Nachdem am 27. November 2024 ein Bagger in einem Garten in Gaienhofen-Hemmenhofen einen Leichnam freigelegt hatte, eingehüllt in Folie und unter einer Schicht Bitumen, gab es endlich eine Gewissheit: Jan Heisig ist tot. Aber das Rätsel war damit längst nicht gelöst. Das betont Richter Arno Hornstein erneut, als er an diesem Freitag das Urteil der 4. Strafkammer des Landgerichts Konstanz verkündet.
Die Ausgrabung der Leiche sei auch für die Kammer ein einmaliges Ereignis gewesen. Doch restlos aufgeklärt ist der Fall auch mehr als fünf Jahre nach dem Tod des Mannes von der Höri nicht. Die Rechtsmedizinerin sagte drei Mal aus, Fragen blieben aber letztlich offen. Es gebe keine unmittelbaren Tatzeugen – und diejenige, die mehr weiß, schweigt, obwohl es um den Tod ihres Bruders geht. Für ein Mordurteil reicht es nicht.
Was passierte am 2. Juni 2019?
Jan Heisig wurde 51 Jahre alt. Er starb, nachdem es spätabends am 2. Juni 2019 an der Tür des Hauses in Ufernähe klopfte und sein Mitbewohner öffnete. Mike W. und Heisigs Halbschwester reisten aus Krefeld mit einem Mietauto an den Bodensee. Während die Frau unten dem Mitbewohner erklärte, worum es geht, fragte Mike W. nur: „Wo ist Jan?“ und ging nach oben ins Schlafzimmer. So schilderte es von Beginn an der Mitbewohner, die Kammer glaubt ihm. Auch wenn es eine Aussage mit angezogener Handbremse gewesen sein soll, weil der Mann wohl Angst gehabt habe.

Jan Heisig, der an diesem Sonntag noch in Gaststätten unterwegs war und sich betrunken hatte, schaute sich noch was auf dem Fernseher an, als Mike W. ins Zimmer kam. Danach hörte der Mitbewohner dumpfe Schläge, einen Schrei – und dann keinen Laut mehr. Als der Mann nachsehen will, wird er daran von Mike W. gehindert.
W. sei danach „entspannt“ nach unten gekommen, habe sich auf die Couch gesetzt und sich mit seiner Begleiterin mit Kokain und Heroin weiter zugedröhnt. Den Mitbewohner ließ das Paar dann nicht mehr ins Zimmer. Heisig erstickte unterdessen bewusstlos an seinem eigenen Blut. Er hatte Verletzungen an Kopf, Hals und am rechten Oberkörper.
Leiche löst Rätsel nicht
Der Fall Jan Heisig ist eine Geschichte mit vielen Wendungen und noch mehr Abgründen. Die Ermittlungen führten die Polizei in Pfandhäuser, in ein Pflegeheim oder in die Drogenszene Krefelds. Grundstücke wurden umgegraben, Hundertschaften suchten die Höri ab, über hundert Zeugen wurden vernommen.

Zweifellos ist es einer der spektakulärsten Kriminalfälle der Region, bekannt wurde er noch als Mord ohne Leiche. Mike W. und die Halbschwester gerieten schnell unter Verdacht, auch der Mitbewohner saß zwischenzeitlich in Untersuchungshaft. Alle mussten aber freigelassen werden, weil es an gerichtsfesten Beweisen mangelte.
Dieses Gerichtsverfahren wurde erst durch den Einsatz von verdeckten Ermittlern möglich, denen W. beschrieb, wie er den Leichnam habe verschwinden lassen. Angeklagt wurde nur W..
Es ging ums Geld, nicht ums Töten
Jetzt, nach 15 Verhandlungstagen, fiel ein Urteil. Die Staatsanwaltschaft und der Anwalt der Nebenklage, der die Ehefrau des Opfers vertrat, hatten noch auf Mord plädiert. Das Landgericht Konstanz aber kam zu einer Entscheidung, die das Geschehen in der Nacht des 2. Juni 2019 als eskalierte Gewalt wertete, nicht als geplante Tötung.
„Man wollte ihn einschüchtern, ihn gefügig machen“, sagt Hornstein. Aber genügend Anhaltspunkte dafür, dass man Heisig aus dem Weg schaffen wollte, habe es nicht gegeben. Der Plan sei viel mehr gewesen, über das Opfer an das Vermögen der Mutter zu kommen.
„Taktisch-geprägte Einlassung“
Der Plan ging aber nicht auf: Die Mutter im Pflegeheim hatte es zuvor abgelehnt, ihrer Tochter die Kontrolle über Finanzen und das Haus in Hemmenhofen zu geben. Daher habe man habe das Opfer ja gebraucht, er sei der Schlüssel gewesen. Dennoch habe W. den Tod des Hausherrn leichtfertig herbeigeführt, übermäßig brutal gehandelt – und Heisig im Zimmer zurückgelassen.
An die Version, die Mike W. vor Gericht von seinem Verteidiger vortragen ließ, glaubte das Gericht nicht. Demnach sei der Angeklagte von der Halbschwester zur Tat verleitet worden, vorher habe sie ihm erzählt, Jan Heisig habe sie in ihrer Kindheit vergewaltigt. Die Einlassung habe zwar zur Aufklärung beigetragen, so Hornstein, sei aber wenig glaubhaft und überzeugend. Diese sei eher taktisch geprägt gewesen und auch an den Fortschritt der Beweisaufnahme angepasst gewesen.
Dass der Täter Heisig noch reanimiert haben will, habe er erst danach gesagt. Das sei aber ein zentraler Punkt, den man nicht vergesse. Zu Gunsten des Angeklagten sprach sein Teilgeständnis während des Verfahrens, so die Kammer. Auf der anderen Seite stand ein langes Vorstrafenregister.
Kein Maßregelvollzug für Mike W.
Mike W., ein 49-jähriger, hagererer, glatzköpfiger Mann, der zuletzt in Kleve lebte, wird wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Eine Unterbringung im Maßregelvollzug komme aber nicht in Betracht, weil er kein echtes Interesse an einem abstinenten Leben gezeigt habe und andere Therapien bereits gescheitert. W. sei voll schuldfähig.
Damit folgte das Gericht auch dem Sachverständigen Hermann Assfalg, der vom Angeklagten und von seinem Verteidiger scharf attackiert worden war. Pflichtverteidiger Marc Decker hatte auf eine Strafe von bis zu sieben Jahren sowie die Unterbringung im Maßregelvollzug beantragt. Mike W. nimmt das Urteil wortlos und mit gesenktem Blick hin, während der einstündigen Begründung zeigt er kaum Emotionen.
Die Drahtzieherin blieb stumm
Für die Kammer um Arno Hornstein gilt die Frau als Drahtzieherin. Die Halbschwester des Opfers fürchtete, ihr Bruder verprasse das Erbe. Heisig lebte auf Kosten der vermögenden Mutter, er hatte die Vollmachten über sämtliche Konten.
Die Halbschwester bedrängte ihn immer wieder, wie Zeugen bestätigten, er fühlte sich bedroht. Als sie im Prozess als Zeugin aussagen sollte, schwieg sie – allen Bemühungen des Richters zum Trotz und auch dann, als Oberstaatsanwalt Kiefer erklärte, dass er das Verfahren gegen sie eingestellt habe. Andere Angehörige Jan Heisigs drängen jedoch weiter darauf, dass sich auch die Halbschwester vor Gericht verantworten muss.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.