Wer einen Lügner entlarven will, muss genau hinschauen. Ist er nervös? Verhaspelt er sich? Ergeben alle Aussagen Sinn? Die Körperhaltung ist entscheidend. Auch am Zusammenspiel zwischen Auge, Mund und Nase lässt sich viel erkennen. Wird nur einer dieser Bausteine entfernt, ist es für den Lügner ein Leichtes, seinen Schwindel aufrecht zu erhalten.
Tomislav Duzel weiß das. Den Rechtsanwalt aus Konstanz stört es deswegen, wenn der Mund-Nasen-Schutz im Gerichtssaal vorgeschrieben wird. „Ich kann verstehen, dass man Abstände einhalten muss. Aber Masken gehen zu weit“, findet er.
Jüngst erlebte es Duzel in Reutlingen am eigenen Leib. Ein Richter bestand in einem Strafprozess darauf, dass alle Anwesenden während der gesamten Verhandlung Mund-Nasen-Schutz tragen. Der Richter selbst und Teile seiner Familie gehören zur Risikogruppe. Er will sich und andere vor dem Virus besonders schützen.
Das ist sein gutes Recht. Denn nicht das Justizministerium, nicht das Gericht – allein der Vorsitzende entscheidet im Einzelfall selbst, ob während seines Verfahrens Maske getragen werden muss.
Seine Aufforderung fußt auf Paragraf 176 eins Gerichtsverfassungsgesetz. Der Absatz legt fest, dass die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung dem Vorsitzenden obliegt.
„Beteiligte Personen dürfen ihr Gesicht während der Sitzung weder ganz noch teilweise verhüllen“
Doch liest man den folgenden Absatz wird deutlich, welchem Dilemma Beteiligte von Gerichtsprozessen derzeit ausgeliefert sind: „Beteiligte Personen dürfen ihr Gesicht während der Sitzung weder ganz noch teilweise verhüllen. Der Vorsitzende kann Ausnahmen gestatten, wenn und soweit die Kenntlichmachung des Gesichts weder zur Identitätsfeststellung noch zur Beweiswürdigung notwendig ist.“
Verstößt die Maske also gegen das Verhüllungsverbot? Duzel findet: ja. Er sieht sogar die Menschenrechtskonvention in Gefahr. Denn Verschleierung durch Burka, Sonnenbrillen oder Motorradhelme verstoßen gegen den sogenannten „Fair Trial“, also ein faires Verfahren.
Das Recht auf konfrontative Befragung
„Der Angeklagte hat das Recht auf konfrontative Befragung der Belastungzeugen“, sagt Duzel. „Um das ungehindert ausüben zu können, ist ein unverhüllter Zeuge Grundvoraussetzung.“ Man müsse sehen können, ob er oder sie bei unangenehmen Fragen zittert, das Gesicht verzerrt oder rot wird. „Nur dann kann ein Gericht die Glaubhaftigkeit ungehindert beurteilen“, ist sich Duzel sicher.
Um den Gerichtssaal auch für Risikogruppen coronasicher zu machen, schlägt Duzel vor umzubauen. „Man kann einfach Trennwände reinziehen. Es gibt sie sogar mit Sprechanlagen, damit die Personen wirklich abgeschirmt sind“, beschreibt der Anwalt für Strafrecht, der auch Mafia-Mitglieder in der Region vor Gericht vertritt.
Der Streit um die Maske mit dem Richter ist noch nicht geklärt. Duzel stellte einen Aussetzungsantrag. Die Verhandlung wurde vertagt. Ob sichere Trennwände folgen, wird sich zeigen.
Auch in der Region entscheiden Richter eigenmächtig
Zwischen Landgericht und Staatsanwaltschaft Konstanz gibt es übrigens keine Vereinbarungen, wie mit der Maske im Gerichtssaal umgegangen werden soll. „Das ist überall in ganz Baden-Württemberg so. Nach meiner Kenntnis wurde bei uns aber bislang nie durchgängig mit Maske verhandelt“, so Staatsanwalt Andreas Mathy. Nur wenn Anwälte und Staatsanwälte sich am Richterpult treffen, um Beweise gemeinsam in Augenschein zu nehmen, wird die Maske ins Gesicht gezogen. Klar – der Mindestabstand kann dann nicht mehr eingehalten werden.