Es ist gerade einmal etwas ruhiger in der Notaufnahme im Klinikum Waldshut. „Beschwör‘ es nicht“, sagt Pfleger Patrick Woop scherzhaft, der froh ist, dass er ein paar Minuten durchatmen kann. Der 33-Jährige bildet sich gerade weiter zum Notfallpfleger. Doch er weiß schon jetzt: „Diesen Job werde ich nicht bis zur Rente machen. Das geht nicht.“ Dabei ist sein Beruf eigentlich sein Traumjob, „aber in einem Scheißsystem“, wie er selbst sagt.

Die Corona-Notfälle hat er von Anfang an miterlebt im Klinikum Waldshut. Doch die sind nicht der Grund für seine Entscheidung. „Das ist ein systemisches Problem“, macht Woop deutlich. Der Pflegenotstand war schon vorher ein Problem. Mit Corona wurde er nur sichtbarer. Seinem Arbeitgeber, dem Klinikum Hochrhein, macht Woop keinen Vorwurf. Die öffentlichen Kliniken sind aber wie Privatkliniken auch gehalten, wirtschaftlich zu arbeiten. Nur dass ein Krankenhaus nicht wie ein Unternehmen funktionieren kann. „Die Privatisierungen haben dazu geführt, dass Abteilungen und Personal abgebaut wurden“, da liege das Problem, schildert Woop.

Mit entsprechend knapper Besetzung müssen er und seine Kollegen die Notaufnahme wuppen. Zu viert sind sie tagsüber, pro Tag kommen durchschnittlich 30 Notfälle in die Station, aber eben auch mal bis zu 60. Hinzu kommt der Rückstau von Patienten, die in die immer wieder vollen Folgestationen im Haus nicht direkt aufgenommen werden können. Dann muss die Notaufnahme sie mitversorgen. Corona hat die Pfleger an ihre Grenzen gebracht.

Die Abläufe sind eingespielt: Kommt ein Patient mit Covid-Verdacht an, wird er noch im Rettungswagen getestet. Die Notaufnahme hat kurzerhand aus einem kleinen Vorratsraum ein Minilabor gemacht, mit Hilfe eines Nukleinsäuretests liegt das Ergebnis meist innerhalb von zehn Minuten vor. Ist der Patient positiv, entscheidet ein Arzt darüber, ob der Patient direkt auf die Isolierstation kommt oder auf die Intensivstation verlegt werden muss. Infizierte sollen gar nicht erst in die Notaufnahme gelangen. Das System hat sich bewährt, niemand steckte sich innerhalb der Notaufnahme an. Aber es kostet auch Zeit. Zeit, die für andere Patienten fehlt, oder es müssen Überstunden gemacht werden.
„Für uns ist das das Pflegen einer unnötigen Krankheit“Patrick Woop, Notfallpfleger, über die Behandlung ungeimpfter Patienten
Woop hat deshalb wenig Verständnis für Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen. „Für uns ist das das Pflegen einer unnötigen Krankheit“, sagt er. Oft, weil sie Gerüchten aus Social Media Glauben schenken. Und er findet: „Wir haben auch eine Verantwortung gegenüber den Menschen, die sich nicht impfen lassen können.“ Aber, betont Woop: „Ich habe eine starkes Team. Das trägt.“

„Wir haben uns diesen Job ausgesucht und werden dafür bezahlt“, sagt Ulrike Kiel, halb scherzhaft, halb ernst. Wertschätzung für ihren Beruf erwartet sie gar nicht. Die resolute Stationsleiterin der Isolierstation ist nicht zimperlich, im Haus ist sie bekannt für ihr strenges Regiment. Verloren hat sie während Corona aber keinen ihrer Pfleger, das Team hält zusammen, sagt sie. Patienten hat sie dagegen viele verloren. Wie viele, dass weiß sie nicht mehr. Zu viele.
Trotzdem ist die 59-Jährige immer noch angefasst, wenn Patienten sterben. Am Wochenende erst wieder. Darüber reden will sie eigentlich gar nicht. Doch dann erzählt sie doch: „Man füttert sie, man wäscht sie, redet ihnen gut zu.“ Man lernt die Menschen kennen, die da liegen, wochenlang. Der Mann hörte gerne SWR4, sagt Kiel noch, wird still.

Die Menschen auf der Isolierstation sind einsam, dürfen keinen Besuch bekommen. Das macht etwas mit ihnen, ganz abgesehen von den physischen Folgen einer Corona-Infektion. Es macht auch etwas mit jenen, die sie pflegen.
Hierher kommen nicht nur Patienten von außen, sondern auch solche, die zuvor auf der Intensivstation um ihr Leben gekämpft haben. Den Kampf gewonnen haben sie aber noch lange nicht. Viele sind mehrere Wochen hier, manche drei, manche fünf.
Besonders die Älteren wehren sich oft gegen die Atemmaske, die ihnen eigentlich helfen soll, nehmen sie immer wieder ab. Dann bleibt irgendwann nichts anders mehr, als diese Menschen ins künstliche Koma zu legen. „Dann stehen die Chancen fifty – fitfy“, sagt Kiel matt. Jeder zweite stirbt. Der Mann, der gerne SWR4 hörte, ist tot.
„Wissen Sie, wir müssen die Toten in Säcke packen. Das schaffe ich bis heute nicht.“Ulrike Kiel, Leiterin der Covid-Isolierstation
„Wissen Sie, wir müssen die Toten in Säcke packen. Das schaffe ich bis heute nicht“, sagt Kiel unvermittelt. Ihr Blick geht in die Ferne. Der schlanken Frau mit blondem Pagenschnitt ist anzumerken, dass sie viele Schicksale miterlebt hat. Ehepaare, die gemeinsam eingeliefert wurden. Entlassen wurde oft nur einer. Der andere wurde in einen der Leichensäcke gepackt.
„Das zermürbt“, erwidert Kiel auf die Frage, was das mit ihr macht. Manche kommen wieder, schon nach einem Tag, weil sie Panik bekommen zu Hause, dass sie ersticken könnten. Vieles hat Kiel mit angesehen. Man merkt ihr an, dass sie vieles gar nicht in Worte fassen kann. Dann macht sie Pausen, schweigt einen Moment.
Die aktuelle vierte Welle (die Zahlen sind derzeit auf dem Niveau vom April, als viele noch nicht geimpft waren) nimmt sie mit, ihr ganzes Team, sagt Kiel. Urlaub hatte sie praktisch seit anderthalb Jahren nicht mehr, nicht wirklich. In der ersten Welle wurden alle gebraucht.
In der zweiten und dritten waren sie auf Abruf zu Hause im Urlaub. Arbeitete bei 30 Grad Außentemperatur in voller Schutzmontur, dass einem der Schweiß den Rücken hinunterläuft. Jedes Mal, wenn sie oder einer ihrer Pfleger eines der Zimmer betreten, müssen Schutzkittel, Schutzbrille, Haarnetz und zwei Paar Handschuhe übereinander getragen werden.

Und jetzt, in der vierten Welle, kommen jene, die im Urlaub waren – ungeimpft – und das Virus mitgebracht haben. Kiel fragt sich, wie das sein kann. Wie der Urlaub wichtiger sein kann als einen Termin für die schützende Impfung zu machen.
Kiel ist erschöpft. Bald übernimmt sie eine andere Abteilung. Corona hat sie geschafft. Aber ihren Beruf, den will sie nicht aufgeben. „Dafür liebe ich ihn zu sehr“, sagt sie. Doch der Preis dafür war hoch. Monatelang hat sie sich isoliert, später wurde sie ausgegrenzt, die Pflegerin, die auf der Coronastation arbeitet. Frei nach dem Motto: „Du hast es dir ja selbst ausgesucht.“ Sie hat noch ihren Mann, erzählt Kiel. Aber gerade die jüngeren Pfleger sind oft Singles, kommen von weiter weg. Die haben es schwer.
Ihre Patienten werden nun zunehmend jünger. „Aber“, fragt sie, „wann verstehen die Menschen endlich, dass das keine Erkältung ist, bei der es einem nach drei, vier Tagen wieder besser geht?“ Sie spricht so energisch, dass ihre Maske immer wieder ein Stück die Nase hinunterrutscht, bevor Kiel sie wieder zurechtrückt. „Hier geht es um Leben und Tod“, sagt die Krankenpflegerin. Eine Tablette dagegen gibt es nicht. Und trotzdem: Wenn die Klingel an der Schleuse zur Außenwelt geht, stehen Kiel und ihre Mannschaft parat. Denn es geht um Leben und Tod.
„Jetzt haben wir die Pandemie der Ungeimpften.“Roland Laube, Leitender Oberarzt
Die schlimmen Fälle kommen direkt auf die Intensivstation. Der leitende Oberarzt, Roland Laube, hat die schweren Fälle noch auf der alten Intensivstation behandeln müssen, die für eine Pandemie gar nicht ausgerichtet war. Provisorische Schleusen aus Plastikvorhängen wurden gebastelt. Seit kurzem ist die neue Intensivstation in Betrieb. Die Belastung ist dadurch aber nicht geringer geworden. „Jetzt haben wir die Pandemie der Ungeimpften“, sagt der 49-Jährige. Seit Ende September steigen die Zahlen wieder – vor allem durch Ungeimpfte. Laube sagt zwar: „Wir sind keine Richter und fällen keine Urteile.“ Aber: „Man denkt sich schon, hätte er sich doch impfen lassen.“

Christian Sprink ist Leitender Pfleger auf der Intensivstation. Der 43-Jährige muss sein Team irgendwie zusammenhalten. Die Belastung ist hoch. Pro Schicht sind hier vier Pfleger, auf der Intensivstation können maximal neun Patienten versorgt werden. Eine Covid-Patientin haben sie im Moment. Aber das kann sich schnell ändern. „Zwei Covid-Patienten, das geht“, sagt er. Wenn es mehr werden, kommen alle an ihre Grenzen.
Allein bis zu zwei Stunden braucht die Körperpflege der Covid-Patienten – in voller Schutzmontur. Pro Stunde müssen sie im Schnitt zwei Mal ins Zimmer, weil der Alarm anschlägt. Weil die Sauerstoffsättigung im Blut wieder abgefallen ist und die Organe zu versagen drohen. Dann muss die künstliche Beatmung gelegt werden.

Wenn es ganz rapide bergab geht, müssen die Patienten in Bauchlage gedreht werden. So können Teile der Lunge wieder reaktiviert werden, erklärt Sprink. Der Aufwand ist immens. Drei Pfleger und ein Arzt, der den Kopf und den Tubus sichern muss, sind nötig, um den Betroffenen umzudrehen. Die Prozedur ist keine Fünf-Minuten-Aktion. Das dauert. Bis zu 45 Minuten.
Man ahnt bereits, wie viel der verbleibende vierte Pfleger alleine wuppen muss, wenn die Intensivstation auch nur zu zwei Dritteln belegt ist. Bis zu vier Wochen verbringen Covid-Patienten hier. „Minimum, wenn alles gut geht“, ergänzt der Intensivpfleger. „Das schaffen nicht alle.“ Impfverweigerer? Da schüttelt Sprink nur den Kopf. „Wer Covid nicht ernst nimmt, der war noch nie auf der Intensivstation.“

Der Tod ist hier sein ständiger Begleiter. Sprink kommt damit klar, sagt er. Muss er auch. Sonst könnte er den Beruf nicht machen. Aber nicht alle sind so robust wie er. Mancher Kollege hat die Station verlassen.
Kim Wende ist geblieben. Die 28-Jährige arbeitet seit zwei Jahren auf der Intensivstation. Routiniert legt sie die Schutzkleidung an, bevor sie das Isolierzimmer mit der Frau betritt, die sie zuvor in Bauchlege gedreht haben.
Die knapp 60-Jährige ist ungeimpft, ihr Zustand hat sich binnen eines Tages rapide verschlechtert. Jetzt liegt sie da, regungslos, die Geräte im Hintergrund piepen, registrieren Puls und Sauerstoffsättigung. Wende hängt eine neue Infusion an. Das geht schnell. Doch bevor sie den Raum verlassen kann, muss Wende sich ihrer Schutzkleidung bis auf Maske und Schutzschirm entledigen, desinfiziert die Hände und Unterarme.
Wie es ihr geht, wenn sie solche Patienten versorgt? „Ganz ehrlich? Der Frust ist enorm“, sagt die junge Frau. Weil es immer noch Menschen gibt, die behaupten, Corona gebe es gar nicht. Und weil sie sich Beleidigungen anhören muss. Und trotzdem tut es ihr leid um jene, die es nicht schaffen: „Es schmerzt immer noch, Menschen zu verlieren“, sagt sie. Menschen, die in Panik um sich schlagen, weil sie keine Luft mehr bekommen, weil sie bei lebendigem Leibe ersticken. Menschen, die sie versucht zu retten. Jeden Tag aufs Neue.