Sie will ihr bisheriges Teilgeständnis vervollständigen, doch der Schuss geht nach hinten los. Die 22-jährige Angeklagte Lorena J. lässt von ihrem Konstanzer Pflichtverteidiger Henning Stutz erneut eine Erklärung verlesen, in der sie einräumt, die ihr vorgeworfenen Taten – unter anderem ausbeuterische Zuhälterei und bandenmäßiger Menschenhandel in zwei Fällen sowie Betrug in sieben Fällen – begangen zu haben und ihre Taten sehr zu bedauern. „Damit will meine Mandantin reinen Tisch machen, das Kapitel Prostitution abschließen und künftig straffrei leben“, sagt Stutz.
Doch in den darauffolgenden Befragungen relativiert die junge Frau ihre Rolle. So erzählt Lorena J., dass die beiden Prostituierten Alina N. und Hanelore G. ihre Profile auf einschlägigen Webseiten selbst erstellt, Termine mit Freiern eigenständig vereinbart und auch den Verdienst aus der Prostitution entgegengenommen hätten – entgegen deren Aussagen. „Ich habe nur mit ein bis zwei Kunden geredet. Das war‘s“, so die 22-Jährige. Den letzten Satz sollte sie noch einige Male sagen.
„Musste mich ausgezogen bereit halten“
Die Staatsanwaltschaft konfrontiert die Angeklagte mit Gesprächen zwischen ihr und verschiedenen Freiern, die die Polizei abgehört hatte, darunter folgendes: „Ich habe noch eine Freundin, sie kostet 350 (Euro, Anm.). Sie macht es auch ohne (Kondom, Anm.)“, soll Lorena J. im April 2021 einem Freier angeboten haben. „Das zeigt, dass Sie gezielt andere Frauen vermittelt haben“, sagt Staatsanwalt Kulikow. Die 22-Jährige stellt dies in Abrede. Die Frauen hätten sie darum gebeten, weil sie in Deutschland Geld verdienen wollten, so Lorena J.

Die Vorsitzende Richterin Friederike Güttich verliest eine Aussage von Izabella C., die in Aach festgehalten worden sein soll: „Ich habe gehört, wie die Frau von Eugen (Lorena J., Anm.) mit den Freiern telefoniert hat. Sie sagte mir Bescheid und ich musste mich bereits ausgezogen bereit halten im Zimmer. Sie brachte den Freier ins Zimmer und sagte mir, was die Kunden wollen und dass sie nicht möchte, dass ich den Kunden verärgere. Wenn ich das nicht getan habe, was die wollten, zum Beispiel Analsex, dann wurde ich geschlagen“, so Izabella C.
Schulden „abarbeiten“ wollen
Lorena J. versucht, sich auf ihren ebenfalls angeklagten Ex-Freund Eugen B., der als mutmaßlicher Banden-Chef bisher die Aussage verweigert, rauszureden. Dieser hätte ihr gesagt, was sie zu tun habe, und hätte das genauso machen können. Richterin Güttich lässt das so nicht stehen: „Es geht jetzt darum, was Sie gemacht haben.“
Ob die Türen in den angemieteten Wohnungen in Singen und Stockach versperrt gewesen waren, habe die Angeklagte nicht mitbekommen, sagt sie. Und die rund 10.000 Euro, die sie drei Freiern mutmaßlich betrügerisch mit verschiedenen Vorwänden abgenommen habe, hätte sie zurückzahlen, in einem Fall durch Prostitution „abarbeiten“ wollen.

„Was Sie heute erzählen, scheint nicht ganz der Wahrheit zu entsprechen. Von einem Geständnis sind wir meilenweit entfernt“, sagt Staatsanwalt Kulikow. Er erklärt, sich nicht mehr an den ausgehandelten Deal gebunden zu fühlen, wonach Lorena J. bei einem vollumfänglichen Geständnis mit maximal zwei Jahren Haft bestraft worden wäre.
Vereinbarung über Höchststrafe ist hinfällig
Das ruft die beiden Verteidiger von Lorena J. auf den Plan. Diese habe das Kerngeschehen eingeräumt, Detail-Fragen könne sie nicht beantworten, weil sie nicht überall eingebunden gewesen sei, so Anwalt Stutz. Und ihr Wahlverteidiger Constantin Sperneac-Wolfer betont, seine Mandantin sei die einzige Angeklagte in dem Verfahren, die bisher so kooperativ war.
Richterin Güttich erklärt, dass es kein „falsches Geständnis“ geben dürfe. „Darauf können wir kein Urteil gründen“, sagt sie und hält fest, dass sich auch das Gericht nicht mehr an die Vereinbarung mit zwei Jahren als Höchststrafe gebunden fühle.
Welche Rolle spielte David P.?
In der Folge rückt der dritte Angeklagte, David P., in den Fokus. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft unter anderem vor, die Prostituierten gefahren, eingesperrt und überwacht zu haben. Laut Verfahrensabsprache droht ihm eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten bis zu zwei Jahren.
Seine Radolfzeller Verteidigerin Franziska Giner verliest gleich zu Beginn ein Geständnis. Sein Freund Eugen B. habe ihn gebeten, die Wohnungen in Stockach und Singen anzumieten. Dabei habe David P. genau gewusst, wofür sie bestimmt waren: „Eugen hat mir von Anfang an gesagt, er möchte dort wohnen und Geld durch Prostitution verdienen“, sagt der 23-Jährige.

Außerdem habe ihn der 31-Jährige gebeten, die Frauen zu „begleiten“ und über Nacht in der Ferienwohnung im Stadtzentrum von Singen einzuschließen. „Ich habe den Schlüssel abgezogen und ihn Eugen gegeben – das war nur einmal (…). Es war nicht meine Idee, ich habe es aber hingenommen und trage auch einen Teil dieser Schuld“, räumt David P. ein.
Die unvergitterten Fenster hätten sich jedoch von innen öffnen lassen, die Frauen hätten jederzeit die Wohnung im Erdgeschoss verlassen können. Insgesamt sei sein Verhältnis zu den beiden „Mädchen“, die er nur drei Tage gesehen habe, freundschaftlich gewesen. Beschwerden wegen des Einschließens über Nacht habe es nicht gegeben.
Angeblich Sex ohne Gegenleistung
Richterin Güttich konfrontiert ihn mit einer Aussage von Alina N., wonach diese mit beiden Fahrern – nach dem zweiten namens „Kado“ wird noch gesucht – schlafen hätte sollen, ohne eine Gegenleistung zu erhalten. David P. gibt an, dass er mit beiden Frauen in Singen Kokain konsumiert habe. Dabei soll ihm Alina N. erzählt haben, dass sie als Kind vergewaltigt worden sei.
„In solchen Momenten konnte ich – ehrlich gesagt – nicht an Sex denken“, sagt der 23-Jährige. Er habe keinen sexuellen Kontakt zu den beiden Frauen gehabt. Auch mit Hanelore G. habe er Mitleid empfunden. Sie habe in Rumänien in einem Supermarkt gearbeitet, aber wenig Geld verdient. Die Prostituierte aus der Aacher Wohnung, Izabella C., habe er nicht kennengelernt.

Angesichts der neuen Erkenntnisse beantragt Verteidigerin Giner spätabends, den Haftbefehl gegen ihren Mandanten – David P. sitzt wie die beiden anderen Angeklagten seit mehr als einem halben Jahr in Untersuchungshaft – aufzuheben, auch weil er seine Arbeit in einem Stockacher Betrieb sofort wieder aufnehmen könne, was schriftlich vorliege.
„Aufheben würde mir zu weit gehen, aber außer Vollzug setzen kann ich mir vorstellen“ sagt Staatsanwalt Kulikow. Als Richterin Güttich beschließt, dass David P. noch am selben Tag wieder nach Hause darf, huscht ein Lächeln über die Lippen des 23-Jährigen.
Haftbefehl wird außer Vollzug gesetzt
Er muss jedoch seinen Reisepass und Personalausweis abgeben, sich einmal pro Woche im Polizeirevier Stockach melden, allen Ladungen von Behörden folgen und seine Gerichtstermine – mindestens drei Verhandlungstage stehen noch an – pünktlich wahrnehmen, „sonst müssen wir den Haftbefehl wieder vollziehen“, mahnt Güttich. Der nächste Verhandlungstag findet am 4. März statt. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.