Es war der größte Polizeieinsatz seit langem in Konstanz und er richtete sich gegen eine bewaffnete Jugendbande im Drogenmilieu, die einen 19-Jährigen seiner Freiheit beraubt, erpresst und schwer misshandelt haben soll: Am Ostermontag stürmten maskierte Elitepolizisten eine angemietete Ferienwohnung in Konstanz-Fürstenberg.

So sah die Wohnungstür, hinter der sich die Zielpersonen aufhielten, nach dem SEK-Einsatz aus.
So sah die Wohnungstür, hinter der sich die Zielpersonen aufhielten, nach dem SEK-Einsatz aus. | Bild: René Laglstorfer

Dort nahm das Spezialeinsatzkommando (SEK) drei junge Männer sowie eine 17-jährige Jugendliche fest. Ein vierter Verdächtiger, der mutmaßliche Haupttäter, soll wenig später bei seinem Arbeitgeber festgenommen worden sein.

Seit vier Monaten in U-Haft

Die Staatsanwaltschaft Konstanz hat nun Anklage nicht – wie erwartet – gegen fünf, sondern überraschenderweise gegen sechs Tatverdächtige erhoben, wie Staatsanwalt Andreas Mathy dem SÜDKURIER auf Anfrage bestätigt.

Der junge Mann im Hintergrund soll bereits eine mehrjährige Haftstrafe abgesessen haben. Am Ostermontag wurde er erneut festgenommen. ...
Der junge Mann im Hintergrund soll bereits eine mehrjährige Haftstrafe abgesessen haben. Am Ostermontag wurde er erneut festgenommen. Jetzt wird er angeklagt. | Bild: Rau, Jörg-Peter

Dabei handelt es sich zum einen um die vier jungen Männer im Alter von 21 bis 22 Jahren, die nunmehr seit knapp vier Monaten in Untersuchungshaft sitzen. Und zum anderen um zwei junge Frauen: Jene 17-jährige Jugendliche, die vorübergehend festgenommen wurde und rasch auf freien Fuß kam, sowie eine weitere junge Frau im Alter von 18 Jahren, die bisher in den Mitteilungen der Konstanzer Polizei gar nicht erwähnt wurde.

„Gravierende Taten, wie man sie nicht jeden Tag liest“

Den sechs jungen Tatverdächtigen wirft die Konstanzer Staatsanwaltschaft in ihrer rund 30-seitigen Anklageschrift eine Reihe von schweren Straftaten vor: Erpresserischer Menschenraub in Tateinheit mit besonders schwerem bandenmäßigem und zum Teil bewaffnetem Raub, besonders schwere räuberische Erpressung, gefährliche Körperverletzung sowie unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmittel in nicht geringer Menge.

Bewaffnet: Ein Beamter einer Spezialeinheit bei dem Einsatz in Konstanz. Er trägt Helm, Schutzkleidung und ist mit einer besonderen ...
Bewaffnet: Ein Beamter einer Spezialeinheit bei dem Einsatz in Konstanz. Er trägt Helm, Schutzkleidung und ist mit einer besonderen Bewaffnung ausgestattet. | Bild: Rau, Jörg-Peter

„Es ist ein Fall, der aus der Masse der Anklagen zum Landgericht ein Stück heraussticht, weil es besonders gravierende Taten waren, wie man sie nicht jeden Tag liest“, sagt Staatsanwalt Mathy. Was ist in jener Nacht zum Ostermontag in Konstanz geschehen? SÜDKURIER-Recherchen geben nun erstmals Einblick in den gesamten Tatablauf.

Entführung auf offener Straße in Konstanz

Das Konstanzer Polizeipräsidium suchte vier Tage nach der mutmaßlichen Tat in einer Pressemitteilung nach Zeugen, die sich am Ostersonntag gegen 20 Uhr in Konstanz im Bereich der Bushaltestelle an der Max-Stromeyer-Straße auf Höhe der Hausnummer 8 aufhielten. Während dort mehrere Personen warteten, sei ein weißer Kleinwagen gegenüber der Haltestelle gestanden.

Spezialkräfte nahmen fünf Tatverdächtige fest.
Spezialkräfte nahmen fünf Tatverdächtige fest. | Bild: Rau, Jörg-Peter

Was die Mitteilung verschwieg, ist, dass es an dem erwähnten Ort – mitten in Konstanz-Petershausen – zu einer wohl bewaffneten Entführung des 19-Jährigen auf offener Straße gekommen sein soll. Das bestätigt die Staatsanwaltschaft Konstanz. „Zwei der vier Hauptangeklagten (gemeint sind die männlichen Tatverdächtigen, Anm.) sollen dem Opfer gesagt haben, sie hätten eine Waffe dabei. Ob das tatsächlich der Fall war, ließ sich nicht bestätigen“, sagt Staatsanwalt Mathy.

Aus 50 Euro Schulden sollen 1000 geworden sein

Das 19-jährige Opfer gab laut SÜDKURIER-Informationen an, dass die Täter ihn mit einer Schusswaffe und mit dem Tod bedroht hätten. Diese Schusswaffe, die ein wichtiges Beweismittel im bevorstehenden Prozess wäre, soll einer der Tatverdächtigen später so entsorgt haben, dass sie die Polizei bis heute nicht finden konnte. Das bestätigt auch die Anklageschrift, die laut dem Sprecher der Staatsanwaltschaft keine Schusswaffe als Beweismittel nennt.

Andreas Mathy, Sprecher der Staatsanwaltschaft Konstanz
Andreas Mathy, Sprecher der Staatsanwaltschaft Konstanz | Bild: Oliver Hanser

Auslöser für die gewaltsame Entführung sollen Schulden des Opfers bei der Drogenbande über lediglich 50 Euro gewesen sein. „Gefordert wurden wohl 1000 Euro. Ein Säumniszuschlag hat den ursprünglichen Schuldbetrag erhöht“, erklärt Andreas Mathy.

„Heftige Misshandlungen“ laut Ermittler

Am Steuer des Entführungswagens sei die als Mittäterin angeklagte 18-jährige Frau, am Beifahrersitz die als Gehilfin angeklagte 17-jährige Jugendliche gesessen. Zusammen mit zumindest einem Teil der männlichen Angeklagten soll die Jugendbande ihr Opfer in die knapp zwei Kilometer entfernte Ferienwohnung nach Konstanz-Fürstenberg gebracht haben.

In diesem Gebäude befindet sich die Ferienwohnung, in der sich der SEK-Einsatz am Ostermontag in Konstanz abspielte.
In diesem Gebäude befindet sich die Ferienwohnung, in der sich der SEK-Einsatz am Ostermontag in Konstanz abspielte. | Bild: René Laglstorfer

Dort soll es zu „heftigen Misshandlungen“ gekommen sein, wie ein Kripobeamter dem SÜDKURIER bestätigte. Die vier männlichen Angeklagten sollen ihr 19-jähriges Opfer unter anderem mit einer Schusswaffe bedroht, seine Hände mit heißem Wasser verbrüht und seine Nase und Finger mit einer Zange verletzt haben.

„Psychische Beihilfe genügt“

Die beiden jungen Frauen dürften bei den Misshandlungen lediglich zugeschaut haben, wodurch sie jedoch laut Staatsanwaltschaft Konstanz auch gegen das Gesetz verstießen: „Durch ihre Anwesenheit haben sie die Taten gebilligt und die anderen bestärkt in ihrem Entschluss. Psychische Beihilfe genügt, um sich strafbar zu machen“, stellt Staatsanwalt Mathy klar.

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Bei den Quälereien soll der Haupttäter eine führende Rolle eingenommen haben. Ein anderer hat dabei nach SÜDKURIER-Informationen verhindert, dass ein Finger des Opfers abgetrennt werde. Zwei der sechs Angeklagten sollen die Folter nicht mehr mitansehen haben können und zwischenzeitlich die Fürstenberger Ferienwohnung verlassen haben, während zwei männliche Tatverdächtige weitergemacht hätten.

Wann der Prozess stattfinden dürfte

Als die Angeklagten irgendwann in der Nacht einschliefen, dürfte das 19-jährige Opfer die Gelegenheit genutzt und zu einer Verwandten geflohen sein. Von dort hat der verletzte Mann dann selbst die Polizei verständigt, wie die Behörden bestätigten.

Gesperrt: Die Fürstenbergstraße, eine der wichtigsten Ausfallstraßen von Konstanz, war am Morgen Ostermontags wegen des großen ...
Gesperrt: Die Fürstenbergstraße, eine der wichtigsten Ausfallstraßen von Konstanz, war am Morgen Ostermontags wegen des großen Polizeieinsatzes gesperrt. | Bild: Rau, Jörg-Peter

Aufgrund der Schusswaffe, den schlimmen Misshandlungen und da die Polizei die Jugendbande schon länger auf dem Schirm hatte, haben die Sicherheitsbehörden in den frühen Morgenstunden des Ostermontags entschieden, eine große Anzahl SEK- und Kripobeamter nach Konstanz zu schicken.

Der Prozess gegen die sechs Angeklagten wird laut Staatsanwaltschaft und Landgericht Konstanz voraussichtlich im Herbst über die Bühne gehen. Ein genauer Verhandlungstermin steht noch nicht fest. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.