Es ist kurz nach 10 Uhr, als sich der Angeklagte das zweite Mal vor dem Landgericht Waldshut-Tiengen aus seinem Stuhl erhebt. Er steht auf – und führt Stichbewegungen in der Luft aus. Diese will er am frühen Abend des 23. Dezembers 2023 gesehen haben, als Mahdi Bin Nasr, ein 38-jähriger Tunesier, der in Rickenbach in einer Asylunterkunft lebte, in seinem Zimmer saß und zu Abend aß.

Bin Nasr habe geflucht und Allah beschworen, die „Scheiß-Deutschen“ unweit seines Hauses zu töten. Wenige Minuten später wird Bin Nasr in den Kopf geschossen. Der Angeklagte, ein 58-jähriger Familienvater aus Maulburg im Kreis Lörrach, wiederholt das am Montag. „Das war Notwehr“, sagt er.

Es ist der erste Tag in dem aufsehenerregenden Fall. Der Mann aus Maulburg, der sich vor einem knappen halben Jahr im April der Kripo in Lörrach stellte, wird wegen Totschlags der Prozess gemacht. Gleich zu Beginn weist der Vorsitzende Richter Martin Hauser darauf hin: Auch eine Verurteilung für einen Mord aus niederen Beweggründen sei zu prüfen.

„Ich nenne es Gott“

Der 58-Jährige wird kurz nach 9 Uhr in den Saal gebracht. Hände und Füße sind gefesselt, er verbirgt sein Gesicht hinter einer OP-Maske und einer Mütze vor den Fotografen. Als die Anklage von Oberstaatsanwalt Christian Lorenz verlesen wird, zeigt der stämmige, kahlköpfige Mann kaum eine Regung. Doch in den folgenden Stunden wird es laut werden im Saal.

Der Mann, der einst davon träumte, andere zum christlichen Glauben zu missionieren, will heute reinen Tisch machen. „Sie nennen es Gewissen, ich nenne es Gott“, sagt er. Er habe nie vorgehabt, einen Menschen zu töten. Er wache seither jede Nacht auf, wenn die Bilder hochkommen, wie er sein Opfer mit einer Machete in sechs Teile zerlegte. Das sei das Schlimmste gewesen, was er je getan habe. Mitgefühl für sein Opfer zeigt er an diesem Tag nicht.

Mit illegaler Pistole und Munition in den Weihnachtsurlaub

Der passionierte Jäger und Schütze, der daheim 40 Langwaffen und 20.000 Schuss Munition hatte, ist ein gottesfürchtiger Mensch. Er kam mit seiner Familie und Freunden für die Weihnachtsfeiertage 2023 nach Rickenbach. Sie mieteten, wie schon vor einigen Jahren, eine Hütte im Hotzenwald an.

Die Gesellschaft wollte beisammen sein, abschalten und feiern. Es wurde viel getrunken. Schon am zweiten Tag ihres Besuchs, kam es laut Anklage zu einer Begegnung, die mit einem Toten endete. Auch, weil das Familienoberhaupt eine illegale Walther PP Browning samt Munition mit in die Weihnachtsferien brachte.

Eskalation beim Ausparken

Am Vorabend des 23. Dezembers, es dämmerte gerade, habe der Tunesier sein Fahrrad die Straße hinauf geschoben. Dann habe er die Familie beleidigt und den Urlaubern damit gedroht, die „scheiß deutschen Dreckschweine“ zu töten. Das habe er bei Allah geschworen. Der 58-Jährige habe gerade seiner Mutter beim Rangieren auf dem Parkplatz geholfen.

Der 58-jährige Tatverdächtige soll einen 38-Jährigen nach einem Streit erschossen haben, teilte die Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen ...
Der 58-jährige Tatverdächtige soll einen 38-Jährigen nach einem Streit erschossen haben, teilte die Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen mit. Tage später soll er den Toten mit einer Machete in mehrere Teile zerlegt, diese in Maschendraht eingewickelt und an unterschiedlichen Stellen in den Rhein geworfen haben. | Bild: Philipp von Ditfurth

Wenig später, so sagt der 58-Jährige, sei er zur Unterkunft des Mannes gelaufen, um diesen zur Rede zu stellen. Dafür habe er sich seine Waffe eingesteckt. Vor dem Fenster habe er Bin Nasr beobachtet, wie dieser mit dem Besteck herumfuchtelte und drohte, alle zu töten.

Als Bin Nasr ihn entdeckt habe, sei dieser auf ihn zugestürmt, und habe weitere Drohungen ausgesprochen. Dann habe der Tunesier kehrt gemacht, sei zurück in seine Wohnung gelaufen, wo er etwas vom Bett geholt habe. Das hielt der 58-Jährige für eine Waffe. Er folgte dem Mann – und schoss.

„Er wollte uns töten.“

Der Angeklagte sagt, er habe befürchtet, dass der Tunesier seine Ankündigung wahr mache und seine ganze Familie umbringen werde. Auch am Montag ist er sich noch sicher: „Er wollte uns töten.“ Auch wenn Bin Nasr keine Waffe, sondern sein Handy in der Hand hielt, wie der Angeklagte selbst aussagt.

Der Schuss traf Bin Nasr am Kopf. Er sei sofort tot gewesen, sagt der 58-Jährige.

Der letzte Wohnort von Mahdi Bin Nasr liegt nur wenige Meter von der Ferienhütte entfernt.
Der letzte Wohnort von Mahdi Bin Nasr liegt nur wenige Meter von der Ferienhütte entfernt. | Bild: Durain

Leiche unterm Gewächshaus versteckt

Nach dem tödlichen Schuss zog der Mann die Haustür der Unterkunft zu, ging zurück in sein Ferienhaus und bald darauf ins Bett. Die Leiche ließ er liegen. Am Tag darauf, an Heiligabend, kehrte er zurück, wickelte die Leiche in die Bettdecke und schaffte sie ins nahe Waldstück, wo er diese mit Ästen und Laub bedeckte. Danach macht er Frühstück für die Familie.

Mit diesem Bild suchte die Polizei nach Mahdi Bin Nasr, der in Rickenbach unter einem falschen Namen lebte und sich als Algerier ausgab. ...
Mit diesem Bild suchte die Polizei nach Mahdi Bin Nasr, der in Rickenbach unter einem falschen Namen lebte und sich als Algerier ausgab. Er fiel den Behörden bereits durch Gewalt- und Drogendelikte auf. | Bild: Durain, Pascal

Er fuhr später nach Hause, holte sich eine Plane und brachte die sterblichen Überreste in seinen Schrebergarten und versteckte sie unter dem Gewächshaus.

Erst nach den Feiertagen kaufte er in einem Baumarkt Maschendrahtzaun, zerlegte die Leiche, und warf sie an verschiedenen Stellen in den Rhein. Diese Methode habe er kurz zuvor in einem Horrorfilm gesehen.

„Es gab keinen Angriff“

Versöhnlich ist der Ton vor Gericht trotz aller Mühen des Richters und des Oberstaatsanwalts nicht. „Es hat keinen Angriff auf Sie gegeben, auch wenn Sie es geglaubt haben“, hält der Staatsanwalt dem Angeklagten vor. Notwehr sei kein Präventivschlag, Bin Nasr hatte keine Waffe.

Der Maulburger besteht jedoch darauf: „Ich weiß, dass er mich töten wollte.“ Lorenz: „Wenn jeder das tut, was er für gerecht hält, haben wir Anarchie“. Die Verhandlung wird am Donnerstag fortgesetzt. Bis dahin bleibt dem Mann seine Überzeugung: „Gott wird das richten.“