Mehr als fünf Wochen nach dem Brandinferno bei Deutschlands größtem Reifenhändler Bruno Göggel in Gammertingen liegt den Behörden noch immer kein Gutachten zur Brandursache vor, wie eine SÜDKURIER-Nachfrage ergeben hat.
Neben den Anzeigen gegen den Gammertinger Bürgermeister HolgerJerg und Reifen-König Göggel sind weitere Anzeigen bei der Polizei eingegangen, die nun auf den Anfangsverdacht einer Straftat hin geprüft würden. Wer davon betroffen ist, will die Polizei aber nicht verraten.
Im Fokus der Ermittlungen des Kriminalkommissariats Sigmaringen dürfte wohl jener Pyrotechniker aus dem Landkreis Esslingen stehen, der das folgenschwere Hochzeitsfeuerwerk zündete. Dieses führte laut ersten Erkenntnissen der Ermittler zu dem Großbrand mit einem Schaden von bis zu 25 Millionen Euro.

Seither kursieren in Gammertingen Gerüchte, wonach der Pyrotechniker nur nebenberuflich als Feuerwerker arbeite. Mehrere Versuche, mit ihm Kontakt aufzunehmen, waren bis zum Erscheinen dieses Beitrags nicht erfolgreich.
Allerdings geht aus seiner Webseite hervor, dass der Mann, der sich selbst als Tüftler bezeichnet, verschiedene EDV-Dienstleistungen anbietet. Er zählt dazu mehrere Projekte auf. Erst an dritter Stelle wird die Pyrotechnik angeführt.
„Gefühl, völlig ausgeliefert zu sein“
Doch der Zorn einiger Gammertinger richtet sich nicht in erster Linie gegen den Pyrotechniker, sondern gegen jene Behörden, die das Hochzeitsfeuerwerk nicht untersagten – trotz längerer Trockenheit und dem strengen Verbot für die Bevölkerung, in der Natur Feuer zu machen oder zu rauchen.
Eine der wütenden Gammertinger ist Agnes Heinzelmann. Sie lebt in jener Wohnsiedlung, die direkt an das etwa zehn Hektar große Betriebsgelände von Reifen Göggel angrenzt. „Die Brandnacht war für mich als Anwohnerin ein äußerst erschreckendes, beängstigendes und prägendes Ereignis“, erzählt Heinzelmann.
Sie habe an jener Nacht zum 24. Juli aus Angst vor dem Feuer ihr Haus verlassen – aber nicht wie einige Nachbarn mit gepackten Sachen, um mit ihren Familien vor dem Brandinferno zu flüchten. „Ich wollte sehen, ob das Feuer zu uns rüber kommt“, sagt die Gammertingerin. Da sei ihr erst das Ausmaß der Gefahr und das Gefühl, völlig ausgeliefert zu sein, vor Augen geführt worden.
Auch deshalb sei sie heilfroh darüber, dass es in der Brandnacht windstill war. „Wenn der Wind so geblasen hätte wie einen Tag später, wäre es durch den Funkenflug wohl weit schlimmer ausgegangen“, meint sie.
Schon vor 30 Jahren Bedenken
Am meisten stört Heinzelmann, dass die Behörden die Bedenken der Anwohner seit Jahrzehnten nicht ernst nehmen würden. Bereits bei der Planung des Zentrallagers von Reifen Göggel vor rund 30 Jahren habe sie mit einigen Nachbarn versucht, die Genehmigung und den Bau zu verhindern.
„Schon damals fürchteten wir die Brandgefahr, die durch die Lagerung von hochbrennbaren Reifen und Folien ausgeht. Unsere Bemühungen waren erfolglos“, sagt die Gammertingerin resigniert.

Damals hätte ihre Gruppe an besorgten Bürgern die Erweiterung des Areals weg vom Wohngebiet auf der anderen Seite der Bundesstraße gefordert, damit eine Pufferzone zwischen Betriebsgelände und Wohngebiet erhalten bleibe könne. „Der Großbrand hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Die Ängste und Befürchtungen vieler Anwohner sind Realität geworden“, sagt Heinzelmann.
Einer oder mehrere verantwortlich?
Ähnlich sieht es Lothar Wasel. Der Jurist saß 25 Jahre als Parteiunabhängiger im Gammertinger Gemeinderat. Zweimal sei er nur deshalb gegen den aktuellen und den früheren Stadtchef bei den Bürgermeisterwahlen angetreten, um überhaupt erst eine demokratische Wahl zu ermöglichen. „Ich halte es für unerträglich, wenn Bürgermeister als einzige Kandidaten bei einer Wiederwahl kandidieren“, so Wasel.
Er und seiner Aussage nach „viele Gammertinger Bürger“, insbesondere Bewohner des an das Reifenlager angrenzenden Wohngebietes, würden sich Sorgen machen, die Strafverfolger hätten mit dem Pyrotechniker bereits den scheinbaren Allein-Verantwortlichen gefunden.
„Eigentum verpflichtet“
„Weder der Bürgermeister der Stadt Gammertingen (Holger Jerg, Anm.) noch all die anderen beteiligten Behörden waren verpflichtet, zur Krönung der Hochzeitsfeier des Firmen-Inhabers Bruno Göggel (...) ein grandioses Feuerwerk in Waldnähe und bei hoher allgemeiner hitzebedingter Brandgefahr (...) zu dulden oder zu gestatten“, ist Wasel überzeugt und führt auch die in seinen Augen ‚massiven Umweltschäden‘ an.
Der Rechtsanwalt im Ruhestand sieht in der Durchführung und Gestattung des Feuerwerk ein grob fahrlässiges Verhalten, aber auch Reifen-König Bruno Göggel in der Verantwortung.
Schließlich stehe im Grundgesetz der Satz „Eigentum verpflichtet“: „Der bedenkenswerte Satz unseres Grundgesetzes bedeutet aber auch für den sehr wohlhabenden Firmen-Inhaber Bruno Göggel, dass er gegenüber seinen Mitarbeitern, den unmittelbaren Anwohnern seines Unternehmens, der Stadt und ganz allgemein der Gesellschaft eine besonders hohe Verantwortung für sein Eigentum hat“, so der frühere Kommunalpolitiker.
Mangel an Verantwortung?
Weder das Feuerwerk noch die Flugshow bei der Hochzeit von Reifen-König Bruno Göggel hätten für ihn zur „politischen Großwetterlage gepasst: „Apelle zum Energiesparen an die Bevölkerung, ständige Teuerung der Energiekosten, Zwang zum Wassersparen bei extremer Trockenheit, regelmäßige Warnungen vor extremer Waldbrandgefahr“, fasst Wasel die Lage kurz vor der Brandkatastrophe zusammen.
„Es geht mir hier nicht um Schuld – darum kümmern sich Polizei, Staatsanwaltschaft und gegebenenfalls Gerichte. Es geht um Verantwortung in dieser Gesellschaft. Daran hat es in jedem Falle in hohem Maße gemangelt“, so Wasel.
Weder Bruno Göggel noch Bürgermeister Holger Jerg waren für den SÜDKURIER bis zur Veröffentlichung des Beitrags erreichbar. In der Vergangenheit wies der Stadtchef stets jede Mitverantwortung zurück. Er und seine Behörde hätten nichts falsch gemacht.