der sie deshalb ausgesetzt war, während sich außerhalb des Parlaments die Uhr in Sachen Elternzeit und Vereinbarkeit von Familie und Beruf schon längst anders drehte.

„Im Landtag war ich bei anderen Fraktionen überrascht davon, wie stark die Männerseilschaften sind und wie oft die Frauen den Kürzeren ziehen“, sagt Erikli.

Nese Erikli
Nese Erikli | Bild: Rau, Jörg-Peter

Mehr Frauen im Parlament, glaubt Erikli, würden zwangsläufig auch die Perspektive und den Blick auf die politischen Entscheidungen verändern. „Gerade in der Coronakrise, als die Belastungen von Home Office und Kinderbetreuung zuhause vor allem von den Frauen geschultert wurden, hat sich wieder gezeigt, wie wichtig es ist, dass bei Entscheidungen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie mitgedacht wird und wie wichtig eine hochwertige Kinderbetreuung ist“, sagt Erikli.

Auf die Frage, warum es mehr Frauen im Parlament braucht, hat sie eine klare Antwort: „Um eine Politik durchzusetzen, die weiblicher ist.“