Redner und Teilnehmer zeigen den Hitlergruß und verbreiten staatsfeindliches Gedankengut, bekannte Rechtsextremisten zeigen sich unter den Demonstranten, ein NPD-Funktionär fungiert als Ordner, Querdenken-Initiator Michael Ballweg kommt zu einem heimlichen Strategie-Treffen mit der Reichsbürger-Ikone Peter Fitzek zusammen – wie rechts ist die Querdenken-Bewegung? Diese Frage beschäftigt neben dem Verfassungsschutz nun auch das Parlament in Baden-Württemberg.
Für Innenminister Thomas Strobl (CDU), der den Innenausschuss des Landtags am Mittwoch dazu informierte, ist die Situation eindeutig. „Was mir große Sorge bereitet, sind die Versuche von Rechtsextremisten, von Reichsbürgern und Selbstverwaltern, Einfluss auf das Demonstrationsgeschehen gegen die Corona-Beschränkungen zu gewinnen“, sagte Strobl vor dem Ausschuss. Extremisten versuchten, das Protestgeschehen für ihre ideologischen Ziele zu nutzen.
QAnon als Problem
„Das beobachtet der Verfassungsschutz praktisch seit Beginn der Demonstrationen“, so Strobl. Insgesamt diffamiere die Querdenken-Bewegung den deutschen Rechtsstaat als totalitäres System. Problematisch seien zudem die dort verbreiteten Verschwörungsmythen wie von QAnon, „sie finden zunehmend Anklang bei nicht-extremistischen Demonstrationsteilnehmern“, so Strobl weiter.
Dennoch: Ein Beobachtungsobjekt sei die Querdenken-Bewegung für den Verfassungsschutz derzeit nicht, bestätigt der Sprecher des Landesamts für Verfassungsschutz auf Anfrage. „Wir sehen aber, dass im Organisationsteam und rund um das Führungsteam Leute unterwegs sind, die uns als Rechtsextremisten bekannt sind.“
„Extreme ködern Menschen aus bürgerlichem Milieu“
Eine Vergrößerung der rechtsextremen Szene durch Querdenken sei zwar noch nicht zu beobachten, wohl aber, dass sich die Szene im Rahmen der Querdenken-Protest deutlich besser vernetze und intensiver austausche. „Die haben das klare Ziel, bei den Demonstrationen in Kontakt mit dem bürgerlichen Milieu zu kommen, Menschen anzusprechen und zu ködern“, so der Sprecher weiter.

Michael Blume, Religionswissenschaftler und Antisemitismusbeauftragter der Landesregierung, hat eine Erklärung für die beobachtete wachsende Radikalisierung. „Querdenken funktioniert als Querfront. Da sind Rechte, Linke und die Mitte dabei, Religiöse und Säkulare, die durch ein gemeinsames Feindbild zusammengehalten werden – die vermeintliche Weltverschwörung“, sagt Blume im Gespräch mit unserer Zeitung.
„Aber jetzt ziehen sich immer mehr vernünftige Leute zurück. Und wer bleibt dann? Das sind einmal die Rechtsextremen und auf der anderen Seite die religiösen Fundamentalisten. Wer jetzt noch Querdenker ist, tendiert entweder häufiger zum Rechtsextremismus oder zum religiösen Fundamentalismus. Und das ist wirklich gefährlich“, so die Einschätzung des Wissenschaftlers.
Querdenken-Initiator Michael Ballweg, der stets eine Nähe der Bewegung zum Rechtsextremismus verneint, aber darauf verweist, keinen Einfluss darauf zu haben, wer die Bewegung unterstütze, ist für Blume ein „Verschwörungsunternehmer“.
„Er hat mit Querdenken finanzielle Interessen und ist, mit ein bisschen Spiritualität dabei, an Macht interessiert. Er als der große Zampano der Bewegung, der dabei auch noch gut verdient“, so schätzt er Ballweg ein. Damit sei es aber bald vorbei, glaubt Blume. „Die Bewegung fliegt gerade auseinander, einige haben sich nach dem Treffen mit Fitzek von ihm distanziert.“
Dazu gehört auch der Aaalener Volkswirtschaftsprofessor Christian Kreiß, der bei mehreren Querdenken-Kundgebungen als Redner und Kritiker der Corona-Maßnahmen aufgetreten war. „Ich bin auf Querdenken hereingefallen“, schreibt der Wissenschaftler am 19.November im Online-Magazin Telepolis. Er veröffentlicht dort die Einladung zu dem geheimen Treffen mit Fitzek am 15.November, unterzeichnet mit „friedvollen und freiheitlichen Grüßen“ von Michael Ballweg und der Bitte um strengste Geheimhaltung.
„Querdenken ist für mich tot“
Er habe Querdenken geglaubt, schreibt Kreiß, dass dort für freiheitliche Demokratie statt Einschränkung der Grundrechte gekämpft werde. „Von Seiten Querdenken hieß es mir gegenüber immer, man habe nichts mit Reichsbürgern oder ähnlichen Gruppierungen zu tun. Aber offenbar liefen im Hintergrund andere Bestrebungen, die nicht kommuniziert wurden. Querdenken ist für mich jetzt tot“, schreibt Kreiß.
Die Sache, die auch Querdenken lange nach außen vertreten habe, sich gegen die Unverhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen und die Aushebelung vieler Grundrechte einzusetzen, finde er nach wie vor richtig, schreibt Kreiß. „Ein König von Deutschland und Reichsbürger dagegen sind für mich Idiotie.“

Für Demonstranten, die nichts mit Verschwörungstheorien am Hut haben, nicht in die rechte Ecke geworfen werden und dennoch gegen die Corona-Maßnahmen und Einschränkung der Grundrechte protestieren wollen, hat Michael Blume einen Rat: „Sie können sich klar abgrenzen von Rechtsextremisten und Antisemiten und dennoch Politik und Öffentlichkeit auf ihre Ängste aufmerksam machen.

„Künstler und Schausteller, die um ihre Existenzen fürchten, haben das ja getan, auch Fridays for Future„, so Blume. „Man kann so demonstrieren, dass man sich an die Vorschriften hält, sich aber nicht mit Antisemiten oder Rechtsextremen verbündet oder von ihnen benutzen lässt.“