In einem privaten Beitrag auf Instagram zeigte sich die Grüne-Jugend-Chefin Jette Nietzard in einem blauen Pullover und sorgt damit derzeit für Ärger. Der Pullover trug die Aufschrift „ACAB“, ein Akronym, das für „All cops are bastards“ steht und etwa „alle Polizisten sind Schweine“ bedeutet.

Die 26-Jährige zeigt sich in einem Interview mit dem „Stern“ überrascht von den Reaktionen zu ihrem Internet-Auftritt. Was eine „lustige Instagram-Story“ hätte sein sollen, sollte nun nach ihrem Willen dazu anregen, über ihre systemische Kritik an der Polizei zu sprechen. Im gleichen Interview erteilt sie auch einem Rücktritt eine Absage.

Der 26-Jährigen werden Konsequenzen angedroht: Winfried Kretschmann (Grüne) forderte sie zum Parteiaustritt auf und Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) droht etwa mit einer Geldstrafe oder auch der Entzug des Hausausweises für das Parlament. Das wurde von Nietzard in einer weiteren Instagram-Story ironisch kommentiert: „Aber Weidel die Hand schütteln“, schreibt sie zu einem Ausschnitt eines Spiegel-Artikels zum Thema. Die Story ist mittlerweile offline.

Nüssle: „Ich kann das Verhalten nicht nachvollziehen.“

Für Niklas Nüssle, Landtagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Waldshut-Rheinfelden, ist dieses Verhalten unverständlich. „Diese Ablehnung, sich zu entschuldigen, ist für mich nicht nachvollziehbar“, sagt er im Gespräch mit dem SÜDKURIER.

Die Haltung der Anti-Polizei-Parole teile er in keiner Weise, sagt er, „das erste Gefühl, das ich hatte, als ich den Post gesehen habe, war Ärger“, so Nüssle.

Für Niklas Nüssle ist Nietzards Verhalten völlig unverständlich. „Aktuell haben wir andere Debatten zu führen, die viel dringender zu ...
Für Niklas Nüssle ist Nietzards Verhalten völlig unverständlich. „Aktuell haben wir andere Debatten zu führen, die viel dringender zu diskutieren sind“, kritisiert er Nietzards Kritik an der Polizei. | Bild: Lena Lux

Die ACAB-Aussage sei völlig pauschalisierend und allein deshalb schon falsch, sagt der 30-Jährige. Als Abgeordneter habe er viel mit der Polizei zu tun, sieht die Arbeit der Beamten in positivem Licht: „So viel in unserem Land ist möglich, nur weil es die Polizei gibt.“

Auch daran, ob es derzeit überhaupt eine Diskussion über die Polizei benötige, habe Nüssle seine Zweifel: „Das kann ich verneinen, die Polizei leistet einen großen Dienst.“

Zwar habe es, wie Nüssle einräumt, in der Vergangenheit Fälle gegeben, die man sich laut ihm „anschauen muss“ zum Thema Polizei, wie rechte Chatgruppen, das seien aber laut ihm nur „minimale Bruchteile, die mit der Polizei so gar nichts zu tun hätten.“ Auch Nietzards Ansicht, die Grünen wieder linker machen zu wollen, hält er für nicht richtig: „Für mich sind wir eine Partei der breiten Mitte, wir brauchen keine Debatten über die grundsätzliche Orientierung der Partei.“

Grüne Jugend in Baden-Württemberg sei anders eingestellt

Jan-Lukas Schmitt, ehemaliger Gründungsvorsitzender der Grünen Jugend Waldshut und Mitglied des Landesvorstands der Grünen in Baden-Württemberg, fasst sich kurz. „Ich wundere mich immer wieder über Aussagen von Jette Nietzard und bin froh, dass die Grüne Jugend in Baden-Württemberg anders eingestellt ist. Das zeigt sich unter anderem daran, dass unsere Spitzenkandidatin der Grünen Jugend (Clara Jasmin Schweizer, Anm. d. Red) grüne Werte wie Klimaschutz statt der eigenen Person ins Zentrum ihrer Politik stellt“, sagt er.

Jan-Lukas Schmitt (Grüne) wundert sich nach eigenen Ausgaben des Öfteren über Aussagen von Jette Nietzard.
Jan-Lukas Schmitt (Grüne) wundert sich nach eigenen Ausgaben des Öfteren über Aussagen von Jette Nietzard. | Bild: Gianina Morgenstern

„Unreif und naiv“ heißt es aus dem Schwarzwald

Marin Juric, 22 Jahre, Sprecher der Grünen Jugend Schwarzwald-Baar aus Villingen-Schwenningen, erachtet die Provokationen von Nietzard als unreif und naiv. Im Gegensatz zu Winfried Kretschmann würde er Nietzard aber keinen Parteiaustritt nahelegen, betont Juric. Da müsse man zwischen Grüner Jugend und Partei differenzieren.

Die pauschale Diffamierung der Polizei sei aber, wie er sagt, „schwachsinnig“. So erinnert Juric daran, dass die Grünen ihre Themen bei den Wahlkämpfen im vergangenen Jahr „ohne die massive Polizeipräsenz bei vielen Veranstaltungen nicht auf die Straße hätten bringen können.“

Marin Juric (22) erachtet die Aktion von Jette Nietzard als „unreif und naiv“.
Marin Juric (22) erachtet die Aktion von Jette Nietzard als „unreif und naiv“. | Bild: Grüne

Ihr sei der Instagram-Beitrag nicht negativ aufgefallen, sagt dagegen Lisa Kreitmeier, 26 Jahre alt und Stadträtin in Konstanz.

Sie finde es in Ordnung, den Pullover zu tragen. Das bedeute zwar nicht, dass sie den Anti-Polizei-Spruch gutheiße oder gar selbst benutzen würde, doch fragt sie sich: „Leben wir immer noch in einer Zeit, in der wir uns über die Klamotten einer Frau anstatt über die tatsächlichen Probleme bei der Polizei aufregen?“

Lisa Kreitmeier findet die Reaktionen auf den ACAB-Pullover übertrieben. „Leben wir immer noch in einer Zeit, in der wir uns über die ...
Lisa Kreitmeier findet die Reaktionen auf den ACAB-Pullover übertrieben. „Leben wir immer noch in einer Zeit, in der wir uns über die Klamotten einer Frau statt den tatsächlichen Problemen bei der Polizei aufregen?“, fragt sie sich. | Bild: Rau, Jörg-Peter

Dass, so wie es die Parole sagt, alle Polizisten „Bastarde“ seien, sei natürlich nicht der Fall, räumt Kreitmeier ein. Trotzdem habe die Polizei laut ihr ein Problem mit struktureller Gewalt und strukturellem Rassismus – darüber müsse gesprochen werden.

„Die Debatte um den Pullover geht dabei völlig am eigentlichen Thema vorbei“, sagt sie, weshalb sie auch die Forderung nach Parteiaustritt oder andere Konsequenzen für Nietzard übertrieben findet. „Wir sind die Grüne Jugend und es ist die Aufgabe einer Jungorganisation, provokant zu sein, um eine öffentliche Debatte loszulösen“, sagt Kreitmeier.