Der Fall des 17-jährigen Syrers, der am 30. Juli mit zwei Begleitern in Stuttgart mit einem Messer eine syrisch-türkische Familie angreift und drei Männer verletzt haben soll, beschäftigt Politik und Öffentlichkeit. Der Verdächtige und die zwei syrischen Mittäter sitzen in U-Haft. Erneut ist damit die Debatte über schnellere Abschiebungen und den Umgang mit straffälligen Flüchtlingen losgebrochen.
Doch auch dieser neue Fall könnte den üblichen langwierigen Weg gehen, bis es zu einer Abschiebung kommt. Ein Sprecher des Justizministeriums betonte gegenüber unserer Redaktion, dass der 17-Jährige einen Flüchtlingsstatus hat und aktuell das Regierungspräsidium Karlsruhe die Ausweisung prüfe. Vorher müsse aber eine Anklage, eine Verhandlung und ein Urteil erfolgen.
Erst dann könnte der Syrer ein Fall für den Sonderstab Gefährliche Ausländer werden, der diese Abschiebungen vorantreibt. Aber weiterhin gilt: Bisher schiebt der Bund nicht nach Syrien und Afghanistan ab, was Justizministerin Marion Gentges (CDU) immer wieder eingefordert hat. 2023 wurden in Baden-Württemberg 120 Abschiebungen von Mehrfach- und Intensivtätern sowie von Gefährdern vollzogen, 880 Straftäter wurden abgeschoben. Vertreter des Sonderstabs beschreiben dies aber als mühsame Puzzlearbeit.
Asylbewerber verletzt mehrfach Bundespolizisten
Wie schwer sich Polizei und Justiz im Umgang mit Messerangriffen und tatverdächtigen Asylbewerbern tun, zeigte jüngst ein Vorfall in Karlsruhe. Wegen eines als viel zu lax empfundenen Umgangs der Justiz nach einem Angriff auf Polizeibeamte hatte es nach Informationen unserer Redaktion massive Irritationen in der Polizei gegeben. Gemeint ist der Fall eines 36-Jahre alten Nigerianers.
Der Asylbewerber W. hatte sich Anfang Juli im Hauptbahnhof von Karlsruhe und Mannheim gleich dreimal Bundespolizisten widersetzt und diese angegriffen. Er verletzte nach einem Platzverweis vier Polizisten am Hauptbahnhof Karlsruhe durch Beißen und Kratzen, danach zwei weitere Beamte am Bahnsteig, die ihn aus dem Zug geholt hatten, mit einem Cuttermesser an Kopf, Arm und Bein. Dennoch blieb W. auf freiem Fuß, der Fall hatte bundesweit Wellen geschlagen.
Nun zeigen interne Aufzeichnungen der Polizei, dass die Bundespolizisten gleich zweimal mit einem Haftantrag für den Messerstecher an der Staatsanwaltschaft Karlsruhe gescheitert waren. Die zuständige Bereitschaftsstaatsanwältin lehnte die Haft ab, da nach „ihrer Einschätzung eine Cuttermesserklinge nicht geeignet ist, lebensgefährliche Verletzungen hervorzurufen“, heißt es wörtlich im uns vorliegenden Polizeiprotokoll.
Wenige Stunden nach dem Karlsruher Vorfall fiel der Mann im ICE nach Mannheim ohne Fahrschein auf. Auf dem Bahnsteig in Mannheim wurde W. erneut von Bundespolizisten kontrolliert, dort baute er sich „bedrohlich auf“ und forderte die Polizisten zum Kampf auf. Nach einem kurzen Gerangel wurde er auf die Wache gebracht. Zuständig war erneut die Staatsanwaltschaft Karlsruhe, erneut trugen die Beamten die Sache vor, erneut wurde eine Haft abgelehnt.
Die Odyssee der Beamten mit dem Nigerianer W. ging weiter. Ein wegen psychischer Auffälligkeiten eingeschalteter Vertragsarzt der Polizei ordnete an, ihn der Psychiatrie in Mannheim vorzustellen. Laut Polizeiprotokoll sahen die Ärzte dort aber keine Veranlassung, ihn aufzunehmen und ließen ihn „ohne Absprache auf freien Fuß“.
Staatsanwaltschaft denkt um
In den Tagen danach war es aber zu Kehrtwende in der Staatsanwaltschaft gekommen. Am 10. Juli kontrollierten Beamte der Bundespolizei W. am Hauptbahnhof in Hamm (Westfalen) und nahmen ihn auf Grundlage eines Haftbefehls des Amtsgerichts Karlsruhe wegen versuchten Totschlags fest. Heute sitzt er in der JVA Hamm ein.
Ein Sprecher der Karlsruher Staatsanwaltschaft begründete die nächtlichen Entscheidungen mit der Erkenntnislage. Es habe sich nicht um ein Cuttermesser im klassischen Sinne gehandelt, sondern um eine „abgebrochene“ Klinge eines solchen Messers.
Es sei nicht von festen Stößen in Richtung Polizisten die Rede gewesen, sondern vom Fuchteln mit einer Klinge „nach hinten“, wobei die Polizisten verletzt wurden. Die Frage einer vorsätzlichen Handlung konnte so nicht geklärt werden.
„Zu diesem Zeitpunkt hat das nicht für einen Haftbefehl gereicht“. Zumal auch eine Meldeanschrift existiert habe. Auch das „bedrohliche Aufbauen“ in Mannheim habe nicht ausgereicht, so der Sprecher weiter. Nach zweitägiger Prüfung habe man den Fall aber anders bewertet, übrigens auch, nachdem sich die Meldeadresse in Möhnesee (Nordrhein-Westfalen) als Flüchtlingsunterkunft herausstellte.
Für den Nigerianer sind nun die nordrhein-westfälischen Behörden zuständig. Er ist damit auch kein Fall für den Sonderstab Gefährliche Ausländer in Baden-Württemberg, heißt es im Justizministerium.
Debatte um Messerverbot
In der Politik und der Polizei wird der Ruf nach einer härteren Gangart immer lauter. CDU-Parteichef Manuel Hagel betont: „Jetzt muss doch der Letzte begriffen haben, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt. Wir lassen es nicht zu, dass man alle reflexartig in die rechte Ecke stellt, die es benennen.“
Angesichts entsprechender Gerichtsentscheidungen müssten SPD, Grüne und FDP nun endlich ermöglichen, dass sofort wieder nach Syrien abgeschoben werden kann. Hagel fordert zudem ein „Messerführungsverbot“ in der Öffentlichkeit, das so angelegt ist, dass Berufsgruppen und Personen, die ein Messer benötigten, ausgenommen seien.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) betont: „Wer bei uns als hilfesuchender Flüchtling, schwere Straftaten begeht, der hat sein Bleiberecht in Deutschland verwirkt“, sagt Thomas Mohr, stellvertretender GdP-Landesvorsitzender.