Es ist ein Montagnachmittag. Zusammen mit der Münchner Anwältin Johanna Braun trifft der SÜDKURIER die Hegauerin Karen M. Sie wirkt sehr gefasst. Man kann nur erahnen, was diese Frau und Mutter seit dem 19. Februar durchgemacht haben muss.

Schon seit mehr als einem halben Jahr ist ihre 21-jährige Tochter Jasmin M. aus Eigeltingen-Heudorf wie vom Erdboden verschluckt. „Mit dieser Ungewissheit kann ich als Mutter nicht leben“, sagt Karen M.

Der doppelt so alte Ex-Freund von Jasmin, Robert S. aus dem Landkreis Waldshut, steht unter dringendem Tatverdacht, für das gewaltsame Verschwinden der jungen Frau verantwortlich zu sein. Erst am Mittwoch hat das Oberlandesgericht Karlsruhe die Untersuchungshaft des mutmaßlichen Täters verlängert und deutliche Worte gefunden. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung.

Das Treffen mit Karen M. und ihrer Anwältin fand an einem besonderen Ort im Hegau statt: dem letzten Arbeitsplatz ihrer Tochter Jasmin. Dort war auch der tatverdächtige Robert S. beschäftigt.

Frau M., wie geht es Ihnen mehr als sechs Monate nach dem Verschwinden Ihrer Tochter?

Jasmin fehlt mir so sehr. Zudem plagt mich und meine Familie diese quälende Ungewissheit. Was ist konkret passiert und wo? Alles, was wir wissen, ist, dass wir Jasmin seit dem 19. Februar nicht mehr erreichen können.

Haben Sie eine Vermutung, wo Jasmin sein könnte?

Vor kurzem habe ich endlich Akteneinsicht bekommen – die hatte ich vorher nicht. Aber da steht nicht viel drin, das für mich als Laie Hinweise bringen könnte, wo sie ist. Anfang Juli habe ich eine große Plakataktion ins Leben gerufen, um die Bevölkerung zu sensibilisieren.

Mit diesem Plakat sucht Karen M. an vielen Orten nach ihrer Tochter Jasmin.
Mit diesem Plakat sucht Karen M. an vielen Orten nach ihrer Tochter Jasmin. | Bild: Karen M.

Sie haben auf den in der gesamten Region verteilten Plakaten geschrieben, dass Sie davon ausgehen müssen, dass Ihre Tochter getötet wurde und eine große Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie irgendwo vergraben, versteckt, oder aber per Boot weggebracht wurde. Wie viele Hinweise haben Sie bisher erhalten?

Es haben sich bisher vier Personen gemeldet. Diese hatten aber von ihren Beobachtungen auch schon die Polizei informiert gehabt. Die Ermittler haben die Hinweise überprüft. Leider ist bisher nichts Neues dabei gewesen.

Wann haben Sie Ihre Tochter das letzte Mal gesehen?

Das ist einen Tag vor Jasmins Verschwinden gewesen. Sie war so glücklich über den Verkauf ihres Autos, der ihr geglückt war, und über die Vereinbarung für den Kauf für ihr neues Traum-Auto, einen Toyota C-HR. Aus diesem Grund können wir uns auch unter keinen Umständen vorstellen, dass Jasmin sich etwas angetan haben könnte.

Wie haben Sie vom Verschwinden Ihrer Tochter erfahren?

Ich bin am Sonntag, dem 19. Februar, unterwegs nach Dresden gewesen. Bei uns in der Familie ist es üblich, dass wir uns kurz melden, wenn wir nach einer längeren Fahrt gut angekommen sind. Normalerweise kommt dann von Jasmin eine Antwort zurück, zum Beispiel: „Ich wünsche dir schöne Tage.“ An diesem Tag kam aber nichts zurück, keine Reaktion.

Dieses Foto veröffentlichte Jasmin M. von sich auf Facebook.
Dieses Foto veröffentlichte Jasmin M. von sich auf Facebook. | Bild: Facebook

Kam die Nachricht überhaupt an?

Sie wurde laut den WhatsApp-Häkchen zugestellt, aber nicht gelesen. Ein paar Stunden später habe ich meine Tochter angerufen. Da war schon ihr Handy aus, was höchst ungewöhnlich war.

Was haben Sie dann gemacht?

Ich habe mehrere Freunde von Jasmin angerufen. Aber niemand wusste, wo sie ist. Dann habe ich Jasmin eine weitere WhatsApp-Nachricht geschickt. Die ist schon nicht mehr angekommen.

Was ist Ihnen zu diesem Zeitpunkt durch den Kopf gegangen?

Mein erster Gedanke war, dass Jasmin einen Unfall gehabt haben musste. Ich habe bei der Polizei angerufen, aber zu der Zeit war ja Fasnacht. Daraufhin habe ich alle Krankenhäuser in der Region durchtelefoniert, nichts. Als meine Tochter dann einen Tag später auch nicht zur Arbeit erschienen ist, dachte ich: Das stimmt etwas gewaltig nicht!

Drei Tage nach Jasmins Verschwinden hat die Polizei einen öffentlichen Fahndungsaufruf nach Jasmin herausgegeben. Haben die Behörden zu langsam agiert?

Noch während ich in Dresden Anzeige bei der Polizei erstattet habe, ist eine Streife schon bei Jasmins Wohnung in Eigeltingen-Heudorf gewesen, um nach dem Rechten zu sehen und einzuschätzen, ob Jasmin wirklich nicht da ist oder vielleicht Hilfe braucht. Das hat mir später eine Nachbarin erzählt. Die Polizei hat wirklich sehr schnell reagiert. Sie sind auch sehr, sehr gründlich, wenn Hinweise eingehen. Jeder kleinsten Spur, die auch nur irgendwie relevant sein könnte, wird nachgegangen.

Mit zahlreichen Einsatzkräften suchte die Polizei mehrere großflächige Wälder, Ufergebiete des Bodensees und den Hochrhein ab.
Mit zahlreichen Einsatzkräften suchte die Polizei mehrere großflächige Wälder, Ufergebiete des Bodensees und den Hochrhein ab. | Bild: Jarausch, Gerald

Dennoch haben Sie selbst von Anfang an nichts unversucht gelassen, um ihre Tochter zu finden.

Ja, ich habe auch alle Speditionen in der Region durchtelefoniert und sie gebeten, dass sie ihre Fahrer ersuchen, von der erhöhten Position der Führerhäuser aus ein Auge auf die Straßengräben zu haben, ob dort nicht irgendwo das Auto meiner Tochter liegen könnte. Jasmins Arbeitsweg führte ja durch dichte Wälder und über abgelegene Straßen.

Wie haben die Speditionen reagiert?

Sie sind alle sehr hilfsbereit gewesen. Ein Unternehmen, die Firma Dachser, hat sogar selbst mehrsprachige Plakate gedruckt und allen Fahrermappen beigelegt. Für mich blieb weiter klar, dass sie einen Autounfall gehabt haben muss – bis die Polizei ihren Wagen gefunden hat.

Jasmins schwarzer Toyota Corolla wurde Ende Februar auf einem Parkplatz in Radolfzell entdeckt. Wie haben Sie diese Nachricht aufgenommen?

Ich habe gedacht: Mein Gott, jetzt irrt sie irgendwo in der Kälte herum und erfriert. Die Polizei hat mir eine Woche nach Jasmin Verschwinden gesagt, dass es womöglich keine Hoffnung mehr gibt, sie lebend wiederzusehen. Das habe ich damals noch sehr weit von mir weggeschoben. Wir hatten alle noch die Hoffnung, dass sie lebt.

Der Wagen von Jasmin M. – ein Toyota Corolla
Der Wagen von Jasmin M. – ein Toyota Corolla | Bild: Instagram

Aus Ermittlerkreisen heißt es, nicht Jasmin, sondern vermutlich der Täter soll den Toyota Corolla nach Radolfzell gefahren und dort abgestellt haben?

Ich selbst erfahre das meiste aus der Presse, weil mir die Polizei keine Auskunft geben darf. Informationen bekommt nur meine Anwältin. Sie und ich nehmen auch an, dass nicht Jasmin den Wagen nach Radolfzell gebracht hat. Dafür gibt es Indizien und Hinweise, die die Staatsanwaltschaft und später vielleicht auch ein Gericht würdigen werden.

Knapp eine Woche nach Jasmins Verschwinden hat die Polizei ihren Ex-Freund Robert S. wegen dringenden Tatverdachts festgenommen. Seither sitzt er in Untersuchungshaft. Kannten Sie den Mann?

Ja, aber ich hatte keinen engen Kontakt zu ihm. Mehrere Male habe ich ihn mit Jasmin zu mir zum Essen eingeladen. Und als er einen Verkehrsunfall hatte, habe ich ihn einmal von A nach B gefahren.

Die beiden haben Fotos in sozialen Netzwerken mit gemeinsamen Wochenend-Trips und romantischen Abendessen veröffentlicht. Sie erwecken den Anschein einer glücklichen und harmonischen Beziehung. Stimmt dieser Eindruck?

Ja. Jasmin hat mir einmal über ihn gesagt: „Mama, er ist die Liebe meines Lebens.“

Diese Collage voll von gemeinsamen Erinnerungen bastelte Robert S. für Jasmin M. und veröffentlichte sie in einem sozialen Netzwerk, als ...
Diese Collage voll von gemeinsamen Erinnerungen bastelte Robert S. für Jasmin M. und veröffentlichte sie in einem sozialen Netzwerk, als die beiden noch ein Paar waren. | Bild: privat

Hatten Sie nie Bedenken, dass der große Altersunterschied zwischen den beiden – er ist doppelt so alt wie Ihre Tochter – ein Problem werden könnte?

Das spielt nicht unbedingt eine Rolle. Ich kenne andere Paare, wo der Altersunterschied noch größer ist, und die sind sehr glücklich. Außerdem ist Jasmin für ihr Alter immer schon sehr reif gewesen – von klein auf.

Die Beziehung zwischen Jasmin und dem Tatverdächtigen ging nach gut einem Jahr im Herbst 2022 in die Brüche. Wissen Sie weshalb?

Dass sich meine Tochter von ihm getrennt hat, habe ich von Freunden von ihr erfahren. Bei solchen Themen hat sie sich immer sehr bedeckt gehalten.

Johanna Braun, Strafverteidigerin aus München
Johanna Braun, Strafverteidigerin aus München | Bild: Braun

Haben Sie den Ex-Freund Ihrer Tochter je wütend oder aufbrausend erlebt?

Nein.

Am 17. Juli hat die Staatsanwaltschaft gegen Jasmins Ex-Freund Anklage erhoben – überraschenderweise nicht, wie es erwartet worden war, wegen des Verdachts des Totschlags oder Mordes, sondern wegen Nachstellens mit Todesfolge in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen, außerdem Körperverletzung und Vergehens nach dem Waffengesetz. Offenbar ist die Beweislage zu dünn?

Meine Anwältin sagt, wenn das Gericht vernünftige Zweifel hat, dann kann es einen Angeklagten auch nicht verurteilen. Ich hoffe, dass das Gericht das Richtige entscheidet.

Inwiefern stellte der Tatverdächtige Ihrer Tochter nach?

Er dürfte sie gestalkt haben, aber mehr können wir dazu noch nicht sagen.

Diese Bilder veröffentlichte Robert S. als die beiden noch zusammen waren.
Diese Bilder veröffentlichte Robert S. als die beiden noch zusammen waren. | Bild: Instagram

Könnte Ihre Tochter nicht auch einfach nur untergetaucht sein? So war es auch bei einem viele Jahre als vermisst gemeldeten Mann, der in der Schweiz eine neue Existenz aufgebaut hat.

Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Aber warum würde Jasmin dann ihren Hund in der Wohnung zurücklassen? Er war ihr ein und alles, fast wie ein Kind. Sie hat sogar ihren Tagesablauf auf ihn ausgerichtet. Auch ihre engste Freundin hatte keine Anzeichen, dass Jasmin untertauchen würde.

Ist Jasmin Ihr einziges Kind?

Ja.

Wie würden Sie Ihre Tochter charakterisieren?

Von Kindesbeinen an musste Jasmin sich durchbeißen, weil ihr Vater früh gestorben war. Aber sie hat ein großes Herz gehabt, mitunter eine raue Schale. Jasmin war auch unheimlich gewissenhaft, gerade was die Arbeit betrifft. Sie wusste, was sie will. Und sie war stets sehr weit und selbständig für ihr Alter.

Haben Sie den Fall Sabrina P. aus Stockach verfolgt? Ihr Ex-Freund soll die 24-jährige Mutter getötet haben.

Das passierte nur einen Monat vor dem Verschwinden von Jasmin. Als ich das gelesen habe, war ich so schockiert. Was muss jemanden bewegen, so etwas zu tun? Und ich war entsetzt, dass die Strafe für Sabrinas Ex-Freund so gering ausgefallen ist (13 Jahre Gefängnis, Anmerkung). Denn er hat nicht nur das Leben von Sabrina zerstört, sondern auch von zwei kleinen Kindern, die jetzt ohne Mutter aufwachsen müssen.

Was würden Sie anderen Frauen raten, die von Stalking, Drohungen oder gar gewalttätigen Partnern oder Ex-Freunden betroffen sind?

Frauen mit solchen Erfahrungen sollten ihr schlechtes Gefühl keinesfalls für sich behalten, sondern Hilfe suchen. Es gibt auch ein internationales Handzeichen, mit dem man ganz ohne Wort signalisieren kann, dass man Hilfe braucht. Viele kennen das vielleicht noch gar nicht.

Das inzwischen international verbreitete Handzeichen wurde während des ersten Corona-Lockdowns von einer kanadischen ...
Das inzwischen international verbreitete Handzeichen wurde während des ersten Corona-Lockdowns von einer kanadischen Frauenrechtsbewegung ins Leben gerufen. | Bild: Frauenhaus Meiningen

Wie geht es Ihnen mit den laufenden Kosten für Ihre verschwundene Tochter wie Miete und Versicherungen, die monatelang weiter fällig gewesen sind?

Die finanzielle Last konnte gelindert werden. Ein ganz großes Dankeschön an alle, die geholfen haben und weiterhin helfen – sei es mit moralischer Unterstützung, durch Spenden oder mit lieben Gesten.

Wie haben Sie die Hilfsbereitschaft erlebt?

Freunde von Jasmin und mir haben ein Spendenkonto initiiert. Damit niemand sein privates Konto dafür hergeben musste, hat sich die Gemeinde Eigeltingen bereit erklärt, das zu übernehmen. Bürgermeister Alois Fritschi hat mir auch beim Räumen von Jasmins Wohnung geholfen und Mitarbeiter dafür zur Verfügung gestellt. Und dann gibt es noch ganz liebe Freunde, die viele Orte, wo Jasmin sein könnte, abgeklappert haben, und viele Kilometer gelaufen sind, um Plakate zu verteilen. Sie sind eine große seelische und moralische Unterstützung.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich habe die Hoffnung, dass das Verschwinden meiner Tochter restlos aufgeklärt wird und – sollte damit ein Gewaltverbrechen verbunden sein, dass der Täter zur Verantwortung gezogen wird und vor allem keinen weiteren Schaden anrichtet – wer auch immer der Schuldige war. Und ich hoffe, dass Jasmin gefunden wird, dass ich meine Tochter wenigstens beerdigen kann und ich einen Abschluss finden kann.

Nach dieser Decke von Jasmin M. sucht die Polizei weiterhin.
Nach dieser Decke von Jasmin M. sucht die Polizei weiterhin. | Bild: Polizei

Gibt es noch etwas, dass Ihnen am Herzen liegt?

Ja, ich möchte die Gelegenheit nutzen, alle Menschen zu bitten, ihre Augen offen zu halten, zum Beispiel nach möglichen Kleidungsstücken von Jasmin oder ihren zwei verschwundenen Decken. Ich habe kürzlich auf einer Durchgangsstraße eine Decke liegen gesehen und die Polizei gebeten, das abzuklären, was sie auch gemacht haben. Die Decken können sich nach so langer Zeit auch verfärbt haben. Jeder noch so kleine Hinweis an die Polizei kann ein entscheidender sein für weitere Schritte oder Funde.