Schneereste liegen neben der Betonbahn, Raureif überzieht die nahen Grasflächen. Der Himmel ist blau, die Sicht klar. Trotz Frost ist Fliegerwetter. Auf dem früheren Bundeswehr-Fliegerhorst von Neuhausen ob Eck wartet eine auffällige Maschine auf die Startfreigabe. Der Tiefdecker wirkt mit seinen eleganten Linien und der silbrigen Wellblech-Bauweise sportlich und nostalgisch zugleich. Filigrane Speichenräder unterstreichen den klassischen Auftritt.
Trotz Minustemperaturen sitzt Pilot Sören Pedersen in einem offenen Cockpit, das von einem Lederpolster eingerahmt ist. Er trägt einen Helm wie ein Motorradfahrer. Jetzt schiebt er den Gashebel nach vorn. Der Zweisitzer beschleunigt flott und hebt nach 100 Metern ab. Im stabilen Steigflug geht es nach oben. Mehrere Überflüge der Startbahn folgen.

Nach der Landung eine Viertelstunde später ist die Freude bei den Zuschauern auf dem Vorfeld des Flugplatz-Hotels groß. Denn dies war der Erstflug eines neuen Flugzeugtyps.
Dass diese Maschine gut fliegen wird, war indes schon vorher klar. Denn sie ist der Nachbau eines Flugzeugs, das bereits vor mehr als 90 Jahren, im Juli 1929, erstmals abhob: der „Junior“ der Firma Junkers in Dessau. Der Nachfolger erweist dem historischen Vorbild in seinem Kennzeichen an Rumpf und Tragflächen Respekt. Es endet auf „JU“ – im Flieger-Englisch „Juliett – Uniform“, hier aber der Hinweis auf seine technische Heimat.
Damals nur 69 Stück gebaut
Anders als die deutlich größere und weltberühmte Ju 52 war die einmotorige Junior kein wirtschaftlicher Erfolg. Nur 69 Exemplare des Zweisitzers mit der Junkers-typischen Wellblech-Außenhaut wurden in den 1930er Jahren gebaut. Ein Vielfaches davon hatte man sich erhofft.

In den Jahren der Weltwirtschaftskrise, die dem Erstflug 1929 folgte, hatten die Menschen andere Sorgen, als über den Kauf eines Propellerflugzeugs nachzudenken. Die damaligen Junior-Exemplare bewiesen immerhin, dass selbst mit nur 80 PS Fernflüge möglich sind. Die Flugpionierin Marga von Etzdorf (1907-1933) schaffte es 1931 in ihrem Junior sogar, von Berlin aus über Moskau bis nach Japan zu fliegen.
2018 in der Schweiz gegründet
Der Nachbau der Junior ist das jüngste Projekt der Junkers Flugzeugwerke AG. Das 2018 in der Schweiz gegründete Unternehmen produziert bereits eine Replika der historischen Junkers F13 in Kleinserie. Dieser Tiefdecker von 1919 gilt als erstes serienmäßiges Passagierflugzeug aus Metall. Der Sechssitzer ist damals ein weltweiter Erfolg für das einst vom Luftfahrtpionier Hugo Junkers (1859-1935) gegründete Unternehmen.
Was den Nachbau vom Original unterscheidet
Warum hob der neue Junior nicht in der Schweiz ab? Die Lösung ist einfach. In Oberndorf am Neckar ist die Firma Kaelin Aero Technologies beheimatet, wo der Junior gefertigt wird. Der Schweizer Firmenchef Dominik Kälin und sein Team haben es bis Neuhausen nicht weit.
Sitz der Junkers Flugzeugwerke ist seit 2020 der Schweizer Airport St. Gallen-Altenrhein und das nahegelegene Widnau. Am eidgenössischen Bodenseeflughafen soll der Junior ebenso wie die größere F13 künftig ihren neuen Besitzern übergeben werden.

Der Macher hinter allen Projekten ist Dieter Morszeck (68). Der Chef der Junkers Flugzeugwerke ist langjähriger Pilot. Er ist fasziniert von der Wellblech-Bauweise, wie sie Hugo Junkers einst entwickelt und weltbekannt gemacht hat.
Morszecks Vater gründete in der gleichen Ära wie der Luftfahrtpionier das bis heute bestehende Koffer-Unternehmen Rimowa in Köln. Er verwendete ebenfalls geriffeltes Duraluminium für sein leichtes Reisegepäck. Dieter Morszeck leitete das Unternehmen des Vaters lange, verkaufte es aber vor wenigen Jahren.

Nach dem Erstflug wird die weitere Flugerprobung überwiegend in Neuhausen ob Eck erfolgen. Dort herrschen für die Testflüge gute Bedingungen. Erprobungspilot Pedersen bringt das Flugzeug unter anderem zum Abkippen und muss beweisen, dass der Junior mit nur 83 km/h noch sicher fliegen kann. Erst bei noch geringerer Geschwindigkeit darf es zu einem Strömungsabriss kommen. Der Pilot fängt die Maschine nach einem derartigen Manöver wieder ab, verliert dabei aber Einiges an Höhe.
Rakete zieht Rettungsfallschirm
Zudem muss sich durch einen Test am Boden zeigen, ob das vor dem Pilotensitz eingebaute Rettungssystem funktioniert und der Fallschirm tatsächlich mit Hilfe einer kleinen Rakete aus dem Rumpf gezogen wird, damit die Maschine dann am Schirm zu Boden schweben kann. Die Zulassung wird für das laufende Jahr erwartet.

Zielgruppe als Käufer für eine Junior sind Piloten, die ein Flugzeug im Design eines Oldtimer mit klassischer Wellblechbauweise lieben. Gleichzeitig wollen sie den nostalgischen Look mit moderner Technik, geringem Spritverbrauch und Zuverlässigkeit kombiniert wissen. Und es sind wohl Flieger, die frische Luft mögen – denn im offenen Cockpit spürt man den Fahrtwind um die Nase.
Die Junior wird bald auch am Bodensee zu sehen sein: Auf der Luftfahrtmesse Aero im April in Friedrichshafen soll die kleine Junkers, die 179.000 Euro kosten soll, ihre Premiere vor großem Publikum haben. Erste Kaufverträge sind schon unterschrieben.