Verstaubt, grau und vergessen: In diesem Zustand fand der SÜDKURIER im November 2024 die Reste eines alten Stockacher Kulturdenkmals im städtischen Bauhof. Es waren vier Bruchstücke einer mächtigen Eichensäule, die bis zu dessen Abriss 1972 zusammen mit drei gleichen gedrechselten Holzständern in Stockachs altem Kaufhaus verbaut waren, das in der NS-Zeit „Braunes Haus“ hieß.

In der Werkstatt des Konstanzer Restaurators Ralf Riens präsentiert sich das alte Säulenholz nun so, wie man es sich wünscht: Penibel gereinigt, im braunen Eichenholzton imprägniert und handwerklich professionell mittels Schwerlastschrauben zu nunmehr zwei Säulenhälften vereinigt. Eine Hälfte ragt um fast drei Meter hoch auf, die andere ruht auf zwei Böcken und ist mit ihren Rissen, Schrunden, Kerben und Bohrlöchern Geschichte zum Anfassen.

Die eichenen Zeugen aus dem Alten Kaufhaus sind wieder vorzeigbar, und deshalb ist Julian Windmöller, Leiter des Stadtmuseums, in die Werkstatt gekommen. Hier gibt es wertvolle Neuigkeiten, die Willy Tegel mitgebracht hat. Der Experte aus Mühlingen ist Mitarbeiter am Institut für Waldwachstum und Dendrochronologie der Universität Freiburg, das heißt: Er versteht sich darauf, das Alter von Holz zu bestimmen.
Eiche wurde um 1734 gefällt
Dazu hat er vor einigen Wochen einen bleistiftgroßen Bohrkern aus einem Säulenfragment gebohrt, in dem die Signatur der Jahresringe enthalten ist. Die Analyse hat nun ergeben, dass die Eiche im Jahr 1734 in der Nähe von Stockach gefällt worden ist. „Plus minus zehn Jahre“, setzt der Wissenschaftler hinzu. Das frische Holz, sagt er, sei sofort bearbeitet worden.

Damit ist ein wichtiger Hinweis erbracht. „Wir wissen nun, dass die vier Säulen direkt für den Bau des Kaufhauses verwendet worden sind“, sagt Julian Windmöller. Bisher hatten er und andere Historiker in Erwägung gezogen, dass die wuchtigen Ständer bereits im Vorgängerbau, der 1721 errichteten Zehntschauer, Querbalken getragen haben könnten und dass sie vielleicht noch viel älter waren und aus dem 17. Jahrhundert stammten.
Säule wurde an einer Mühle gedrechselt
Das kann man nun ausschließen. Den Stockacher Bürgern war wohl daran gelegen, ihr neues Kaufhaus mit den aufwändig mit Hilfe eines Mühlenantriebs bearbeiteten Säulen zu schmücken. Das war ungewöhnlich. „Wir kennen – etwa im Konstanzer Konzilsgebäude – eine Menge schwerer Säulen in Gebäuden“, sagt Willy Tegel. Aber sie hätten die Form eines einfachen Vierkantpfostens. Die Stockacher Ständer sind dagegen handwerklich wertvoll.
Das bestätigt auch Restaurator Ralf Riens. Er geht „mit höchster Wahrscheinlichkeit“ davon aus, dass die zwei Säulenhälften in seiner Werkstatt zusammengehören. Leider kann er das nicht durch einen Zusammenbau demonstrieren.
Grund: Irgendjemand muss das Holz der zuvor gewaltsam auseinander gestemmten Säule so gut gefallen haben, dass er eine Kreissäge ansetzte „und sich ein paar Brettchen herausgeschnitten hat“, sagt Riens und fährt mit der Hand über die glatten Flächen, die von Sägeblattschnitten diagonal durchkreuzt werden.
Kernfäule machte das Holz porös
Ganz nutzen konnte der Heimwerker seine Ausbeute aber vermutlich nicht. Denn im Innern der Säule hatte sich die Kernfäule ausgebreitet, das Holz ist hier mürbe und porös. Von einem Zusammenbau der zwei Hälften rät Riens also ab, und auch Julian Windmöller stimmt zu. Ihm schwebt vor, die zwei Holzdenkmäler im Stockacher Alten Forsthaus so zu zeigen, wie sie sich jetzt dem Betrachter öffnen, um ihre Geschichte zu erzählen.

Der Restaurierung vorausgegangen war eine mehrwöchige Behandlung in der Stickstoffkammer der Freiburger Museen. Dadurch wurden eventuell noch vorhandene Mikroorganismen im Holz abgetötet. Demnächst werden die insgesamt rund eine Tonne schweren Säulenhälften zurück nach Stockach gebracht und zwischengelagert, bis über die Art und Weise ihrer öffentlichen Präsentation entschieden ist. Die Kosten für die Restaurierung werden über ein Programm der Landesstelle für Museen Baden-Württemberg getragen, die 10.000 Euro bereitstellt.
Dann wird man sich in Stockach durch ein imposantes Artefakt an das Alte Kaufhaus erinnern, das die Stadt abreißen ließ, obwohl das Gebäude unter Denkmalschutz stand. Damals war mit der Behörde in Freiburg vereinbart worden, dass zumindest die Säulen aufbewahrt werden.
Zwei Säulen begrüßen die Gäste
Daraus wurde nichts. Drei der Ständer landeten beim Möbelschreiner Johannes Kuppel in Espasingen, der zwei von ihnen verkaufte. Diese Säulen stehen heute am Eingang des Gasthofs „Kranz“ in Liggeringen, wo sie der Wirt Markus Honstetter in den 1980er-Jahren verbaute. Die dritte Säule ging verloren. Die letzte ist nun gerettet – dank Handwerk und Expertise.