Vier Wochen nach dem spektakulären Großeinsatz von Elitepolizisten gegen eine bewaffnete Gruppe am Ostermontag in Konstanz-Fürstenberg sitzen die vier tatverdächtigen Männer im Alter von 21 bis 22 Jahren nach wie vor in Untersuchungshaft, wie die Staatsanwaltschaft Konstanz auf Anfrage bestätigt. Einen Fragenkatalog will der zuständige Staatsanwalt mit Verweis auf „ermittlungstaktische Gründe“ in absehbarer Zeit nicht beantworten.
Doch neue SÜDKURIER-Recherchen am Tatort, in Ermittlerkreisen und im Umfeld der mutmaßlichen Täter bringen nun erstmals ans Licht, wie sich der laut Polizei ‚erpresserische Menschenraub‘ abgespielt haben dürfte. Demnach soll ein 19-jähriger Mann einer mutmaßlichen Drogenbande in Konstanz Geld für Rauschgift geschuldet haben.
Hinter vorgehaltener Hand heißt es, es sei um einen geringen Betrag für Kokain gegangen. Ob der 19-Jährige die Suchtmittel für den Eigenverbrauch erwarb oder als Zwischenhändler fungierte und sie weiterverkaufte, ist unklar.
Entkleidet, verbrüht und gedemütigt
Jedenfalls dürfte er seine Schulden bei der Konstanzer Bande nicht begleichen haben können. Diese soll ihn deshalb am Abend des Ostersonntags in eine etwa vier Wochen vor der Tat angemietete Ferienwohnung in der Fürstenbergstraße geführt haben, welche 1400 Euro pro Monat kostet. Dort soll es zu „heftigen Misshandlungen“ gekommen sein, wie Ermittler dem SÜDKURIER bestätigten.

Laut gut informierten Kreisen hätten die vier fast gleich alten Männer, welche seit gemeinsamen Schulzeiten miteinander befreundet sind, ihren 19-jährigen Schuldner mit einer Schusswaffe mit dem Tod bedroht, ihn entkleidet und seine Hände mit heißem Wasser verbrüht. Ihre Quälereien sollen sie dabei mit einem Smartphone gefilmt haben, vermutlich um ihr Opfer hinterher öffentlich bloß stellen und erpressen zu können.
Der „King von Wollmatingen“
Für zwei der vier jungen Täter – alle deutsche Staatsbürger und in Konstanz aufgewachsen – sollen die Misshandlungen zu viel gewesen sein, weshalb sie die Ferienwohnung vorübergehend verlassen hätten, während die anderen beiden weitermachten. Außerdem soll die Bande dem 19-Jährigen mit einer Zange in die Nase gekniffen und verletzt sowie ihm „Wollmatingen“ ins Gesicht geschrieben haben.

Dabei hätten sie ihn auch gefragt, wer der „King von Wollmatingen“ sei – ein möglicher Hinweis auf einen lokalen Drogenboss. Einer der Tatverdächtigen gibt auf seinem Profil in einem sogenannten sozialen Netzwerk an, er arbeite bei „Serkans Zuhälter“, was wohl eher Protzerei als Tatsachen entsprechen dürfte.
„Haben Sie keine Angst“
Irgendwann spät in der Nacht dürfte die Gruppe – zu der wohl auch ein 17-jähriges Mädchen gehört – eingeschlafen sein. Diese Chance nutzte das 19-jährige Opfer, um sich unbemerkt aus der Ferienwohnung zu schleichen und bei einem Verwandten Hilfe zu suchen. Von dort soll der verletzte Mann dann selbst die Polizei verständigt haben, wie die Staatsanwaltschaft Konstanz dem SÜDKURIER schon vor einiger Zeit bestätigte.
Wohl aufgrund der scharfen Schusswaffe und schlimmen Misshandlungen dürfte die Polizei dann in den frühen Morgenstunden des Ostermontags das Spezialeinsatzkommando aus Göppingen sowie Kripobeamte aus Rottweil in großer Zahl nach Konstanz beordert haben.
Die Behörden sperrten die umliegenden Straßenzüge großräumig ab. Manche Anwohner konnten stundenlag nicht ihr Haus betreten. Schwer bewaffnete Elitepolizisten mit Helm, Tarnkleidung und kugelsicheren Schusswesten verschafften sich am Vormittag des Ostermontags Zutritt zum Gebäude in der Fürstenbergstraße, wo die mutmaßlichen Bandenmitglieder vermutlich noch schliefen. „Haben Sie keine Angst, bleiben Sie ruhig, kein Stress!“, sollen die SEK-Beamten verdutzten Augenzeugen zugerufen haben.
Keine Gegenwehr bei Festnahme
Einige Anwohner dürften sich aufgrund des Großaufgebots an Einsatzkräften die Augen gerieben haben, als sie aus dem Fenster blickten. „Überall war Polizei, ich dachte mir, was ist denn hier los?“, erzählt ein Nachbar. Ein anderer sagt über den Polizeieinsatz: „Wenn eine Waffe im Spiel ist, dann wird das ganz große Kino abgeliefert.“

Die Spezialkräfte dürften rasch in das Dachgeschoss ihres Zielobjekts gestürmt und die Tür zur Ferienwohnung eingetreten haben, wie ein Foto zeigt. Drei der vier Tatverdächtigen sowie auch das 17-jährige Mädchen ließen sich widerstandslos festnehmen. Die Jugendliche wurde nach den Vernehmungen rasch wieder auf freien Fuß gesetzt. Laut Staatsanwaltschaft wird gegen sie nicht mehr ermittelt.
Mindestens fünf Jahre Haft drohen
Doch auch nach dem erfolgreichen Zugriff fuhren laut Augenzeugen – darunter auch ein SÜDKURIER-Reporter – mehrere zivile Kleinbusse mit dunkel getönten Scheiben und aufgesetztem Blaulicht durch das Wohngebiet zwischen Bahnlinie und Fürstenbergstraße. Sie fahndeten nach dem vierten Tatverdächtigen, der entweder nicht in der Ferienwohnung übernachtete oder sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht hatte.

Noch am selben Tag konnte die Polizei auch ihn festnehmen. Außerdem hat sie den Internet-Router der Ferienwohnung beschlagnahmt. Am Tag nach dem Großeinsatz sicherten Experten der Kriminalpolizei Rottweil noch in der behördlich versiegelten Ferienwohnung Spuren von den Quälereien.

Kripo und Staatsanwaltschaft ermitteln weiterhin wegen des Verdachts auf erpresserischen Menschenraub. Ermittler versuchen den genauen Tatablauf und die jeweiligen Verursacher der einzelnen Misshandlungen mithilfe der Videos zu rekonstruieren. Sollte es zu einer Anklage und Verurteilung kommen, drohen den vier jungen Männern, von denen zumindest zwei einschlägig vorbestraft sein sollen, Gefängnisstrafen von nicht unter fünf Jahren – außer in minder schweren Fällen. Es gilt die Unschuldsvermutung.