Noch immer hat er Alpträume von diesem Tag und macht sich Vorwürfe – dabei war er selbst der Angegriffene. So habe er nie gewollt, dass ein Einsatz endet, sagt der 37-jährige Polizist heute.

Am 21. März 2024 war er der „erste Mann, der reingeht“ in das Haus in Dogern, abgesichert von Kollegen der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE). Dieser Tag brachte ihn nun vor Richter Martin Hauser am Landgericht Waldshut-Tiengen. Wenige Plätze entfernt sitzt der Mann, der seinen Tod billigend in Kauf genommen haben soll.

An jenem Tag vor fast einem Jahr griff der 28-Jährige den Polizisten mit einem spitzen Klappmesser an, fügte ihm Wunden im Gesicht und an der Schulter zu. Bis heute fragt sich der Polizist, warum er damals seine Waffe nicht zog – der einzige Einsatz bisher, bei dem er so empfand.

Ein Haus voller alter Waffen

Das BFE war aus Bruchsal angerückt, weil das Kriminalkommissariat Waldshut-Tiengen Unterstützung angefordert hatte. Allen war klar: Mit den Bewohnern des Hauses würde es Probleme geben. Der 28-Jährige war mehrfach vorbestraft – wegen Beleidigung, Bedrohung und Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.

Gegen ihn sollte ein Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt werden. Jahrelang hatte er Vertreter der Staatsgewalt mit beleidigenden und bedrohlichen Nachrichten überzogen. Später fanden die Ermittler im Haus alte Gewehre, Karabiner, Säbel und Schwerter.

Wie in einem „Action-Film“

Weil das SEK Jahre zuvor die Vordertür aufgerammt hatte, war inzwischen eine Sicherheitstür eingebaut worden. Das BFE konnte sie an jenem Märztag nicht aufbrechen. Angeklopft wurde vorher nicht.

Als der Gesuchte auf der Terrasse an der Rückseite des Hauses gestellt wurde, zog der sich zuerst wieder ins Haus zurück, berichtet der Polizist, der daraufhin die Terrasse betrat. Dann attackierte ihn der 1,60 Meter große Mann unvermittelt mit einem „Schwinger“.

Bild 1: Überraschende Szenen: Polizist berichtet von Messerangriff, dann meldet sich der Täter
Bild: Durain

Der Polizist rief noch „Messer, Messer“, hob die Arme zum Schutz und packte die Handgelenke des Angreifers. Er drückte ihn gegen ein Glaselement der Terrasse, bis der Mann wie in einem „schlechten Film“ durch die Brüstung stürzte.

Er schlug so heftig auf, dass er ein paar Sekunden bewusstlos auf dem Rücken liegen blieb, die Beine über den Kopf geschlagen. Noch immer hielt er das Messer in der Hand, als ein anderer Polizist es wegtrat.

Rechtsmediziner: Es waren zwei Stiche

Der Polizist spürte einen heftigen Schlag, bemerkte aber erst später die Stichwunde, aus der Blut in seinen Kragen lief. Auch die zweite Wunde an der Schulter wurde ihm erst später bewusst. Wann und wie genau die Stiche erfolgten, konnte er vor Gericht nicht mehr sagen.

Der Rechtsmediziner bestätigte: Die Wunden seien typisch für einen Messerangriff. Zwar seien sie nicht lebensgefährlich gewesen, doch ein Stich in den Hals oder nahe der Achselhöhle hätte fatale Folgen haben können. Um solche Verletzungen zu verursachen, müsse das Messer fest umgriffen worden sein. Es handelte sich um Stich-, nicht um Schnittverletzungen, die nicht sehr tief waren.

„Das war ein Monster“

In einem Brief an den Polizisten, den er ins Gesicht stach, schrieb er, er leide unter vollständigem Gedächtnisverlust. Dennoch wolle er sich entschuldigen – für einen Menschen, den er nicht kenne, den er aber für ein Monster halte. Es erfülle ihn mit Ekel, was dieser Mensch, also er selbst, getan habe.

Inzwischen soll er sich wieder erinnern können. Am Donnerstag wurde er ein drittes Mal vom psychiatrischen Sachverständigen befragt.

Ein überraschendes Angebot

Der Polizist war nach dem Angriff mehrere Wochen krankgeschrieben. Die Wunde im Gesicht entzündete sich. Er suchte Hilfe bei einem Psychotherapeuten, später wurde eine akute Belastungsstörung diagnostiziert. Inzwischen sei er wieder im Dienst bei Fußballspielen, Demonstrationen oder Zugriffen.

Später meldet sich der schmächtige Mann mit leiser Stimme zu Wort. Er habe keine Frage, habe aber etwas zu sagen: „Es tut mir wahnsinnig leid.“

Wenn er könnte, würde er alles rückgängig machen. „Machen Sie sich keine Vorwürfe, bitte. Ich komme klar.“ Dann folgt ein überraschendes Angebot: Wenn der Polizist seine Kontaktdaten hinterlasse, werde er ihm noch heute 4000 Euro überweisen.

Der Zeuge ist verdutzt, aber nicht sprachlos. Es schüttele ihn emotional, sagt er. Zum Geldangebot äußert er sich nicht, er nimmt aber die Entschuldigung an. Er hoffe, der 29-Jährige hole sich Hilfe – so wie er es getan habe. Und dass er künftig niemandem mehr schade.

Der Angeklagte versichert: Was er früher getan habe, „wird nicht mehr vorkommen.“ Am Donnerstag wird durch die Verlesung seiner Briefe an Richter klar: Es ist nicht das erste Mal, das er ankündigte, sich zu ändern. Der Prozess wird fortgesetzt.